Köln | Robert Kilp, seit 49,5 Jahren für die Stadt Köln im Dienst, seit 14 Jahren Leiter des Amts für öffentliche Ordnung geht am 21. Juli in den Ruhestand. Im Interview erzählt der 65-Jährige über seine Erfahrungen und Zukunftspläne und darüber, wie sich George W. Bush bei Angela Merkel über die Kölner Verrichtungsboxen beschwerte. Das Gespräch führte Daniel Deininger.

report-k.de: Herr Kilp, Sie blicken zurück auf ein halbes Jahrhundert Arbeit im Öffentlichen Dienst. Gibt es etwas, das sich in dieser Zeit dort grundlegend geändert hat?

Robert Kilp: Als ich am 1. April 1965 als 15-Jähriger meine Ausbildung bei der damaligen Einziehungskasse der Stadt in der Johannisstraße angetreten habe, bot sich mir das folgende Bild im Büro: Metall-Schreibtische, Blümchen-Tapete an den Wänden, Rechenmaschinen, die beim Bedienen Ausschläge bei der Erdbebenwacht in Bensberg auslösten (lacht). Dort saßen zwei Mitarbeiter der Behörde, die den ganzen Tag kein Wort miteinander wechselten und Anträge von öffentlich-rechtlichen Trägern wie etwa von Krankenkassen bearbeiteten, die Geld einziehen wollten. In riesigen, so genannten Hebebüchern wurden alle Anträge festgehalten, anschließend wurde alles addiert und daraus ergaben sich dann die Ermittlungsaufträge für die so genannten Vollstrecker der Stadtkammer. Das sieht heute natürlich ganz anders aus. Was moderne Kommunikationsmittel angeht, so teilten sich während meiner Ausbildung zwei Büros einen Telefonanschluss. Heute ist jeder Mitarbeiter mit seinem eigenen PC, Telefon und wo erforderlich auch mit einem Dienst-Handy ausgestattet.

Rückblickend betrachtet: Ist der Öffentliche Dienst etwas, das Sie Ihren Kindern empfehlen würden? Müssten Sie sich heute entscheiden, würden Sie sich noch einmal für Ihren Weg entscheiden?

Wären die Bedingungen heute dieselben wie damals, würde ich es noch einmal machen. Heutzutage gibt es aber einen gravierenden Unterschied zu damals: Die Zugänge zu den unterschiedlichen Dienstlaufbahnen haben sich geändert, vor allem was die dafür erforderlichen Schulabschlüsse anbelangt. Damals konnte man mit dem Abschluss der Mittleren Reife in Kombination mit einem zweijährigen Praktikum bei der Stadt Inspektoranwärter werden, heute benötigen Sie dafür die Hochschulreife.

Bezogen auf mich: Meine Karriere bis zum Leiter des Amtes für Öffentliche Ordnung mit meinen damaligen Zugangsvoraussetzungen wäre heutzutage nicht mehr möglich. Diese Art der Durchlässigkeit von Unten nach Oben existiert heute nicht mehr. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es heutzutage im Mittleren Dienst überproportional viele Mitarbeiter über Abitur verfügen. Mittlerer Dienst mit mittlerer Reife findet kaum noch statt. Früher diente der Schulabschluss als erste Einstufung für die Dienstlaufbahn, nach oben hin, was die Aufstiegsmöglichkeiten anbelangte, war es offener geregelt.

Ich erinnere mich: Als meine Tochter 17 Jahre alt war, hatten wir auch eine Diskussion darüber, welche Karriere sie nach dem Abitur einschlagen sollte. Ich hab meiner Tochter damals gesagt: Du musst dir dessen bewusst sein, wie die Mechanismen in einer solchen Behörde ablaufen. Da ist es nicht zwangsläufig gegeben, dass man mit Abitur im Höheren Dienst landet. Da muss man vieles tun, dazu zählt auch manchmal eine gewisse Kompromissbereitschaft in Richtung Politik (schmunzelt). Das muss man ganz deutlich dazu sagen. Ich habe ihr auch gesagt, dass ein Studium für einen Beruf, der die Menschheit weiterbringen könnte, für das Leben besser wäre. So ist sie dann Medizinerin geworden.

Was waren für Sie in Ihrer Zeit als Amtsleiter die herausragendsten oder auch die schwierigsten Aufgaben, die sie zu bewältigen hatten?

