Köln | Im Rahmen der Passagen 2015 präsentiert report-K „Moderne Kunst aus Ruanda – Interieur in Afrika und die Reflexion von Kunst im Alltagsleben“, die ruandischen Künstler Emmanuel Nkuranga und Innocent Nkurunziza. Unsere Gastautorin Barbara Huebscher bereiste mehrfach den Kontinent und im Speziellen Ruanda. Dort entdeckte sie in Kigali das „Inema Arts Center“ in dem die beiden Künstler leben und arbeiten. In einer Artikelserie beleuchtet Huebscher das Leben, die Wohnverhältnisse und Kunst in Ruanda, als Reflexion auf die Internationale Möbelmesse in Köln 2015. 06 – Leben in Ruanda: Kigali – Die (Haupt)Stadt und die Kunst

Fotostrecke: In den Ateliers des Inema Arts Centers >

Ländlich geprägte Städte

Neben Kigali gibt es nur einige wenige größere Städte in Ruanda. Butare, die zweitgrößte Stadt, ist das intellektuelle und kulturelle Zentrum Ruandas und Sitz der Nationalen Universität sowie des Nationalmuseums. Außerdem war hier der Sitz der belgischen Kolonialverwaltung. Ein Schild am Hotel Faucon an der Hauptstraße von Butare erinnert noch heute daran, dass der Aufenthalt hier während der Kolonialzeit dem belgischen Königspaar vorbehalten war. Bis 1955 war es nur Weißen erlaubt, dort zu wohnen. Trotz dieser Vergangenheit ist Butare eher ländlich geprägt – genau wie Gitarama, Ruhengeri oder Gisenyi, die einzigen anderen Städte mit mehr als 80.000 Einwohnern.

Modernes Leben in Kigali

Besuchen wir also Kigali und sehen, wie sich das Leben dort vom ländlichen Leben unterscheidet. Da wären zuerst natürlich die bereits eingangs erwähnten breiten Boulevards, die Kigalis Stadtteile verbinden, wo der vierspurige Verkehr durch modernste Ampelanlagen geregelt wird. Es gibt Supermärkte, wo auch wir konsumverwöhnten Europäer alles finden, was wir zu brauchen glauben.

Fotostrecke: Eindrücke aus Kigali >

Es gibt Cafés, z. B. das „Bourbon Café“ im Union Trade Center Shopping Plaza, wo man vom Frühstück bis zum kostenlosen WLAN alles bekommt. Übrigens: ein Starbucks-Café gibt es in Ruanda nicht! Doch ein Teil des Kaffees, den man irgendwo auf der Welt bei Starbucks trinkt, kommt aus Ruanda.

Auch McDonald´s, Burger King und andere internationale Ketten haben Kigali noch nicht für sich entdeckt. Da diese nur dort Filialen eröffnen, wo es sich lohnt, ist das Fehlen auch ein Parameter dafür, dass sich in Ruanda nur wenige Menschen solchen Fastfood kaufen könnten – oder wollten.

Das geschäftige Treiben in der Hauptstadt unterscheidet sich kaum von großen Städten unserer Breiten – zumindest in einigen Vierteln, in denen Geschäftsleute, Diplomaten, Vertreter von Hilfsorganisationen oder sonstige wichtige Personen unterwegs sind.

Diese Leute trifft man abends in den besseren und teureren Restaurants. Ist man tagsüber in der Stadt unterwegs, sieht man nur wenige Weiße. Dagegen ist man am Abend in den Restaurants fast „unter sich“. Es ist üblich, dass man hier und auch in Hotels sowohl mit US-Dollars oder Euro bezahlen kann, ja die Preise überhaupt nur in USD angegeben sind. Kigali ist selbst im Vergleich mit anderen afrikanischen Hauptstädten eher hochpreisig.
In den äußeren Bezirken Kigalis finden wir alles, was wir auch auf dem Land kennengelernt haben. Im Zentrum jedoch ist es modern, großstädtisch, sind Hotels und Restaurants designed, chic und international „in“. Und es gibt Mittler zwischen diesen Welten: das sind die bildenden Künstler und ihre Arbeiten.

