Köln | KOMMENTAR | Ja ist denn schon Aschermittwoch, mag sich der ein oder andere Jeck heute Morgen gefragt haben, denn die Turbo-Wintersession 2016 ist hiermit wieder vorüber. Eine Session mit vollen Sälen, zufriedenen Gesichtern bei den Karnevalsgesellschaften und einem deutlich verminderten Straßenkarnevalsgeschehen. Nach dem Sommerkarneval positioniert sich auch der Kölner Winterkarneval immer mehr in der Eventecke und gewinnt dadurch mehr Zuspruch. Der report-K-Kommentar nach der Nubbelverbrennung.

Sitzungen laufen hervorragend

Egal ob Sitzung, Party oder Ball, der Kartenverkauf, so sagten es viele Karnevalsgesellschaften, lief hervorragend und das Wort ausverkauft machte oft die Runde. Viele sagten sogar, sie hätten ihre Veranstaltungen zweimal oder dreimal ausverkaufen können. Die Ausweitung der Angebote der Karnevalsgesellschaften in immer speziellere Zielgruppen machen sich positiv bemerkbar. Da sind für die Senioren die Flüster- oder Nostalgiesitzungen, die boomen. Für die jungen Zielgruppen bietet man Parties, aber auch angesagte Clublocations zum Abfeiern an, die sich schnell füllen. Hier kommt dem Karneval ein Umstand zu Gute, der sich auch positiv auf die Sitzungen auswirkt: Es gibt mehr Musikgruppen und aus den einst vier Großen wie Bläck Fööss, Höhner, Brings und Paveier sind es heute fast schon mehr als Top Ten. Dazu zählen in erster Linie Gruppen wie Kasalla, Cat Balou, Klüngelköpp, Querbeat aber auch Bands wie Miljöh, Domstürmer, Cöllner oder Räuber. Die Liste lässt sich noch weiter fortführen. Der Pressesprecher der Roten Funken Dieter Szary stellte diese Session fest, dass das Publikum bei Bands wie Cat Balou genauso begeistert feiere, wie bei den ehedem großen Bands. Die Literaten können also im Musikbereich mittlerweile aus dem Vollen schöpfen und von der ersten Minute der Sitzung bis zur letzten Minute Stimmung bieten. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so. Das stärkt den Eventcharakter der Sitzungen und wird vom Publikum positiv goutiert.

Redner sterben aus

Bei den Rednern sieht es genau anders aus: Cantz, Stelter, Metzger, Menth, Schopps Martin oder vielleicht noch der Tuppes vom Land und dann? Die Decke bei den Rednern ist dünn und die Experimentierfreudigkeit der Literaten gering. Und Stand up Comedy, wie sie ein Marc Metzger bringt, hat auch eine hohen Abnutzungseffekt. Dies und die Bereitschaft weniger Korps und Tanzgruppen in die Sitzung einzuplanen, stärken den musikalischen Eventcharakter und machen aus der ein oder anderen Sitzung eine Tanzung. Es wird viel von Brauchtum, Tradition und Brauchtumspflege gesprochen, aber wird man dem, mit hauptsächlich schlagertauglich seichter kölscher Popmusik, noch gerecht? Hält eine Musikgruppe den Jecken, den Mächtigen, der Gesellschaft den Spiegel vor oder nicht doch eher ein Redner? Peter Raddatz spricht von Comedisierung des Karnevals durch professionelle Redner. Ist der Kölner Karneval bald die Verlängerung des Köln Comedy Festivals und ist das einzige Unterscheidungskriterium dann ein eingehochdeutschtes Kölsch als Sprache? Dazu verteilen die Karnevalskapellen ausnahmslos wohlriechende Balsamtexte mit Hätz, Jeföhl und kölscher Siel auf der jecken Oberfläche, garniert mit Mitgröhl „Johos“ und „Hohos“, damit auch der, der sich gar keinen Text merken kann, heiser nach Hause kommt. Die Hauptsach is – chillig ists. Also alles schlecht? Nein, aber es gibt Veränderungen, die sich schon in den letzten Jahren ankündigten und mittlerweile manifestieren.

