Köln |  Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ jüngst vernehmen: „Das Internet ist für uns alle Neuland“. Grund genug, vor der Bundestagswahl 2013 die Netzpolitik der Parteien einmal unter die Lupe zu nehmen. Report-k.de befragte dazu CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und die Piraten in Interviews. Nicht alle haben sich dazu bis heute geäußert, diese Interviews werden nachgeliefert. Thomas Hegenbarth, Vorsitzender der Piratenpartei Köln, erklärt im Interview, warum ein Internet-Ministerium notwendig ist, das Grundgesetz geändert werden muss und warum in Deutschland eine digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft droht.

Report-k.de: SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück hat Gesche Joost als Expertin für Netzpolitik und vernetzte Gesellschaft in das Wahlkampfteam berufen. Wollen auch Sie einen derartigen Posten einführen? Wäre ein Ministerium für Internet und Netzpolitik denkbar?

Thomas Hegenbarth: Etwas schmunzeln muss ich schon, was den ersten Teil der Frage anbetrifft, und mag auch für die Sozialdemokraten sinnvoll erscheinen. Allerdings ist für uns dies Teil der Kernkompetenz und braucht daher nicht unbedingt eines gesonderten einzelnen Experten. Viele Experten oder fachkundige Laien sind überhaupt erst Piraten geworden aus netzpolitischen Diskussionen der Vergangenheit, Stichwort „Zensursula“, oder aktuellen um Drosselkom oder Prism. Etwas vergleichbar ist unsere Entscheidung zur Benennung von Themenbeauftragten zur Vernetzung und Vermittlung diverser Themenbereiche der Parteipositionen in der Öffentlichkeit. Anke Domscheit-Berg, auch Listenkandidatin zur Bundestagswahl, vertritt uns als Themenbeauftragte für Open Government.

Ein entsprechendes Ministerium ist nicht nur denkbar, sondern war einer unserer Forderungen im Bundestagswahlkampf 2009. Seitdem ist viel, aber auch nichts passiert. Die Internet Enquetekommission kam zu dem Ergebnis, dass es einen ständigen Ausschuss braucht, der tatsächlich etwas entscheiden könnte. Daraufhin stellt sich nun endlich auch die Regierungskoalition die Frage, wie man Netzpolitik in den Bundesministerien besser einbinden kann. Leider drehen sich die Vorschläge um Staatssekretäre und Vernetzung innerhalb verschiedener Ministerien. Uns geht das nicht weit genug. Wir brauchen jemanden in der Regierung der einem Innenminister etwas gegen Überwachungsallmachten entgegensetzt. Einen Minister der für den Schutz eines freien Internets zuständig ist, so wie es einen Minister zum Schutze der Umwelt gibt.

Beschreiben Sie Ihre Vision einer vernetzten Gesellschaft?

An der Stelle zitiere ich mal eine Forderung aus unserem Bundeswahlprogramm, die den sehr grundsätzlichen Stellungswert einer vernetzten Gesellschaft aufzeigt, so dass sie für uns sogar in Grundgesetz gehört: „Digitale Netzwerke“ ins Grundgesetz: Die Piratenpartei setzt sich für die Erweiterung des Artikels 5 Abs. 1 GG um die zwei Worte „digitale Netzwerke“ ein. Neu: Artikel 5 (1) „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, Film und digitale Netzwerke werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Was sollte Ihrer Meinung nach im Internet bevorzugt gefördert und gesichert werden: Unternehmerisches Interesse oder die Freiheit im Netz?

Mit und im Netz Geld verdienen, ist vollkommen in Ordnung, solange dadurch nicht der ungehinderte Zugang für jeden behindert wird. Wir setzen uns für eine gesetzliche Festschreibung des neutralen Charakters der Datendurchleitung im Internet ein (das Prinzip der Netzneutralität), um Informations-, Presse- und Meinungsfreiheit zu sichern und die Innovationsfähigkeit des Netzes zu erhalten. Die Piratenpartei lehnt es ab, die diskriminierungsfreie Übertragung von Daten durch die Einführung von Güteklassen, Angebotseinschränkungen oder Zugangserschwernissen zu beschneiden. Genau dies könnte geschehen, wenn die EU Telekommunikationsfirmen künftig erlaubt, einzelne Inhalte im Internet gegen Bezahlung schneller oder in besserer Qualität zu transportieren. Genau an dieser Stelle dürfen Google, Facebook und Co. nicht bevorteilt werden und die Netzneutralität wirtschaftlichen Interessen geopfert werden.