Die Kunstszene in Kigali

Ich will sie am Beispiel von Emmanuel Nkuranga und Innocent Nkurunziza vorstellen. Die beiden Brüder haben 2012 das „Inema Arts Center gegründet. Genau in diesem Jahr war ich auch zum ersten Mal dort: in Ruanda, in Kigali, im Inema Arts Center.

Eher zufällig hatte ich einen Hinweis auf das Inema Arts Center in einer Anzeige gesehen und ließ mich mit dem Taxi hinbringen. In einer Seitenstraße, nicht weit vom Zentrum entfernt, betrat ich ein großes Grundstück, auf dem die Galerie steht, das schon selbst ein Stück Kunst war und ist: Skulpturen, Bilder und Installationen bilden sozusagen die Wegweiser zu den Ausstellungsräumen und dem Atelier. Teilweise unter freiem Himmel waren junge Leute zwischen aufgestellten Leinwänden, Farbtuben und Pinseln dabei, ihrer Kreativität Ausdruck und Form zu verleihen.

Die Künstler

Damals waren Emmanuel und Innocent nicht da – leider. Doch ihre Bilder haben mich in ihren Bann gezogen und eines war klar: ich musste eines mitnehmen. Seitdem hängt in meinem Wohnzimmer ein Bild, das für mich Afrika ausdrückt: kräftig leuchtende, bunte Farben bedecken die Fläche der Leinwand – darüber schwarze Konturen von menschlichen Gestalten. Es sind nur schwarze Konturen, damit man sieht, wie bunt und fröhlich und lebendig es darunter zugeht. Eigentlich sollten alle Menschen so sein. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich dieses Bild nicht ansehe und Afrika in mir fühle.

Nach meiner Rückkehr von Ruanda habe von zu Hause aus Kontakt mit Emmanuel aufgenommen. Er war gerade in den USA. Dann habe ich eines Tages die Idee gehabt, seine Bilder und die seines Bruders in Deutschland bekannt zu machen. Denn ich bin überzeugt, dass sie nicht nur mir gefallen. Ich habe ihnen den Vorschlag gemacht und sie im November 2014 besucht, damit wir alles weitere besprechen können.

Und ich war noch mehr fasziniert von ihren meist sehr großflächigen Bilder, denn seit meinem ersten Besuch zwei Jahre vorher hatte sich viel getan im Inema Arts Center. So viele beindruckende Bilder und andere Arbeiten. Immer neue Ausdrucksformen ihrer Kreativität, mit den unterschiedlichsten Materialien hergestellt. Und immer wieder diese kräftigen leuchtenden Farben!

Diese bekommen sie übrigens nicht in Ruanda. Im ganzen Land gibt es kein Geschäft, in dem sie beispielsweise Leinwand oder ihre Farben kaufen können. Seitdem sie in den USA waren und ihre Werke dort ausgestellt wurden, ist die erste Adresse für Farben und alles, was sie benötigen, San Francisco. Nur dort können sie die Materialien kaufen, die ihren Ansprüchen an Qualität genügen, denn sie wollen etwas Bleibendes schaffen. Bevor sie in den USA waren, mussten sie nach Kenia und Uganda fahren, um das Material für ihre Arbeiten dort zu kaufen.

