Berlin | aktualisiert | Der SPD-Parteitag wählt Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu den neuen Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratie und stimmt gleichzeitig gegen ein vorzeitiges Groko-Aus. Kevin Kühnert rückt in den SPD-Parteivorsitz auf. Der Tag in Berlin in einem Livebericht.

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Klingbeil mit 79,9 Prozent als SPD-Generalsekretär wiedergewählt

21:05 Uhr >Lars Klingbeil bleibt SPD-Generalsekretär. Auf dem Parteitag in Berlin bekam er am Freitagabend 79,9 Prozent Zustimmung. Einen Gegenkandidaten gab es wie üblich nicht.

Damit steigerte Klingbeil sein Ergebnis der ersten Wahl im Jahr 2017 allerdings deutlich. Damals war er auf Vorschlag des damaligen SPD-Parteichefs Martin Schulz von 70,6 Prozent der Delegierten gewählt worden. Er habe damals nicht gewusst, was ihn erwarte, sagte Klingbeil am Freitag.

So sei damals nicht einmal ein Eintritt in die Große Koalition absehbar gewesen.

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Dämpfer für Kühnert bei SPD-Stellvertreterwahl

21: 00 Uhr >Bei den Wahlen zum stellvertretenden SPD-Parteivorsitz hat die Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, das beste Ergebnis der fünf Kandidaten bekommen. Midyatli kam auf eine Zustimmung von 79,8 Prozent. Klara Geywitz, die im Rennen um den Parteivorsitz in der Mitgliederentscheid-Stichwahl zusammen mit Olaf Scholz unterlegen war, bekam das zweitbeste Ergebnis mit einer Zustimmungsrate von 76,8 Prozent.

Anke Rehlinger wählten 74,8 Prozent der Delegierten, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert landete mit 70,4 Prozent nur knapp vor Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der 70,0 Prozent bekam. Weil ursprünglich nur drei Stellvertreterposten vorgesehen waren, war über eine Kampfabstimmung zwischen Kühnert und Heil spekuliert worden. Um das zu verhindern, wurde die Zahl der Posten vom Parteitag aufgestockt, nun sind alle fünf stellvertretende Parteivorsitzende.

Bei den Vorstellungsreden im Saal hatte sich noch ein anderes Bild ergeben. Kühnert schien mit einer kämpferischen Rede den Saal am stärksten für sich eingenommen zu haben. Als einziger Bewerber für den Stellvertreterposten bekam Kühnert im Anschluss an seine Vorstellungsrede lang andauernde stehende Ovationen. Er sehe sich in einer „Mittlerrolle“, sagte Kühnert dabei. Mit 30 Jahren sei er „eigentlich gar nicht mehr Teil dieser jungen Generation“. Für seine scharfen Angriffe auf die Union bekam er viel Applaus unter den Delegierten. Schon vorab hatten viele Kommentatoren geurteilt, Kühnert sei nun der eigentliche Strippenzieher in der Partei.

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SPD-Parteitag stimmt gegen GroKo-Aus

20:45 Uhr > Der SPD-Parteitag hat sich gegen einen Ausstieg aus der Großen Koalition ausgesprochen. Bei nur einzelnen Gegenstimmen wurde der Leitantrag der Parteiführung beschlossen, der ebendieser die weitere Entscheidung überlässt. Wörtlich heißt es im Leitantrag: „Der Parteitag beauftragt die Vorsitzenden, gemeinsam mit unseren Vertretern im 17 Koalitionsausschuss (Fraktionsvorsitzender, Vizekanzler) auf Grundlage unserer Beschlüsse mit CDU/CSU Gespräche über die neuen Vorhaben zu den beschriebenen aktuellen Herausforderungen zu führen.
Der Parteivorstand wird auf Grundlage der Gespräche bewerten, ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind.“ Verschiedene Änderungsanträge der Parteilinken, die verbindlich Nachverhandlungen des Klimapakets, einen höheren Mindestlohn, Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen, Abkehr von der Schwarzen Null oder gar einen sofortigen Ausstieg aus der Großen Koalition forderten, wurden zuvor von den Delegierten abgeschmettert.— — —

Walter-Borjans und Esken neue SPD-Chefs – Überraschung bei Ergebnis

14:55 Uhr > Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sind neue Chefs der SPD. Dabei bekamen die beiden Kandidaten am Freitag auf dem Bundesparteitag in der „verbundenen Einzelwahl“ aber überraschend unterschiedliche Ergebnisse: Walter-Borjans erhielt eine Zustimmung von 89,2 Prozent der Delegierten, Esken wurde mit 75,9 Prozent gewählt. Damit wurde der Mitgliederentscheid umgesetzt, in dem sich das neue Führungs-Duo zuletzt in einer Stichwahl gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz durchgesetzt hatte.