Nennen Sie drei Ziele, die Sie im Bereich der Netzpolitik bevorzugt umsetzen wollen.

Das Urheberrecht muss reformiert werden. Zurzeit findet ein Interessenausgleichsrecht vor allem zugunsten der Rechteinhaber statt. Die zentrale Forderung dabei ist die Freigabe der nichtkommerziellen Vervielfältigung, da ein Verbot selbiger nur durch die Bespitzelung von privatem Datenverkehr oder Angriffe auf die freie Struktur des Netzes durchsetzbar ist. Nicht erst seit Prism und Tempora fordern wir den konsequenten Schutz der Freiheit und Privatsphäre im Internet. Zur Stärkung des Datenschutzes und der Datensicherheit im Internet soll das Fernmeldegeheimnis um ein „Telemediennutzungsgeheimnis“ für Internet-Diensteanbieter ergänzt werden. Die Internetnutzung soll vor staatlichen Einblicken ebenso gut geschützt werden, wie Telefone vor Abhören geschützt sind. Wir fordern außerdem, dass die Erstellung von Nutzerprofilen nur mit Einwilligung des Nutzers zugelassen werden darf, dass die Speicherfristen jedes Internetanbieters veröffentlicht werden und dass Nutzer besser vor unangemessenen, seitenlangen Datenverarbeitungs-Einwilligungsklauseln geschützt werden.

Wie stehen Sie zur geplanten DSL-Drosselung der Telekom? Droht eine digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Nicht nur im Netz, sondern auch in Demonstrationen und Infoständen haben wir zu diesem Thema demonstriert und aufgeklärt. Ich persönlich habe unter anderem vor der Kölner Arena zur Aktionärshauptversammlung der Telekom und der Zentrale in Bonn zu Demonstrationen für Netzneutralität teilgenommen. Ja, hier droht eine 2-Klassen-Gesellschaft, denn neu ist das die Telekom weitreichende qualitative und quantitative Beschneidungen der Möglichkeiten der Nutzer und Dienste beabsichtigt. Auf der einen Seite die Einführung von Volumenpaketen für Privatkunden die zwar einen Internetzugang bestellt haben, aber nun einen Aufschlag bezahlen müssen, um den gewohnten Datendurchsatz zu erhalten. Auf der anderen Seite Einfluss auf Privatwirtschaft und nichtkommerzielle Nutzer. So können finanziell starke Konzerne sich von einer Drosselung freikaufen. Google, YouTube und Bild online sind immer und uneingeschränkt verfügbar. Abgeordnetenwatch, netzpolitik.org, der Pottblog oder vielleicht die eigenen Webseite bleiben beschränkt. Die eigenen Dienste der Telekom werden von dieser Drosselung natürlich ausgenommen so etwa der firmeneigene TV-Dienst „Entertain“. Die Folgen sind das kleine Anbieter, nichtkommerzielle Projekte und private Webseiten das Nachsehen haben und unter die Drosselung fallen.

Wie beurteilen Sie das Leistungsschutzrecht?

Die Begehrlichkeiten der Verlegerlobby gegenüber dem Gesetzgeber in Bezug auf das Leistungsschutzrecht haben die Piraten immer kritisiert. Das umstrittene Leistungsschutzrecht soll es Verlagen erlauben, Geld für die Veröffentlichung kleinster Texte z.B. durch Suchmaschinen zu fordern. Derartige Gesetze behindern jedoch die Recherche und Informationsfreiheit der Allgemeinheit. Die unklare Gesetzesfassung produziert zusätzlich Rechtsunsicherheit. Wir lehnen daher das geplante Gesetz ab und haben dies auch auf verschiedenen Demos oder Petitionen bereits zum Ausdruck gebracht.

