Köln | Yilmaz Dziewior präsentiert als neuer Museumsdirektor seine erste große eigene Ausstellung: Danh Võ und seine für das Museum Ludwig konzipierte Ausstellung „YDOB EHT NI MRAW SI TI“. Danh Võ ist klassischer Konzeptkünstler, kein Zeichner, kein Maler und kein Bildhauer. Danh Võ zitiert Bekanntes, fragmentiert es und lässt dem Betrachter den maximalen Interpretations-Spielraum.


Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig mit dem Künstler Danh Võ

Am Besten beschreibt man die Arbeiten von Danh Võ erst einmal nur sachlich und formal nach ihrer äußeren Erscheinung, denn jede darüber hinausgehende Formulierung wird sofort persönliche Interpretation. Der Künstler macht es genauso: Er stellt uns etwas Bekanntes vor die Nase, damit wir es sehen. Er fragmentiert es, manchmal überhöht er es, damit wir es besser sehen, oder durch die fehlenden Bestandteile das Konzept verstehen. „We the people“- das zentrale Stück der Kölner Ausstellung ist ein Teil der Freiheitsstatue von New York. Chinesische Handwerker haben die Freiheitsstatue in Kupferblech 1:1 nachgebildet. Es gibt 150 Einzelteile, die mittlerweile über die gesamte Welt verstreut sind.

Danh Võ spricht von multiplen Erklärungsansätzen

Danh Võ sagt in Köln, es gebe immer multiple Erklärungen zu seinen Arbeiten, nachdem ihn Museumsdirektor Yilmaz Dziewior schwärmerisch fast eine Stunde nach seinen persönlichen Eindrücken interpretiert hat oder ein Journalist fragte ob es einen direkten Bezug zu dem Titel seiner Ausstellung, einem Zitat aus dem Exorzist zur Nachbarschaft des Kölner Domes gebe. „YDOB EHT NI MRAW SI TI“ ist richtig herum geschrieben „It is warm in the body“. Ein Zitat aus dem Exorzist. Yilmaz Dziewior, gewandt im Umgang mit großartigem Storytelling, macht daraus gleich seine Geschichte: Als er den Titel in der E-Mail gelesen habe, habe er sich sofort auf die Suche nach der Bedeutung gemacht. Google befragt, in alle möglichen Fremdsprachen übersetzt, aber nichts Gescheites herausbekommen. Am Ende sei ihm die Erhellung gekommen: Verkehrt herum lesen. Die anwesenden Kunstkritiker freuen sich und signalisieren, sie hätten es dem Museumsdirektor gleich getan.

Bekanntes fragmentiert

Danh Võ zitiert Bekanntes und macht damit dem Massenpublikum seine Kunst einfach zugänglich. Jeder kennt die Freiheitsstatue, jeder kann etwas mit dem Begriff Exorzist anfangen, jeder kennt Aschenputtel und jeder kennt antike Statuen. Auch Jesus am Kreuz ist kein unbekanntes Symbol. Jetzt setzt Danh Võ seinen Kunstgriff an und fragmentiert diese bekannten Dinge. Damit schafft er Aufmerksamkeit und setzt das Nachdenken in Gang ohne eine Lösung anzubieten. Ganz im Gegenteil, das Fragment fordert auf, es als Ganzes zu denken, sich an ihm zu reiben, wie etwa dem Jesus ohne Arme am Kreuz oder reizt zu persönlicher Interpretation. Jeder von uns verbindet mit der Freiheitsstatue einen anderen, einen persönlichen Gedanken, dazu kommt historisches Wissen in unterschiedlicher Dichte und gelernte öffentliche Interpretation. Im Fall der Freiheitsstatue ein hoher symbolischer Wert. Und dies ist bei allen Stücken der Ausstellung so, weil wir sie als Ganzes kennen und schon intellektuell und durchaus auch emotional in unseren persönlichen kulturellen Kontext eingeordnet haben.

Danh Võ schafft also nicht seine eigene künstlerische Welt, sondern bildet die bekannte Welt ab. Insofern ist es konsequent, dass er nicht selbst Hand anlegt, sondern seine Kunst herstellen lässt. Der eigene Vater, Schönschreiber in Vietnam schreibt die Aschenputtel Edition mit goldener Tinte auf Papier, die Freiheitsstatue wird von chinesischen Arbeitern hergestellt, die Statuen wurden von Handwerkern zersägt und dort wo Danh Võ Fotografie an den Wänden braucht, nimmt er die Scharzweiß-Fotografien von Peter Hujar. Den nennt Museumsdirektor Yilmaz Dziewior einen Künstler Künstler.

Der kulturelle Kontext

Danh Võ ist in Vietnam geboren und mit seinen Eltern geflohen. Er gehörte zu den „Boatpeople“. Gerettet von einem dänischen Frachter, wurde er in Dänemark groß und studierte dort und in Frankfurt Kunst. Fast eine ganze Stunde lang interpretierte der Direktor des Museum Ludwig Yilmaz Dziewior die in Köln gezeigte Schau, vor Kunstkritikern, aus seiner persönlichen Sicht. Der Künstler stand regungslos daneben, intervenierte nicht. Die Sicht von Dziewior ist aber nur eine, denn sie entsteht nur aus seiner eigenen persönlichen Geschichte heraus und dem kulturellen Kontext in dem Dziewior aufgewachsen und gefangen ist. Und so führt uns Danh Võ vor. Wir bleiben in unserem eigenen kulturellen und persönlichen Kontext hängen: Daheimgebliebener, Immi aus dem eigenen Land oder internationaler Migrant. Und dieser Kontext ist vielschichtig: Er kann formal sein, er kann emotional sein, in dem er Wünsche und Träume formuliert, aber er bleibt auch immer persönlich. Und so muss jeder die Ausstellung „YDOB EHT NI MRAW SI TI“ erst einmal für sich selbst interpretieren, kann sich dann mit seinem Gegenüber austauschen und wird dabei viel über dessen kulturellen Kontext erfahren. Sofern der Dialog offen stattfindet.

— — —

Danh Võ
 „YDOB EHT NI MRAW SI TI“

Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln

Die Ausstellung ist vom 1. August bis 25. Oktober 2015 zu sehen.

Autor: Andi Goral
Foto: Ein Teil der 150 Fragmente der Freiheitstatue in New York. 1:1 nachgebildet von chinesischen Handwerkern und präsentiert von Danh Võ unter dem Titel „We the people“.