Köln | Tanz-Ensembles und Performance-Künstler aus ganz Deutschland bringt das Festival tanz-tausch vom 13. bis 18. Dezember 2016 nach Köln. Sechs Tage lang sind an verschiedenen Spielorten zeitgenössischer Tanz und Performance-Kunst von freien Gruppen zu sehen. Erdacht und organisiert wird tanz-tausch von Mechtild Tellmann, einer selbstständigen Kulturproduzentin mit Büro in der Kölner Südstadt. Im Interview mit Christoph Mohr spricht sie darüber, warum die freie Tanz-Szene immer noch den Status eines „Stiefkindes“ hat, ob der Tanz durch neue Trends aussterben wird und was die Besucher des Festivals tanz-tausch in diesem Jahr Neues erleben können.

Christoph Mohr: Sie haben tanz-tausch 2010 gegründet. Was war/ist die Idee von dem Festival?
Mechtild Tellmann: Die Idee entsprang ganz ursprünglich aus der Erkenntnis, dass deutsche Kompanien viel mehr im Ausland auftreten, als in ihrem eigenen Land. Zusätzlich dann noch der Fakt, dass es unterschiedliche Strömungen in den einzelnen Regionen Deutschlands gibt. Wir möchten einen Austausch zwischen den verschiedenen Regionen bzw. den Künstlern und Orten schaffen und die unterschiedlichen Strömungen und Stile präsentieren. Die Präsentation der Stücke erfolgt dann immer in Double- oder tripple-bill-Abenden, bei denen die Stücke aus den unterschiedlichen Regionen auch immer entweder thematisch oder stilistisch eine Gemeinsamkeit haben. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Austausch mit dem Publikum, wir möchten, dass das Publikum aktiv an Diskussionen und dem Austausch teilnimmt – deswegen auch die Formate „Einführung“ und „Nachgespräche“ mit und ohne Künstler.

Das Festival findet in diesem Jahr also bereits zum 5. Mal statt. Was ist in diesem Jahr anders als in den Vorjahren?
In diesem Jahr liegt ein besonderer – anfangs unbewusster – Schwerpunkt auf Choreographinnen, die sich mit dem Frauenbild in der Gesellschaft, aber auch mit unserer Wahrnehmung von Körper auseinandersetzen. Körperkult, Bodybuilderinnen, männliche Dominanz im urbanen dance etc. Zusätzlich gibt es das erste Mal anstellen einer Workshop-Reihe ein 2-tägiges Fachsymposium mit den Themen „öffentliche Präsenz der freien darstellenden Künste in der Presse“ und „Publikumspflege/-ansprache“ – beides Themen, die uns bzw. den freien Künsten sehr am Herzen liegen. 

Sie firmieren als selbstständige Kulturproduzentin mit eigener Agentur in der Kölner Südstadt. Welche Rolle haben Sie als Organisatorin beim Festival tanz-tausch?
 Ich bin sowohl die künstlerische Leiterin, als auch die Organisatorin des Festivals. Die Vorbereitungen beginnen teilweise schon 6-8 Monate vor dem Festival, was bedeutet, dass ich nicht nur gemeinsam mit meiner Ko-Leiterin Alexandra Schmidt die Stücke auswähle, nach unseren eigenen künstlerischen Richtlinien, die einzelnen Abende zusammenstelle, sondern auch gemeinsam mit unserer Festival-Assistenz die Verträge erstelle, das gesamte Team inkl. Technikern, Kassendienste, Flyerverteiler etc. zusammenstelle, die Abholungen organisiere. In Absprache mit dem technischen Leiter die Planung für Proben, Aufbau etc. erstelle – kurz die gesamte Logistik des Festivals organisiere/überwache und koordiniere. Ohne unser großartiges Team von insgesamt 15 Personen wäre das gar nicht möglich. 

Wer ist Ihr Publikum?
Unser Publikum besteht aus ganz unterschiedlichen Menschen/Gruppen. Tanzinteressiertes Publikum, sogenanntes „Fachpublikum“ wie TänzerInnen, KünstlerInnen, DarstellerInnen, DramaturgInnen, Förderer etc., Wir kooperieren z.B. auch mit KultCrossing und der Tanssociety des Kölner KunstSalons etc. Inzwischen haben wir auch „Stammpublikum“, die sobald es möglich ist, direkt einen Festivalpass für alle Tage ordern – wir freuen uns auch immer über „Neuzugänge“. Gerade weil wir großen Wert auf die Einbindung des Publikums legen, ist man als „Erstschauer“ besonders gut bei uns aufgehoben.