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Die Künstler im Porträt

Emmanuel Nkuranga
Geboren ist Emmanuel in Uganda. Die Familie zog später nach Ruanda und lebt seitdem in Kigali. Heute ist er 28 Jahre alt und bezeichnet sich selbst als Autodidakt. Er arbeitet mit unterschiedlichen Materialien und wird seit einigen Jahren international beachtet.
Die New York Times hat bereits in einem Artikel auf ihn aufmerksam gemacht >
Hier seine bisherigen Ausstellungen:
Einzelausstellungen:
Healing art – Dodson´s Washington State, Februar 2013, USA
Healing power of Rwandan art – Southport Galleries, Oktober 2012, USA
A thousand hill art exhibition – Charlottesville Virginia, 0ktober 2012, USA
Rwandan Art Today – Scranton University, Pennsylvania, USA
Healing Art – Washington State, Februar 2012, USA
Kigali International Airport, Ruanda: März/April 2010
The Dedication, Venue L’Assassino, Göteborg, Januar/Februar 2010, Schweden
Gruppenausstellungen:
Charlie Dolton Ivuka arts exhibition – London, Großbritannien
Art Exhibition at Low Library, Rotunde an der Columbia University, New York, USA
Painting exhibition, Stone ward, Little Rock, Arkansas, Dezember 2010, USA
Vernissage_Ruanda_Vorderseite, Berlin, August 2010, Deutschland
3rd East African Art Biennale, Goethe Institut, Kigali, September 2010, Ruanda
Isokocolours, Laico Hotel, Kigali, März 2010, Ruanda.
FESPAD 2010, Laico Hotel, Kigali, Juli 2010, Ruanda.
UN art competition, Hotel de Mille Colline, Kigali, Oktober 2010, Ruanda
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Innocent Nkurunziza
Innocent ist mit 29 Jahren der ältere der beiden Brüder. Geboren in Uganda, wusste er bereits mit 8 Jahren, dass er Künstler werden wollte. Später setzte er sich gegen seinen Vater durch, der wollte, dass sein Sohn studiert. Stattdessen hat er seinen seit Kindertagen gefassten Plan, nämlich Künstler zu werden, in die Tat umgesetzt.
Er arbeitet mit unterschiedlichen Materialien und malt meist sehr großflächige Bilder. Im 2012 gemeinsam mit Emmanuel gegründeten Inema Arts Center helfen die beiden anderen jungen Künstlern, ihre Kreativität zu entfalten.
Hier ein Video, in dem er über sich selbst erzählt und ihn bei der Arbeit zeigt >
Eine Auswahl seiner Ausstellungen:
Einzelausstellungen:
Woven Life Tapestry – Inema Arts Center, Kigali, Oktober 2014, Ruanda
Rwandan Mission: The Healing Power of Rwandan art – Southport Galleries, Oktober 2012, USA
Rwanda Shares – Boseman Gallery University of North Carolina, September 2012, USA
Gruppenausstellungen:
No Boundaries International Art Colony – Wilmington, NC, USA

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Das Inema Arts Center

Und neben ihrer künstlerischen Arbeit haben die beiden eine Mission: Sie lassen andere junge Talente teilhaben, sie fördern sie, geben ihnen die Möglichkeit, ebenfalls ihre Begabung zu entfalten, ihren Ausdruck zu finden. Sie geben ihnen Raum, im wahrsten und im übertragenen Sinne des Wortes. Auch diese Arbeiten werden in der Galerie des Inema Arts Centers ausgestellt. Diese Galerie mit zwei sehr großen Räumen im Erdgeschoss und einem Treppenhaus, das zu weiteren Räumen in der ersten Etage führt, ist ein wahrer Kunstschatz. Betritt man die Räume von der Terrasse her, weiß man in dem lichtdurchfluteten Raum zuerst überhaupt nicht, wohin man schauen soll und lässt sich vielleicht erst einmal auf den bunt bemalten Holzmöbeln nieder. Dieser Raum mit seinen Bildern und Skulpturen nimmt einen gefangen. Selbst im Treppenhaus ist kaum ein Flecken der Wand frei.

Doch damit nicht genug: sie geben noch anderen Menschen außer Malern die Möglichkeit, ihre Kreativität zu entdecken und damit sogar noch ein wenig Geld zu verdienen. Zum Beispiel stellen Frauen wunderschönen Schmuck mit den verschiedensten Materialien her, nähen kleine und große Taschen aus bunten Stoffen oder fertigen kleine Figuren. Sie erhalten das Material dafür und alles wird im angeschlossenen Shop verkauft.

