Brüssel | EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hält einen Beitritt der Türkei zur EU unter dem derzeitigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht mehr für möglich. In einem „Bild“-Interview (Dienstag) warf Oettinger dem türkischen Präsidenten zugleich vor, „mit Halbwahrheiten“ zu arbeiten und stellte die Aufhebung der Visumpflicht bis Oktober infrage. Ein EU-Beitritt der Türkei sei „unter den derzeitigen Bedingungen bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein nicht realistisch“, sagte Oettinger weiter.

„Das wird wohl eher ein Thema für die Zeit nach Erdogan.“ Die Türkei bleibe aber ein „geostrategisch und wirtschaftlich wichtiges Land für die EU“. Gute Beziehungen seien deshalb wichtig für die EU. Dem türkischen Präsidenten warf Oettinger vor, ihm seien „Populismus und Nationalismus nicht fremd“.

„Er schwimmt auf der gleichen Welle wie Russlands Präsident Putin oder wie Donald Trump in den USA Wahlkampf macht.“ Zudem arbeite Erdogan zum Beispiel beim Flüchtlingspakt mit der EU „mit Halbwahrheiten“. So erwecke er den Eindruck, als ob die von der EU zugesagten sechs Milliarden Euro direkt in den türkischen Staatshaushalt fließen sollten.

„Aber das war nie geplant“, betonte der deutsche EU-Kommissar. Laut dem gemeinsamen Abkommen gehe das Geld an unabhängige Organisationen für Flüchtlings-Projekte in der Türkei von der Gesundheitsversorgung bis zum Bau von Schulen. „Die EU hat bereits mehr als zwei Milliarden Euro bereitgestellt. Aber es dauert, bis die Projekte anlaufen.“ Oettinger brachte zudem eine weitere Verschiebung des Termins zur Abschaffung der Visumpflicht für Türken in der EU ins Gespräch. Noch habe Ankara nicht alle Bedingungen für die Visa-Freiheit erfüllt. „Vor allem bei der Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze kann es keinen Rabatt von unserer Seite geben“, sagte Oettinger. „Für uns gehen Rechtsstaatlichkeit und Genauigkeit vor Schnelligkeit. Wenn die Türkei mehr Zeit für die Änderung der Gesetze braucht, ist das eben so.“ Besorgt äußerte sich der CDU-Politiker über eine mögliche Flüchtlingswelle von Türken im Nachgang des gescheiterten Putschversuchs. „Es ist nicht auszuschließen, dass sich viele Türken wegen der Säuberungswelle nach dem gescheiterten Putsch auch in der EU in Sicherheit bringen wollen. Darunter dürften vor allem entlassene Staatsdiener und Militärs, Intellektuelle und Journalisten mit ihren Familien sein.“

Autor: dts