Was muss Deutschland im Bereich der digitalen Gründungspolitik noch lernen?

Lokal muss vor allem besser und zielgerichteter gearbeitet werden. Köln ist da leider kein gutes Beispiel. Etwas großspurig hat die Kölner Politik ja Köln mal als Internethauptstadt ausgerufen. Die Realität sieht leider anders aus. Köln hat zwar eine lebendige Szene doch leider siedeln z.B. immer mehr Startups nach Berlin. Dies liegt an der mangelnden Unterstützung hier vor Ort. Dies ist auch kaum nachzuvollziehen wenn man berücksichtigt, dass die potenziellen Kunden der neuen Unternehmen neben Süddeutschland hier in NRW sitzen. In dem sehr wahrscheinlichen Falle meines Einzuges als Direktkandidat in den Bundestag wird dies sicher eines meiner ersten Themen werden 😉

In NRW will Staatssekretär Marc Jan Eumann eine Stiftung für Lokal-Journalismus gründen. Wäre etwas Ähnliches auch vom Bund denkbar? Wie wollen Sie künftig Online-Medien stärker fördern?

Generell stehen wir der Förderung von Lokal Journalismus sehr positiv gegenüber. Unsere Bewertung ist die, dass in vielen Kommunen und Städten kommunale politische Medien sehr oft monopolartigen Charakter haben. Eine Förderung, gerade im Online Bereich, kann hier zu einer notwendigen und lebendigen Stimmenvielfalt führen. Die Diskussion zu dem Stiftungsvorschlag von Staatssekretär Marc Jan Eumann wird bei uns, auch in der Landtagsfraktion der Piraten, geführt. Vorbehaltlich einer abschließenden Bewertung und dem geringen Budget der Stiftung von unter 2 Mio. gibt es kritische Punkte die einer eindeutigen Klärung bedürfen. Z.B. Inwieweit bekommt die Politik Einfluss auf diese Stiftung und führt dies zu einer Art Staatsjournalismus? In welcher Konkurrenz steht diese Stiftung gegenüber den bereits existierenden Akademien usw.

Interessant ein Blick auf die aktuellen Statistiken, die besagen, dass alleine die 660 Nachrichtenportale der Zeitungen im Internet knapp 41% aller Deutschen erreicht. Ganz offensichtlich ändern sich hier Kommunikationsgewohnheiten, die einhergehen mit dem Rückgang an Auflage im Printbereich. Wir unterstützen in vielfacher Form auch alternative und unabhängige Formen von Online Medien. Dabei liegt unser Augenmerk in unbeschränkten und gleichberechtigten Arbeitsmöglichkeiten, dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Thematik um das oben genannte Leistungsschutzrecht das wir in der geplanten Gesetzesvorlage ablehnen.

Was kann die Demokratie vom Internet lernen?

Das Internet ist für die Demokratie Herausforderung und Chance zugleich. Es gilt einerseits den Begehrlichkeiten von Monopolisten, Staatsinteressen und Geheimdiensten entgegenzuwirken und andererseits die Vielfalt an neuen Möglichkeiten demokratischer Beteiligung zu fördern und schützen.

Weitere Interviews zum Thema „Netzpolitik“:

Martin Dörmann (SPD) – „Das Internet kann der Demokratie neuen Schwung verleihen“>>>

Malte Spitz (Grüne) – „Ich wünsche mir eine globale Agenda“ >>>

Jimmy Schulz (FDP) – „Die FDP ist die Partei der digitalen Aufklärung“

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) – „Das Internet ist eine Universal-Infrastruktur“ >>>

Jens Seipenbusch (Piraten) – „Der demokratische Prozess wird sich durch das Internet ändern“ >>>


Jetzt schon notieren: 22. September 2012 ab 17 Uhr report-k.de Live-Ticker zur Bundestagswahl mit starkem Blick und Fokus auf Köln und in Echtzeit allen Daten, Fakten und Stimmen aus Deutschland und NRW.

Autor: Frida Baumgarten | Foto: PR
Foto: Thomas Hegenbarth, Vorsitzender der Piraten Köln