Wie finanziert sich das Festival?
Das Festival finanziert sich zu einem Großteil aus öffentlichen Förderungen, Unterstützung von Stiftungen, aber auch über die Eintrittseinnahmen. Eine reine Finanzierung über die Eintrittsgelder wäre gar nicht möglich, da wir dann zum einen die Eintrittspreise extrem hoch ansetzen müssten und zum anderen legen wir großen Wert darauf, die KünstlerInnen und alle anderen Beteiligten fair zu bezahlen. Die Menschen die das Festival mit uns gemeinsam gestalten, sind alle hauptberuflich in den darstellenden Künsten tätig und bestreiten auch ihren Lebensunterhalt aus diesen Tätigkeiten. Dennoch sind wir im Bezug auf andere Festivals, Veranstaltungen  oder Institutionen wie Schauspielhäuser etc. eher ein kleines Licht, was die Förderungen betrifft.

Ein besonderes Element des Festivals sind die „Nachgespräche“. Was genau ist das?
 Die Nachgespräche sind für uns immer das Highlight eines Abends. Hier steht das Publikum absolut im Vordergrund. Gemeinsam mit der Tanzwissenschaftlerin Maren Zimmermann – die auch die Einführungen gibt – kann das Publikum hier in entspannter Atmosphäre über alles sprechen und alles fragen, was ihm auf dem Herzen liegt. Da die Künstler selber erst nach frühestens 20 Minuten zu dem Gespräch dazu kommen, gibt es auch keine Hemmschwelle bzgl. Fragen und Anmerkungen, die dem Zuschauer in Anwesenheit des Künstlers evtl. peinlich oder unangenehm wären. Im Anschluss kann das Publikum dann ganz entspannt mit einem Getränk und Knabbereien mit den Künstlern an einem Tisch Platz nehmen und sich unterhalten. Dieses Format haben wir in den letzten Jahren erprobt und  – nach Rücksprache mit dem Publikum  – dementsprechend weiterentwickelt.  Unser Publikum liebt dieses Format und wir sind selber immer wieder positiv erstaunt, welche Fragen im Rahmen der Gespräche aufkommen. Man selber wird ja mit der Zeit etwas „betriebsblind“ und diese Gespräche erden uns dann immer wieder und geben uns auch interessanten Input für die Weiterentwicklung des Festivalformats. 

Und was soll man unter einer „physical introduction“ verstehen, die es zu einigen Veranstaltungen des tanz tausch-Festivals gibt?
Wir dürfen den Begriff „physical introduction“ nicht mehr nutzen, da er angeblich geschützt ist – was aber noch nicht endgültig geklärt ist – wir haben uns für „praktische Einführung“ entschieden. Die „praktische Einführung“ ist ein Format, welches momentan sehr gehypt ist – dabei geht es eigentlich darum, durch eigenes Bewegen ein neues Verständnis für das Geschehen auf der Bühne zu entwickeln. Wir machen es etwas anders – wir geben eine praktische Einführung in den Umgang mit interaktiven Performances. Für viele Zuschauer ein „Schreckgespenst“, da sie sich teilweise wie ein „Opfer“ der Künstler fühlen. In unserer praktischen Einführung lernen die Zuschauer, diese Rolle abzulegen und aktiv mit dieser Art der Vorstellungen umzugehen und sie dadurch auch wieder zu genießen. 

Tanz-tausch bringt Tanz-Produktionen aus ganz Deutschland nach Köln. Wie steht es gegenwärtig allgemein um die freie Tanzszene in Deutschland?
Das kann man so allgemein gar nicht beantworten, da es die „deutsche“ Tanzszene im meinen Augen so nicht gibt – dazu ist sie zu divers und zu viral. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass der Tanz – trotz einer gesteigerten Aufmerksamkeit auf Bundespolitik-Ebene – immer noch den Status eines Stiefkindes einnimmt, zu wenig Geld, zu wenig Orte, zu wenig Möglichkeiten. Darunter leidet die Entwicklung des Tanzes in Deutschland und auch sein Stellenwert auf internationaler Ebene. Es wäre schön, wenn sich daran – auch durch neue Förderungen durch den Bund – in Zukunft einiges ändern würde. Dabei ist natürlich auch besonders ein Zusammenspiel der Kommunen und der Länder extrem wichtig. 

Wie können sich nicht festangestellte Tänzer und Choreographen finanziell überhaupt über Wasser halten?
In der freien Szene gibt es kaum Kompanien, die es sich leisten können, TänzerInnen fest anzustellen, dafür sind die Mittel im Ganzen einfach zu knapp. TänzerInnen und ChoreographInnen hangeln sich somit meistens von Projekt zu Projekt, unterrichten noch nebenbei in Tanzschulen, geben Yogakurse etc. und werden zu Allroundern. Selbst die ChoreographInnen, die eine mehrjährige Förderung erhalten, können nur wenige Menschen langfristig auf Projektbasis einbinden. Eine langfristige Planung ist für viele schwierig, da die Projektmittel meist jährlich vergeben werden und es übers Jahr verteilt diverse Antragsfristen und Entscheidungsfristen gibt – eine sehr unstete und unsichere Situation. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gerade TänzerInnen diese Situation meistern. 