Seit 1946 lag der Durchschnitt bei den SPD-Parteichef-Wahlen ohne Gegenkandidaten bei 90,1 Prozent, nach der Ära Willy Brandt noch bei 84,8 Prozent. Andrea Nahles hatte 2018 mit Gegenkandidatin 66,3 Prozent bekommen, Martin Schulz 2017 im Frühjahr 100,0 Prozent und nach der verlorenen Bundestagswahl im selben Jahr 81,9 Prozent.

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Esken will GroKo „realistische Chance“ geben

14:30 Uhr > Die designierte SPD-Chefin Saskia Esken will eine Fortsetzung der Großen Koalition ermöglichen. Mit dem vorliegenden Leitantrag bekomme die GroKo eine „realistische Chance“, sagte Esken bei ihrer Vorstellungsrede auf dem SPD-Bundesparteitag am Freitag in Berlin. „Ich war und bin skeptisch“, sagte die 58-Jährige in Bezug auf das Regierungsbündnis mit der Union.

Diesbezüglich habe sich ihre Meinung nicht geändert. Zuvor hatte Esken angekündigt, als Parteichefin einen Schwerpunkt auf ein „Austrocknen“ des Niedriglohnsektors zu legen. „Ich will schwedische Verhältnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt“, sagte Esken.

In ihren jüngeren Jahren habe es zwischen den Arbeitskräften noch „Solidarität und keinen Wettbewerb“ gegeben. „Der Markt alleine regelt gar nichts“, sagte Esken, und warb damit für eine staatliche Infrastrukturgesellschaft. Die SPD-Bundestagsabgeordnete hatte nach einem monatelangen Auswahlprozess zusammen mit Norbert Walter-Borjans den SPD-Mitgliederentscheid im Kampf um die Parteispitze für sich entschieden.

Walter-Borjans nahm in seiner Vorstellungsrede Bezug auf Willy Brandt und positionierte sich als Friedenspolitiker: „Die SPD wird als Partei des Abrüstens und der Entspannung heute wieder mehr gebraucht als seit Langem.“ Der Weg von Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die Bundeswehr wieder an möglichst vielen Orten in den Einsatz bringen zu wollen, sei falsch, sagte Walter-Borjans. Am Freitagmittag hatte der SPD-Parteitag mit breiter Mehrheit eine Satzungsänderung beschlossen, die künftig eine Doppelspitze ermöglicht.

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Parteitag der SPD in Berlin startet

13:00 Uhr > In Berlin hat am Freitagvormittag der mit Spannung erwartete SPD-Bundesparteitag begonnen. Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Wahl der schon designierten Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die nach einem monatelangen Auswahlverfahren den Mitgliederentscheid für sich entschieden hatten. Spannend wird es auch bei der Wahl der Stellvertreterposten, wo eine Kampfkandidatur zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil droht, und insbesondere in der Debatte um den Leitantrag.

Während dieser nach Ansicht vieler Kommentatoren in den letzten Tagen trotz anderer Ankündigungen der künftigen Parteichefs weichgespült wurde, will die Parteilinke einen schärferen Gegenantrag einbringen, mit dem der Fortbestand der GroKo infrage gestellt wird. „Wir können stolz darauf sein, was wir in den letzten Monaten erreicht haben“, sagte die scheidende kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer zur Eröffnung des Parteitags und zählte mutmaßliche Errungenschaften in der Regierungsarbeit auf. Der Parteitag geht bis Sonntag.

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SPD-Kreise: Fünf Stellvertreter geplant

13: 00 Uhr > Der drohende Showdown um einen Stellvertreterposten an der SPD-Spitze zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil soll nach Informationen der Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben) in letzter Minute abgewendet werden. Statt die Zahl der Vizeposten von sechs auf drei zu verringern, sieht ein Kompromissvorschlag vor, dass der Parteitag nun abstimmen soll, dass es künftig fünf Stellvertreter gibt. Um die Frauenquote zu halten, soll die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Serpil Midyatli in den Spitzenkreis aufrücken. Ob der Parteitag dem Vorschlag folgt, ist offen. Es gibt einen gültigen Vorstandsbeschluss, die Stellvertreterzahl von sechs auf drei zu reduzieren.

