Berlin | Nachdem über 650 Mitarbeiter eines Schlachtbetriebs von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück positiv auf das Coronavirus getestet worden sind, äußert Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) nun Kritik an Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU).

„Da die meisten Corona-Ausbrüche in NRW waren, zeigt sich: Laschet hat da nicht rechtzeitig gehandelt“, sagte der SPD-Politiker dem Nachrichtenportal Watson. Laschet ist zudem jüngst in Kritik geraten, weil er in einer Aussage nahelegte, Gastarbeiter aus Rumänien und Bulgarien könnten das Virus in die Betriebe eingeschleppt haben.

„Es darf nicht sein, dass Laschet das Problem jetzt wieder benennt, aber nicht löst. Mit seiner Aussage zeigt er ins Ausland und lenkt von der Verantwortung NRWs bei der Kontrolle dieser Betriebe ab“, so Lauterbach.

NRW gibt Corona-Hotspot-Studie in Auftrag

Nach dem Corona-Massenausbruch mit mehr als 650 Neuinfizierten in einem Schlachtbetrieb im Landkreis Gütersloh hat Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) eine eingehende Ursachenerforschung angekündigt. Sein Ministerium werde eine wissenschaftliche Studie in Auftrag geben, die dem Ausbruchsgeschehen „epidemiologisch auf den Grund“ gehe, sagte Laumann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitagausgabe). „Wir müssen untersuchen, wie die Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie entstehen.“
Thomas Voshaar, der als Lungenexperte und Chefarzt am Bethanien-Krankenhaus Moers tätig ist, hält ein eingehende Studie für unbedingt nötig. „Wir müssen diesen breiten, fetten Hotspot genau untersuchen. Es handelt sich um eine Anordnung wie unter Idealbedingungen“, sagte Voshaar, der auch Mitglied der Expertenkommission von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist.

„Die Chance, unser Wissen über das Coronavirus in vielerlei Hinsicht erheblich zu erweitern, sollten wir nicht ungenutzt lassen“, sagte Voshaar der FAZ. Im Fall Tönnies gebe es nun nicht nur die Möglichkeit, genau zu erforschen, wo die Masseninfektion stattgefunden hat. Aus seiner Sicht noch wichtiger sei, den Krankheitsverlauf der Infizierten genau zu verfolgen, um herauszufinden, wie viele positiv auf Sars-CoV-2 Getestete ernstlich krank werden. Es gebe Hinweise, dass das bei einem immer geringeren Teil der Infizierten der Fall sei.

„Warum das so ist, verstehen wir im Moment noch nicht so richtig, es könnte aber damit erklärbar sein, dass das Virus sich mittlerweile abgeschwächt hat.“ Zudem biete der Fall Tönnies die Chance, zu erforschen, wie viele der Infizierten Antikörper bilden oder wie viele keine bilden.

Grünen-Chef kritisiert Behörden im Fall Tönnies

Grünen-Chef Robert Habeck wirft den Behörden im Fall Tönnies vor, mit zweierlei Maß zu messen. Der Vorfall in Rheda-Wiedenbrück zeige auch, dass Quarantäneregeln offensichtlich nicht für alle gleichermaßen gelten würden, sagte Habeck den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagausgaben). Während alle Schulen und Kitas im Kreis Gütersloh auf unbestimmte Zeit geschlossen worden seien, habe ausgerechnet der Fleischbetrieb als Herd des Infektionsausbruchs nicht sofort vollständig stillgestanden.
„Dass die Ansage lautet: `Schülerinnen und Schüler bleibt zu Hause`, der Schlachtbetrieb aber wohl bald wieder hochgefahren werden soll, ist ein Unding“, sagte der Grünen-Chef. „Für die Fehler im System der Fleisch-Industrie zahlen nun die Schwächsten der Gesellschaft – unsere Kinder.“ Habeck bewertet den Corona-Massenausbruch am Tönnies Stammwerk in Ostwestfalen als Teil eines strukturellen Problems der Fleischindustrie.

„Das System des `immer mehr und immer billiger` muss beendet werden“, sagte er. Der Grünen-Vorsitzende forderte bessere Arbeitsbedingungen für Schlachthofmitarbeiter, einen gesetzlichen Stopp für Werkverträge und einem Umbau der EU-Agrarförderung. Daneben müsse es künftig einen Mindestpreis für Fleisch „als untere Schamgrenze“ geben.

„Es geht nicht um schwarze Schafe, sondern ums gesamte System.“

Autor: dts