Zu den schwierigsten Aufgaben zählen sicherlich die Prozesse im Vorfeld der Abschiebung von Metin Kaplan im Jahre 2004. Über 1.300 Aktenseiten waren dafür abzuarbeiten. Dazu gehörte sicherlich auch die Überzeugungsarbeit bei der Umorganisation des Amtes, auch dahingehend, dass ein einheitliches Auftreten des Ordnungsdienstes uns weiterbringt.

Eine Herausforderung war sicherlich auch die Bewältigung der Unterbringung von unerlaubt eingereisten Flüchtlingen in Köln in den frühen 2000er Jahren – zusammen mit dem Wohnungsamt der Stadt. Damals war die Lage sehr zugespitzt, vielleicht zugespitzter als die Lage heute, wo man mehr darüber weiß, wie man mit dem Thema umgeht.

Für einiges an Wirbel hatte auch die Diskussion um die so genannten Verrichtungsboxen geführt. Auch medial gab es großes Interesse. Wir hatten Anfragen von BBC, der Washington Post. Die prominenteste Erwähnung haben wir deshalb aber durch George W. Bush erfahren, der sich bei Frau Merkel darüber beschwerte, dass das US-Fußball-Team, das 2006 bei der WM in Deutschland währte, von der Existenz einer solchen Einrichtung und der Berichterstattung darüber zu sehr in ihrem Spiel irritiert wurden.

Dazu gehört aus meiner Zeit als Fachbereichsleiter in der Innenstadt auch die Begebenheit, dass wir dort in der Meldehalle eine DDR-Spionin enttarnt hatten und zwar im Rahmen der Ermittlungen zur Schleyer-Entführung. Die Frau war unter anderem dadurch aufgefallen, dass sie Am Renngraben in Erftstadt gewohnt hatte, dem Ort, an dem Hans-Martin Schleyer während seiner Entführung für mehrere Tage festgehalten worden war. Bei einer weiteren Überprüfung der Frau stellte sich dann heraus, dass sie durch den DDR-Geheimdienst eingeschleust worden war und ihrerseits weitere Personen über die Meldehalle in der Innenstadt eingeschleust in der Bundesrepublik etabliert hatte.

Was hat sich während Ihrer Zeit als Amtsleiter des Ordnungsamtes verändert, was Zuständigkeiten und Aufgaben anbelangt?

Ich kann die Entwicklung des Ordnungsamtes verfolgen, seit 1976, als ich als junger Beamter Fachbereichsleiter Sicherheit und Ordnung für die Innenstadt geworden bin. Meine Feststellung ist, dass sich die Polizei immer stärker aus dem Bereich der Ordnungswidrigkeiten und Ordnungsfragen zurückzieht und das Thema der Kriminalitätsbekämpfung als wesentliches Kerngeschäft betrachtet. Dadurch entsteht eine Lücke dort, wo die Bevölkerung durchaus davon ausgeht, dass der Staat hilft: so etwa bei Obdachlosen am Rande der Ringe oder auch bei Lärmbelästigung. Der Bürger hat durchaus einen gewissen Anspruch, dass der Staat ihn vor negativen Einflüssen beschützt. Das bedeutet, was die Außendiensttätigkeiten des Ordnungsamtes angeht, von dem üblichen Dienst bis 17:00 Uhr von montags bis freitags immer mehr abrücken muss und auch spätere Zeiten und das Wochenende mit dem Ordnungsdienst abdecken muss und das bis spät in die Nacht. Das hat uns konkret dazu bewogen, die gesamten zentralen Ermittlungsdienste der Stadtbezirke zusammenzulegen und darüber hinaus eine einheitliche Service-Nummer einzuführen, die täglich bis tief in die Nacht besetzt ist, auch an Feiertagen wie Weihnachten. Gleichzeitig sind wir auch dazu übergegangen, unsere Mitarbeiter draußen sichtbar zu machen, also Fahrzeuge und Kleidung der Mitarbeiter so zu gestalten, dass sie als Mitarbeiter des Ordnungsamtes klar erkennbar und sichtbar macht. Auch als Signal: wir wollen uns nicht vor den Bürgern verstecken, sondern: Wir wollen uns den Wünschen und Bedürfnissen der Bürger stellen. Das ist im Vergleich zu früher, als die Mitarbeiter noch in privater Kleidung und einem amtlich genehmigten Privatfahrzeug unterwegs waren, schon ein erheblicher Unterschied.

Das macht auf mich den Eindruck, als fühlten Sie sich in bestimmten Belangen von der Polizei alleine gelassen.

