Interview mit der Intendantin der Kölner Oper, Dr. Birgit Meyer

Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?

Dr. Birgit Meyer: Die Situation jetzt ist fast noch bedrückender, als das im Frühjahr der Fall war. Man dachte damals, dass man jetzt durch ein tiefes Tal hindurch ist und sich wieder der Normalität annähert. Dass es jetzt ein neues Aufflammen der Pandemie gibt und es wieder zum Lockdown kommt, haben wohl nur wenige erwartet. Jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Für Theater und Oper sind das keine guten Aussichten.

Wie sehen Sie die Chancen im Dezember wieder öffnen zu können?

Meyer: Wir warten jetzt den nächsten Corona-Gipfel im Kanzleramt ab. Aktuell sind uns die Hände gebunden, da man nicht weiß, ob der Lockdown weitergeht oder ob kleinere Bereiche wieder geöffnet werden können. Wir hoffen darauf, dass wir wieder zumindest vor 200 Zuschauern spielen können. Da wäre schon sehr viel gewonnen. Falls das nicht möglich, ist wollen wir die ersten beiden Premieren Anfang Dezember streamen. Auf die Streaming-Angebote bereiten wir uns derzeit vor. Nur so können wir die Probenplanungen aufrechterhalten. Das ist wichtig, da wir alles koordinieren müssen. Das gilt insbesondere für das Orchester, das noch weitere eigene Projekte und Verpflichtungen hat. Wir gehen aber davon aus, dass wir im Lauf des Dezembers die Türen wieder öffnen können.

Wie reagieren die Künstler auf die Situation?

Meyer: Die Teams sehen es sehr positiv, dass der Probenbetrieb weitergeht. Für sie ist das Glück und ein Gewinn. Wir werden die Produktionen auf jeden Fall fertig machen und dann notfalls vor wenigen Zuschauern aus dem Haus zur Aufführung bringen.

Und wie reagiert das Publikum?

Meyer: Wir hatten bei der Zauberflöte in den ersten Wochen sowohl schriftlich als auch mündlich direkt noch abends sehr positive Reaktionen. Es gab 17 Vorstellungen jeweils vor vollem Haus – das bedeutet in Corona-Zeiten zwischen 210 und 240 Zuschauer. Viele sind noch am Abend für Karten angestanden und mussten meist wieder weggeschickt werden. Die Menschen haben sich gefreut, wieder ein komplettes Orchester und ein vergleichsweise großes Ensemble live erleben zu können. Das hat man lange sehr vermisst. Ich bin mir auch sicher, wenn wir ab Dezember wieder öffnen können, werden die Leute ins Staatenhaus kommen. Das liegt auch daran, dass sie sich bei uns sicher fühlen. Wir haben große Flächen, können die Abstände garantieren und es gibt genügend frische Luft im Saal.

Wie sieht derzeit Ihr beruflicher Alltag aus?

Meyer: Die Zeit mit der Zauberflöte war sehr erfüllt, weil ich wieder einen laufenden Opernbetrieb erleben konnte. Wir haben unser Publikum vermisst und beim Publikum war es umgekehrt genauso. Für uns war das Feedback eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit. Jetzt herrscht eine große Unsicherheit und wir müssen lernen, als schöpferische Menschen Geduld zu haben und uns bei der Planung zurückhalten. Gleichzeit geht es darum, auch jetzt Optimismus und Freude im Haus zu vermitteln. Das ist oft ein Spagat. Durch die Lösung, die Premieren im Dezember zu streamen, sind wir sehr erleichtert, weil wir trotzdem etwas auf die Beine stellen können und so einen Produktionsstau vermeiden. Und wir können wieder etwas von unserem Schaffen nach außen an die Öffentlichkeit geben.

Wie fällt der Ausblick ins kommende Jahr aus?

Meyer: Ich hätte nicht mit so einer zweiten Welle gerechnet, aber jetzt ist klar, dass uns die Pandemie bis zum Ende der Spielzeit im Sommer begleiten wird. Große Produktionen wie Carmen, wo 80 Leute gleichzeitig auf der Bühne singen, werden unter diesen Umständen nicht möglich sein. Wir haben zunächst die laufende Spielzeit bis Karneval geplant. Bis dahin sind wir gut unterwegs. Die Zauberflöte war eine gute Entscheidung und bei „Written on Skin“, „Die Tote Stadt“ und „Pünktchen und Anton“ werden die Premieren stattfinden können. Machbar sind außerdem „Der Sturm“, die „Comedian Harmonists“ und „La Traviata“ in der konzertanten Aufführungen. Das ist alles unter Corona-Bedingungen inszeniert worden. Danach folgt Cäcilia Wolkenburg und bei „Carmen“ gehe ich davon aus, dass wir stattdessen die „Zauberflöte“ spielen werden. Die Entscheidungen für die Zeit nach Karneval fallen aber erst zum Jahresende.

Welche Rolle spielt die Kultur in Krisenzeiten?

Meyer: Wir hatten gehofft, dass Theater weiter geöffnet bleiben können – auch weil wir gezeigt haben, dass wir gute Hygienekonzepte haben und keine Superspreader sind. Die Kultur ist gerade in schwierigen Zeiten wichtig, weil sie Trost spendet und weil sich Menschen bei uns aufgehoben fühlen. Bei uns erleben sie in Gemeinschaft, aber trotzdem mit Abstand, die schönen Künste und können sich darüber in der Pause wiederum mit Abstand darüber austauschen. Da geht etwas verloren, wenn es in einer Stadt kein Theater, keine Oper und auch keine Popkonzerte mehr gibt. Das Publikum vermisst das schmerzlich. Man hat die Schließung mit den Kontakten vor Ort und der Anreise mit dem ÖPNV begründet. Da frage ich mich, warum es verkaufsoffene Sonntage geben darf, zu denen Menschen in vollen Zügen anreisen und in vollen Fußgängerzonen unterwegs sind. Wichtig wäre es auch für die Künstler, die ihren Beruf ausüben wollen. Ich sehe wie beglückt die Menschen im StaatenHaus sind, wenn in allen drei Sälen geprobt wird.

Sie sind auch Ärztin. Wie sehen Sie die Chancen durch den neuen Impfstoff?

Meyer: Wir müssen erst abwarten, wie effektiv der Impfstoff ist. Schützt er vor der Infektion oder verhindert er „nur“ einen vehementen Krankheitsverlauf? Wie lange hält eine Impfung vor…? Das wird noch Jahre dauern, bis wir das final beurteilen können. Solange werden Abstand und Masken wohl zu unserem Leben gehören. Wichtig für die Rückkehr zur Normalität wären neben dem Impfstoff auch die Schnelltests.

Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: Teresa Rothwangl