Und dann sind da noch die Jungen und Mädchen – meist Straßenkinder –, die sich regelmäßig im Inema Arts Center treffen. Sie lernen dort nicht Lesen und Schreiben, sondern etwas, das nicht in Vergessenheit geraten darf, etwas über ihre Traditionen, etwas, das sie verbindet: Trommeln und Tanzen. Sieht man die Kleinen mit ernstem Gesicht ihre traditionellen Tanzschritte und Bewegungen einüben und dabei intensiv den Trommeln zuhören, möchte man am liebsten direkt mittanzen.

All das kann man im Inema Arts Center bestaunen – ein Kunstzentrum im wahrsten Sinne des Wortes. Und es kommen viele, um diesen einmaligen Ort zu besuchen, vielleicht angelockt von einer Anzeige, einem Tipp bei TripAdvisor oder einer Ausstellung ihrer Bilder in einem der teureren Restaurants, wo sie von Zeit zu Zeit auch Live-Painting-Abende veranstalten.

Kunstkäufer im Heaven

Eines dieser Restaurants ist das „HEAVEN“. Emmanuel und Innocent haben dort einen ständigen Ausstellungsraum, sozusagen eine Zweigstelle des Inema Arts Centers. Auch im Restaurantbereich – einer riesigen Holzplattform mit wunderschönem Blick auf Kigali – sind weitere ihrer Bilder zu bewundern. In diesem Ambiente fühlt man sich tatsächlich wie im Himmel.

Fotostrecke: Das Heaven und die dortige Ausstellung >

Es sind die Leute, die in diesen Restaurants verkehren, die die Bilder kaufen, die sie in die Welt hinaustragen, in ihren Wohnungen aufhängen und dort ein Stück Design hinzufügen. Und es ist gut, dass sie das tun.

Gegenwart ….

In Ruanda können sich nur wenige Menschen Kunst leisten, wüssten wahrscheinlich auch wenig damit anzufangen. Sie sind damit beschäftigt, ihren Lebensunterhalt zu sichern, ihre Kinder zu ernähren, zur Schule zu schicken, sie großzuziehen. Und es gibt viele Kinder in Ruanda: mehr als 40 % der Bevölkerung ist unter 14 Jahre alt. Dabei fällt uns jetzt vielleicht rückblickend auf, dass wir weder in den Städten noch auf dem Land viele ältere Menschen gesehen haben: Nur 2,7 Prozent der gesamten ruandischen Bevölkerung sind älter als 65 Jahre. Das hängt zum einen mit der geringen durchschnittlichen Lebenserwartung von nur ca. 58 Jahren zusammen. Und sicherlich hängt es auch mit dem Genozid zusammen, dem vor 20 Jahren so viele Menschen zum Opfer gefallen sind, die damals mitten im Leben standen.

…. und Zukunft

Die Zukunft des Landes liegt in der Hand der Jungen und es ist ein erfreuliches Zeichen, dass es diese Künstler gibt. Sie verstehen Kunst als eine Ressource für Ruanda. Sie tragen dazu bei, die kreativen Kräfte in einem Land freizusetzen, das immer noch im Mittelfeld des Welthungerindexes aufgeführt wird.

„Healing Art“ ist ein Begriff, den sie immer wieder als Titel oder Teil eines Titels für ihre Ausstellungen in Ruanda, aber auch in den USA, Großbritannien oder Schweden benutzen: Die heilende Kraft der Kunst. Wünschen wir ihnen und Ruanda, dass sie mit ihrer Kunst erfolgreich sind. Und ich wünsche mir außerdem, dass die Menschen sich eines Tages mehr als einen Stuhl als Möbel für ihre Häuser leisten können.

Autor: Gastautorin und Fotos Barbara Huebscher
Foto: Die Ateliers des Inema Art Centers in Kigali