Straßenkarneval als Event

Karneval ist in der modernen Eventkultur angekommen, nicht nur in den Sälen und selbst nur ein Event unter vielen. Auch der Straßenkarneval ist es. Das sah man besonders an Weiberfastnacht in der leeren Altstadt. Dort, wo sonst Tausende sich gehen lassen und den Event Fasteleer erleben wollen, hatten die schlechten Nachrichten nach Silvester für leere Plätze gesorgt. Man darf sich hier nicht von den medialen Inszenierungen des öffentlich-rechtlichen und eng mit dem Festkomitee verschlungenen WDR täuschen lassen. Ja vor der Bühne um 11:11 Uhr war es voll, weil die dort Anwesenden Karten erstanden hatten. Auch gab es die ein oder andere Schlange vor der ein oder anderen Kneipe, aber mit den Jahren zuvor war dies nicht zu vergleichen. Tausende waren eben auch nicht gekommen. Schlechte Nachrichten gleich kein guter Event, also kommen wir nicht. Ähnliches gilt für den Rosenmontag, lediglich Karnevalssamstag war es voll. Wenn Tausende nicht kommen, bedeutet dies auch einen wirtschaftlichen Schaden für die Stadt und die in ihr ansässigen Unternehmen. Dies ist die Kehrseite der Medaille, wenn man heute die Jubelmeldungen zur Sicherheitslage liest. Hier reibt man sich auch ein wenig verwundert die Augen. Da spricht die Polizei von einer niedrigen Eingreifschwelle. Was ist das und kann Polizei selbst definieren, ab wann sie einschreitet oder nicht? Ist man mit weniger Personal dann auf einem Auge blind und achtet die Gesetze nicht so streng? Wer sich heute in der städtischen Verwaltung auf die Schultern klopft, der sollte bedenken, dass er bis zum nächsten Elften im Elften in der Pflicht ist, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.

Die Rolle der Ehrenamtler verblasst zusehends

Kritisch muss man die Rolle der Ehrenamtler im Karneval und ihre Wertschätzung sehen und dies nicht erst seit dieser Session. Sie sind es, die den Karneval in seiner Vielfalt erhalten und durch ihr Engagement fördern. In den Korps und den Tanzgruppen sind sie schon auf den Bühnen immer weniger präsent. Jetzt wird ihnen auch noch am Rosenmontag der Garaus gemacht und das sogar an der Tribüne der Oberbürgermeisterin, die sich durch ihre erste Session tanzte. Kommt ein Regimentsspielmannszug oder eine Kapelle von weit her, dann dröhnt diesen Konservensound von Brings aus den Lautsprechern der Tribüne entgegen. Manche haben tapfer weitergespielt, sind aber gegen das Dolby-Sourround-System machtlos. Muss das sein? Interessant war auch die schwindende Rolle des Kölner Dreigestirns zu beobachten, sowohl medial als auch im Reigen des Sitzungsgeschehens. Eine tragende Rolle spielte das Trifolium auf den meisten Sitzungen nicht. 

Den Kölner Rosenmontagszugwagen fehlt der künstlerische Impetus

Und es gibt noch eine Schwachstelle. Es sind die Persiflagewagen des Kölner Rosenmontagszuges. Sie sind langweilig und zeigen alle die gleiche Handschrift. In Düsseldorf ist das so gewollt, wer kennt nicht den Wagenbaumeister Jacques Tilly. Aber Köln zeichnete sich einmal durch unterschiedliche Handschriften aus und durch künstlerische Vielfalt. Heute fehlt das künstlerische Element. Man gestaltet bieder mit dem Blick von den Details ins Große, statt umgekehrt, wie es schon jeder Akademieschüler lernt. Hier sind Hobbykünstler mit stumpfer Feder am Werk, aber keine großen Gestalter mit Weitblick mehr. Zudem lässt die handwerkliche Qualität zu wünschen übrig, betrachtet man etwa den Reker Wagen, bei der die Oberbürgermeisterin kaum mehr wiederzuerkennen war, geschweige denn die Karikatur skulptural spannend umgesetzt. Es mangelt an Inspiration und Innovation. Warum kooperiert das Festkomitee so wenig mit den Kölner Kunsthochschulen. wie Ecosign, KHM oder KISD, die teilweise hervorragende frischen Ideen haben?

Es folgen zweimal Sommerkarneval und einmal Frühjahrssause

Jetzt feiert Köln erst einmal seine Sommerkarnevalevents ohne Festkomitee von Ole bis Sunnesching. Ein Thema, das der Winterkarneval zwar mal sporadisch anschnitt, aber so richtig kontrovers nicht diskutierte. Oder haben Sie eine Persiflage dazu gesehen? Köln, die Hauptstadt der Events, titelte man einst im breitesten Marketing-Deutsch, hat jetzt mehr jecke Events: Kölner Winterkarneval und Kölner Sommerkarneval. Ach ja und am 13. März gehen wir alle Helau Rufen in die Düsseldorfer Altstadt. Denn da ist dann Frühjahrskarneval beim dort nachzuholenden Rosenmontagszug. Die Hauptsach is – et Event ist gut, äh Hätz.

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Autor: Andi Goral