Von einem Alleinlassen kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Die Zusammenarbeit mit der Polizei auf gemeinsamen Feldern ist gar nicht so schlecht, aber es ist ein schleichender Aufgabenübergang zu beobachten. Und das, ohne dass es eine inhaltliche einheitliche Diskussion auf Landesebene darüber gibt, wie viel Polizei und viel kommunalen Ordnungsdienst man in den Kommunen im Land haben möchte. Wollten wir, was das anbelangt, mit Städten wie etwa Düsseldorf gleichziehen, müsste der Ordnungsdienst mindestens 150 zusätzliche Mitarbeiter bekommen. In Frankfurt etwa gibt es die Ordnungsdienste in Form einer Stadtpolizei, was wir aber als kommunale Polizei nicht wollen.

Das bedeutet also, die Kommunen übernehmen mehr und mehr Verantwortung, was die Sicherheit in der Stadt anbelangt?

Die Kommunen übernehmen schon mehr Verantwortung, was das Thema Ordnung angeht, zum Teil auch schon, was die Sicherheit anbelangt.

Wie steht es um die allgemeine Akzeptanz des Kölner Ordnungsamtes in der Bevölkerung?

Wenn man die Anzahl der Anrufen bei der Hotline des Ordnungsamtes als Maßstab für die Akzeptanz nimmt, dann sind Ordnungsamt , Ordnungsdienst und auch Verkehrsdienst der Stadt Köln mit einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung versehen. Die Bevölkerung akzeptiert uns und fragt auch unsere Dienstleistung nach, mehr als wir eigentlich leisten können. Es bleiben sicherlich am Abend immer ein paar wenige Aufträge liegen, um die man sich nicht kümmern kann. Das ist nicht schön, zeigt aber auch in gewisser Weise, dass die Leute viel Vertrauen in uns und das System setzen und das auch nutzen. Und dieses System hilft ihnen dann entsprechend der Ressourcen, die ihm vorliegen. Es ist für mich eine erfreulich, dass das, was wir uns ausgedacht haben, auch positiv bei der Bevölkerung ankommt.

Wie ist die Akzeptanz des Ordnungsdienstes im Einsatz vor Ort? Etwa bei einer Evakuierung?

Im Falle von Evakuierung bei Bombenfunden zeigt die Erfahrung: Je vornehmer das Wohnviertel, desto größer sind die Schwierigkeiten, die Menschen davon zu überzeugen, das Haus zu verlassen. Eine Bombe in Hahnwald etwa bedeutet eigentlich immer, dass man auf Menschen trifft, mit der Haltung: Ich möchte damit nichts zu tun haben, ich gehe zurück in mein Haus. Man hat da an dieser Stelle ein absolut falsches Selbstbewusstsein. Allgemein gilt: einzelne gibt es immer, die sich sträuben und versuchen, sich zu verstecken. Aber im Allgemeinen ist ein Bombenfund in Köln aus Sicht des Ordnungsamtes ein Routine-Einsatz, anders als in anderen Städten.

Allgemein gilt: Die Situation draußen ist spürbar rauer geworden. Viele Sachverhalten lassen sich heute nicht mehr einzeln regeln. Zwei Mitarbeiter müssen es eigentlich immer sein, mit der Option, über Funk zusätzliche Kräfte anzufordern. Auch würde ich, wie früher durchaus üblich, abendliche oder nächtliche Gaststättenkontrollen durch zwei Mitarbeiter als Amtsleiter nicht mehr zulassen. Das ist viel zu riskant geworden. Heutzutage sollte so eine Kontrolle schon mit mindestens vier Personen ablaufen, wenn nicht sogar mit Unterstützung durch die Polizei.

Nehmen tätliche Übergriffe auf ihre Mitarbeiter zu?

Ja. Da gibt es immer öfter Leute, die – teilweise grundlos – ausrasten. Die Polizei macht da ja ähnliche Erfahrungen. Genauso wie der allgemein rauere Umgangston. Beispielsweise kommt es vor, dass ein Obdachloser, nachdem er am Zülpicher Platz gegen eine Kirchenmauer uriniert hat, durch einen Mitarbeiter angehalten wird, dann ausrastet und dem Mitarbeiter so stark ins Gesicht schlägt, dass er mit dem Kopf gegen eine Wand prallt. Solche Dinge kommen vor.

