Köln | aktualisiert | Vor der Hahnentorburg ist Flohmarkt. Vinylplatten oder Lüster werden feilgeboten. Auf dem Platz hinter der Hahnentorburg versammeln sich immer mehr Fahrradfahrer. Die setzen sich kurz nach sechs Uhr in Bewegung und zwar ohne das jemand ein Kommando brüllt oder schreit. Mit von der Partie auch Oberbürgermeisterkandidat Jochen Ott von der SPD und Marcel Hövelmann, ein unabhängiger Kandidat. Der fährt seit 2012 rund acht bis zehn mal im Jahr bei der Critical Mass mit.

Seit 2010 in Köln – die Critical Mass

Die Critical Mass fährt seit 2010 durch Köln und ist eine Bewegung, die 1992 in San Francisco entstand. Weltweit sind sie unterwegs, auch in Deutschland finden die Radtouren in über 60 Städten statt. Das Wort Bewegung paßt wie kein anderes auf die Critical Mass. Sie wollen Fahrrad fahren, also sich durch die Stadt auf zwei Rädern bewegen. Am Rudolfplatz fragt eine Frau die an der Straßenbahnhaltestelle auf die KVB Bahn wartet: „Seid Ihr eine Demo?“. Nein antwortet eine junge Frau lächelnd: „Wir fahren Fahrrad durch die Stadt“.

Critical Mass – das ist Querschnitt der Kölner Bevölkerung

Es sind junge Fahrer in hautengen Rennradklamotten, Rickschafahrer ohne Gäste, aber auch mit Gästen, Liegeradfahrer, Alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, Paare, Männer mit Zopf oder Glatze, junge Frauen, Seniorinnen, Alternative, Konservative, Aktivisten vom ADFC oder Studentinnen und Studenten. Sie eint eine Leidenschaft: Fahrrad fahren in der Innenstadt. Sie brüllen keine Parolen. Der ein oder andere hat ein Beschallungsinstrument dabei, vorrangig vertreten bei den Lastenradfahrerinnen und Fahrern. Es sind Kölnerinnen und Kölner, die natürlich ein Anliegen haben: Sie wollen sicher, manchmal schnell und vor allem komfortabel durch die Stadt kommen. Beruflich, wie privat oder als Teilnehmer einer Radtour. Auch Jochen Ott, Oberbürgermeisterkandidat der SPD radelt mit: „Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie die Critical Mass durch die Stadt fährt.“

Kein Hupkonzert als sich die Radler in Bewegung setzen

Es gibt viele Fahrradenthusiasten in Köln. Das wird klar, wer den langen Lindwurm an Radfahrern gesehen hat, der mit viel Spaß, Lust und einem Lächeln auf den Lippen durch Köln radelt. Das Wetter, ein lauwarmer Herbstabend, war natürlich optimal für eine ausgiebige Radtour durch Köln. Und dann muss der Autoverkehr halt mal ein wenig warten und Rücksicht nehmen. Aber auch von den Autofahrern, zumindest am Rudolfplatz keine Hupkonzerte. Wo die Critical Mass hinfährt legt übrigens niemand vorher fest. Wie es auch keinen Anführer oder Anführerin gibt. Jeder ist gleich, jeder kann mal vorne fahren oder sich in die Mitte zurückfallen lassen. Und natürlich ganz am Ende fahren. Es gibt auch keine Auftaktkundgebung mit politischer Rede, auch Jochen Ott oder Marcel Hövelmann werden nicht begrüßt. Gleich unter Gleichen mit zwei oder drei Rädern. Nur eines ärgert die Radler: warum die Kölner Polizei, wenn sie schon eine Radtour begleiten muss, wofür es übrigens keine rechtliche Notwendigkeit gibt, mit Autos und Motorrädern begleitet und nicht nur mit Fahrrädern. Denn die Polizisten auf dem Fahrrad sind eindeutig in der Unterzahl.

Natürlich zeigen die Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer mit ihrer Radtour wie viele sie mittlerweile sind und dass sie immer mehr werden. Und mit diesem leisen und umweltfreundlichen Zeichen, dass Politik und Verwaltung auch den Belangen des Radverkehrs in einer Großstadt wie Köln mehr Beachtung schenken und vor allem mehr Raum einräumen müssen. Und sie zeigen sich der Stadtgesellschaft mit ihrer Radtour und laden sie so ein, einfach mal mitzuradeln und die eigene Stadt ganz anders zu erleben. Eben nicht hinter Glas.
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Autor: Andi Goral