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Das sagen die anderen politischen Player:

Lafontaine wirbt für Fusion von SPD und Linkspartei

13:10 Uhr > Der frühere SPD-Vorsitzende und heutige Linken-Politiker Oskar Lafontaine wirbt für eine Fusion der beiden Parteien. „Ich hielte sie für wünschenswert, sehe aber im Moment die Voraussetzungen in beiden Parteien nicht“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben). „Es fehlt eine gemeinsame programmatische Grundlage. Und es fehlen Politiker in beiden Parteien, die diese Vereinigung für sinnvoll erachten.“ Für die SPD gehe es bei ihrem Parteitag an diesem Wochenende „um einen wirklichen Aufbruch, nicht um zaghafte Korrekturen“, sagte Lafontaine, sowie „um den Bruch mit der Politik der großen Koalition. Kleine Korrekturen reichen nicht.“

Eine sozialdemokratische Partei könne „die immer reaktionärer werdende Politik von Merkel und Kramp-Karrenbauer nicht mittragen“, so Lafontaine. Er führte aus: „Die Kanzlerin und die CDU-Vorsitzende wollen die Rüstungsausgaben um mehr als 35 Milliarden Euro erhöhen. Sie wollen mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr, mehr Waffenexporte und stehen für eine Verschärfung des Konflikts mit Russland. Sie wollen die Spaltung der Gesellschaft vertiefen und neue Geschenke an die Wohlhabenden verteilen, durch die Abschaffung des Soli für Spitzenverdiener, neue Unternehmenssteuersenkungen und durch die von Kramp-Karrenbauer bereits angekündigten Rentenkürzungen.“ Dem müssten sich die Sozialdemokraten widersetzen. Die SPD habe „jetzt die Chance, neu anzufangen, weil die von den Mitgliedern gewählten Vorsitzenden die Fehler der Vergangenheit in der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik nicht zu verantworten haben, sondern korrigieren wollen“, sagte der 76-Jährige mit Blick auf Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Die SPD müsse „ihre Politik ändern, den Neoliberalismus hinter sich lassen und bei ihren Wählerinnen und Wählern glaubwürdig den Eindruck erwecken“, dass sie eine andere Politik wolle.

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JU-Chef Kuban sieht Kühnerts Wahl auch positiv

21:22 Uhr > Die Wahl des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert zum SPD-Vizechef stößt bei der Nachwuchsorganisation des Koalitionspartners Union auch auf positives Echo: „So jung in dieses Amt zu kommen, ist ein großer Erfolg und zeigt, dass es Zeit für junge Köpfe ist“, sagte der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben). Beiden Nachwuchsorganisationen gehe es darum, die jeweilige Partei zu erneuern. Allerdings müsse man abwarten, ob Kühnert nun Enteignungsvorschläge für große Firmen wie BMW zur SPD-Programmatik mache.

Zurückhaltend reagierte Kuban auf die Frage, ob er nun ein Vize-Vorsitzenden-Amt bei der CDU beanspruchen werde. „Die Junge Union geht grundsätzlich ihren eigenen Weg und orientiert sich dabei sicher nicht an den Jusos“, sagte er dem RND. „Die Situation von Union und SPD ist auch nicht vergleichbar.“ Es gehe vor allem darum, dass die CDU eine Zukunftsagenda für das Land habe.

„Dieses parteiinterne Postengeschacher nervt die Menschen doch nur noch.“ Insgesamt sehe er die neue SPD-Spitze skeptisch, so Kuban: „Wenn die SPD nicht lernt, gut über die Koalition zu sprechen, wird sie im politischen Niemandsland verschwinden“, sagte er dem RND. Die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans warnte er vor einem Kurswechsel der SPD: „Beide stehen für einen Linksruck der SPD. Aber auf einen Linksruck der Groko werden wir uns nicht einlassen“, so Kuban. „Da werden die beiden schnell merken, wer der größere Koalitionspartner ist.“

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Autor: dts
Foto: Sie sollen die SPD in Zukunft führen: Saskia Esken und der Kölner Norbert Walter-Borjans