Das Freizeitverhalten der Menschen hat sich verändert, viele Veranstaltungen beginnen zu späteren Uhrzeiten. Gibt es dadurch mehr Fälle von Ruhestörung zu denen Ihre Mitarbeiter gerufen werden?

Das nicht nur alleine mit dem Freizeitverhalten zu tun, sondern damit, dass diese Stadt tatsächlich rund um die Uhr lebt. Gleichzeitig gibt es Menschen jenseits der 40, die einen anderen, eher traditionellen Lebensrhythmus haben. Die wollen einfach nachts schlafen. Und wir haben auch Stadtteile, die sehr eng sind und wo dann das Wohnen, Arbeiten und die Freizeit miteinander kombiniert sind. Das führt zu Konflikten. Aber auch die Arbeit ändert sich. Da gibt es ja auch Menschen, die von zu Hause aus bis spät abends arbeiten und dann – etwa zum Brüsseler Platz gehen – um sich einen Ausgleich zu verschaffen. Das sind dann auch Dinge, die Konflikte bedeuten und mit denen man sich in den nächsten Jahren auch verstärkt  auseinandersetzen muss, um in der Stadtgesellschaft einen gewissen Konsens herstellen zu können.

In Hinblick auf die Sicherheit. Hat sich nach der Loveparade-Katastrophe etwas in Ihrer Behörde grundlegend verändert?

Grundsätzlich nicht. Die Punkte, die in dem aktuellen Orientierungsrahmen für Großveranstaltungen festgehalten sind zum Großteil deckungsgleich mit dem sind, was wir hier bereits bei den Ringfesten entwickelt haben, etwa Dinge wie die Einrichtung eines Lagezentrums bei Großveranstaltungen. Was man aber in allen Behörden bemerken kann: In allen Behörden arbeiten ja Menschen. Die Loveparade-Katastrophe ist etwas, dass die einzelnen  Menschen sehr beeindruckt hat und zum Teil entstehen dann Mechanismen wo man angehalten ist zu sagen: Bitte nicht überdrehen und zu übervorsichtig werden, um dann dadurch vielleicht Probleme größer zu machen, als sie in Wirklichkeit sind. Diese Mechanismen sind natürlich nachvollziehbar und müssen mit den jeweiligen Leuten dann mit der nötigen Sensibilität diskutiert werden.

Am 21. Juli ist Ihr letzter Arbeitstag. Was kommt danach?

Zunächst bin ich ja nach wie vor als Aufsichtsratsvorsitzender einer kleinen Wohnungsgenossenschaft tätig Da gibt es viele Dinge, die das Themen Wohnen berühren, etwa die steigenden Mieten. Die kann sich auch in einer Wohnungsgenossenschaft beispielsweise eine Wittwe mit 1.500 Euro Rente nicht mehr leisten. Das wird uns in der Wohnungsgenossenschaft auch in den nächsten Jahren berühren. Da ist schon heute bei Sanierungsprojekten die zentrale Frage: Wie viel Miete pro Quadratmeter werden es schlussendlich? Da gibt es viel zu tun.

Privat werden ich mich mehr um unsere beiden Enkelkinder kümmern. Unsere Tochter und unser Schwiegersohn arbeiten als Ärzte. Trotz einer guten Betriebs-Kita an der Uniklinik, bei unterschiedlichen Arbeitszeiten bleibt immer noch eine Lücke und da kommen dann die Großeltern ins Spiel. Da freut man sich vonseiten der Eltern schon darauf, dass es da bald eine zusätzliche Hilfskraft gibt.

Drittens habe ich mit 50 angefangen, Golf zu spielen, was aber zugunsten der Arbeit doch längere Zeit zu kurz gekommen ist. Das möchte ich ihn Zukunft intensivieren, auch aufgrund der persönlichen Fitness. Man will ja nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen.

Zum Schluss: Was war das teuerste Knöllchen, das Sie je bekommen haben und wofür?

Ich glaube, der Blitzer an der Boltensternstraße hat mir das teuerste Knöllchen beschert. 25 Mark musste ich damals bezahlen. Damals kam ich von einer hitzigen Diskussion über das Für und Wider der Verrichtungsboxen. Noch etwas aufgewühlt habe ich mich dann ans Steuer gesetzt, da hat es geblitzt. Daher mein dringender Rat: Man sollte sich nach solch einer Diskussion erst einmal ein paar Minuten Ruhe schenken, bevor man losfährt.

Herr Kilp, wir danken Ihnen für das Interview.

Autor: Daniel Deininger