Die freie Tanzszene ist abhängig von Geldgebern. Wie stark ist deren direkter oder indirekter Einfluss auf die Produktionen?
Eine sehr gute Frage, die wir im Rahmen des Festivals auch am Donnerstag, 15. Dezember 2016, diskutieren werden. Momentan gibt es verschiedene Trends bei den Förderungen, die wir mit Skepsis betrachten. Zum einen soll der Tanz als Allheilmittel für die Lösung aller sozialen Probleme herhalten, da Tanz keine Sprachbarriere hat, im Prinzip jeder tanzen kann und dadurch positive gemeinsame Erlebnisse kreiert werden können, als auch traumatische Thematiken aufgearbeitet werden können. Zum anderen gibt es gerade viele Ausschreibungen, die sich speziell auf Arbeiten mit Flüchtlingen beziehen – was wir gutheißen, aber diese bedeutet auch, dass Themen und Inhalte von Förderern vorgegeben werden und es nicht mehr darum geht, welche Thematiken die KünstlerInnen gerade interessieren oder aber auch überhaupt etwas dazu zu sagen haben. Ist das schon Einflussnahme oder eine Reaktion auf eine Fülle von Anträgen, die sich mit der Thematik beschäftigen – wir wissen es nicht und sind gespannt, ob die Diskussionen uns allen neuen Erkenntnis liefern wird. 

An mehreren deutschen Theatern, allen voran bei den Münchner Kammerspielen, wo es zu einem mittleren Skandal wurde, ist eine Tendenz zu beobachten, weg von den Schauspielern, die eine Rolle spielen und eine Geschichte erzählen, hin zu „Performern“, die mit ihren Körpern etwas zum Ausdruck bringen. Sie nennen tanz-tausch ein Tanz- und Performance-Festival. Gibt es diese Entwicklung beim Tanz(theater) auch?
Wir haben uns bewusst dafür entschieden Tanz und Performance zu zeigen, da wir die gesamte Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes abbilden möchten, was z.B. auch zeitgenössischen Stepptanz mit einbezieht. Inzwischen gibt es fließende Übergänge zwischen den Sparten und es gibt extrem gute Produktionen, in denen die Grenze exzellent aufgelöst wurden. Im TanzTheater ist das ja sowieso schon immer der Fall gewesen und „Performance“ ist ja eine Entwicklung, die sich aus den klassischen Sparten Tanz und Theater entwickelt hat. Wir in NRW sind natürlich stark geprägt durch die Arbeit von Pina Bausch, deswegen ist es für uns gar nicht so die Frage, ob es hier eine Entwicklung weg von etwas gibt, sondern eher hin zu neuen Formen. Grundsätzlich ist aber im Bereich „Tanz“ eher eine Entwicklung zurück zur „Körperlichkeit“ und zur „Bewegung“ zu beobachten und auch eine weitere Vermischung mit anderen Sparten wie z.B. mit dem Cirque noveau, der ja extrem körperlich ist.

Zugleich gibt es Performances auch von Künstlern, deren Hintergrund die bildende Kunst ist. Wenn man an Köln und Performance denkt, fällt einem da auch sofort der Kölner Künstler Jürgen Klauke ein. Sehen Sie eine Entwicklung, bei der am Ende gleichsam alles Performance ist?
Ich hoffe nicht, denn dann würde uns allen sehr viel fehlen. Ich denke, dass alles eine Berechtigung hat und das es immer auch KünstlerInnen geben wird, die sich eher der einen als der anderen Sparte zugehörig fühlen und dort auch ihre Fähigkeiten und Talente haben. Gut gemachte „Performances“ sind etwas grandioses, dennoch möchte ich nicht auf reine Tanz- und/oder Theatervorstellungen sowie Ausstellungen verzichten und ich denke, dass ich da einem Großteil des Publikums, als auch den KünstlerInnen aus dem Herzen spreche.

Und was bleibt dann vom Tanz?
Der Tanz ist – ebenso wie allen anderen Künste – in ständiger Entwicklung, aber er wird sich definitiv nicht selber abschaffen. Es wird immer Strömungen geben, die aktuelle Schwerpunkte setzen und die künstlerische Arbeit beeinflussen, aber zum Glück ist die Kunst und die Kunstszene ja ein fluides Gebilde mit großer Diversität und verschiedenen Generationen. Der Tanz wird definitiv überleben – in allen Varianten und Spielarten – egal ob klassisch, zeitgenössische oder performativ und uns hoffentlich noch viele spannende, ergreifende und schöne Momente bescheren.

Autor: Christoph Mohr | Foto: Teresa Rothwangl
Foto: Mechtild Tellmann, Leiterin und Organisatorin des Festivals Tanz-Tausch