Köln | Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ jüngst vernehmen: „Das Internet ist für uns alle Neuland“. Grund genug, vor der Bundestagswahl 2013 die Netzpolitik der Parteien einmal unter die Lupe zu nehmen. Report-k.de befragte dazu CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und die Piraten in Interviews. Nicht alle haben sich dazu bis heute geäußert, diese Interviews werden nachgeliefert. Martin Dörmann, MdB und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, erklärt im Interview, warum ein Internet-Staatssekretär denkbar ist, das Leistungsschutzrecht kontraproduktiv ist und welche Ziele die SPD bevorzugt umsetzen will.

Report-k.de: SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück hat Gesche Joost als Expertin für Netzpolitik und vernetzte Gesellschaft in das Wahlkampfteam berufen. Wollen auch Sie einen derartigen Posten einführen? Wäre ein Ministerium für Internet und Netzpolitik denkbar?

Martin Dörmann: Fragen des Internets und der Netzpolitik sind Querschnittsthemen, die fast alle Politikressorts berühren. Eine künstliche Abtrennung netzpolitischer Inhalte von Ressorts wie Wirtschaft, Verbraucherschutz, Inneres oder Kultur erscheint mir daher wenig sinnvoll. Vielmehr müssen alle Politikfelder für netzpolitische Fragestellungen sensibilisiert werden.

Es ist allerdings sinnvoll, dass netzpolitische Themen bei der Bundesregierung gebündelt behandelt werden. Gut denkbar ist die Ernennung eines Internet-Staatsministers oder einer -Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Dieses Amt könnte Diskussionen und Entscheidungsprozesse innerhalb der Bundesregierung und zwischen Regierung und Parlament koordinieren und sich aktiv an Debatten beteiligen. Die gewachsene Bedeutung netzpolitischer Themen muss sich auch in der Arbeit der Bundestagsausschüsse wiederspiegeln, auch in den einzelnen Fachausschüssen. Zudem könnte der heutige Unterausschuss „Neue Medien“, in dem ich selbst seit vielen Jahren mitarbeite, weiter aufgewertet oder in einen eigenständigen Ausschuss umgewandelt werden.

Beschreiben Sie Ihre Vision einer vernetzten Gesellschaft?

In einer vernetzten Gesellschaft haben die Menschen die Möglichkeit, die Chancen des Internets für sich zu nutzen. Das setzt voraus, dass alle den Zugang zu schnellen Internetverbindungen und prinzipiell zu allen Internetinhalten haben. Deshalb setzt sich die SPD für den forcierten Breitbandausbau, eine gesetzlich abgesicherte Grundversorgung sowie für Netzneutralität ein. Wichtig ist zudem, dass an Schulen noch mehr als bisher Medienkompetenz vermittelt wird, damit die Angebote im Netz bewusst genutzt werden können. Der Staat muss Rahmenbedingungen dafür setzen, dass die Freiheit des Einzelnen geschützt wird, etwa durch angemessene Datenschutzbestimmungen.

Was sollte Ihrer Meinung nach im Internet bevorzugt gefördert und gesichert werden: Unternehmerisches Interesse oder die Freiheit im Netz?

Unternehmerische Interessen und Freiheitsrechte im Internet sind nicht von vornherein Gegensätze, auch wenn es an vielen Stellen zu Konflikten kommen kann, etwa beim Datenschutz. Grundsätzlich gilt es, eine angemessene Balance zu halten. Im Zweifel hat dann die Freiheit des Einzelnen Vorrang. Viele unternehmerische Aktivitäten, zum Beispiel kreative Start-Ups, können sich erst durch Freiräume entfalten. Und viele Instrumente einer freiheitlichen digitalen Gesellschaft wären ohne private Anbieter wie facebook, twitter oder google kaum noch denkbar. Jedoch muss es sowohl für ökonomische Entfaltung als auch für das Ausleben persönlicher Freiheitsrechte im Internet klare Regeln und auch „Schutzräume“ geben. Dies betrifft einerseits Bereiche des Wettbewerbs- und Verbraucherrechts, andererseits aber auch Belange des Daten- oder Jugendschutzes.

Diese Regeln im Dialog zu entwickeln hatte sich die jüngst abgeschlossene Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft im Bundestag, in der ich mitgearbeitet habe, auf die Fahnen geschrieben und eine Vielzahl sinnvoller Vorschläge und Denkansätze erarbeitet. Die Diskussionen gehen aber natürlich angesichts des rasanten technischen Fortschritts weiter und müssen immer wieder zu neuen Positionierungen im Detail führen.

Nennen Sie drei Ziele, die Ihre Partei im Bereich der Netzpolitik bevorzugt umsetzen will

Eine zukunftsorientierte Netz- und Breitbandpolitik hat drei Ziele fest im Blick: Zum einen gilt es, schnelles Internet für alle endlich zu verwirklichen und den Breitbandausbau entschieden voranzutreiben. Zweitens sollten Mindestqualitäten bei Breitbandverträgen gesichert werden. Und drittens müssen die Prinzipien von Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit gesetzlich festgeschrieben werden. Zu diesen drei Bereichen hat die SPD-Bundestagsfraktion unter meiner Federführung kürzlich einen umfassenden Antrag in den Bundestag mit konkreten Vorschlägen eingebracht (Drucksache 17/13892).

Wie stehen Sie zur geplanten DSL-Drosselung der Telekom? Droht eine digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich bereits seit längerer Zeit für eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität im Telekommunikationsgesetz ein. Damit wollen wir sicherstellen, dass die gewohnte „Best Effort Qualität“ des Netzes erhalten und ausgebaut wird und allen zur Verfügung steht. Wir haben hierzu in dieser Wahlperiode mehrere Anträge in den Bundestag eingebracht. Leider verweigert sich die schwarz-gelbe Koalition bis heute einer wirksamen gesetzlichen Regelung und betreibt an dieser Stelle lieber reine Symbolpolitik.

Das neue Tarifmodell der Deutschen Telekom AG wirft in der Tat eine Vielzahl von Fragen auf, sowohl hinsichtlich der Themen Netzneutralität und Diskriminierungsfreiheit als auch zum Wettbewerbsrecht und zum Verbraucherschutz. So ist schon aus Verbraucherschutzgründen höchst problematisch, dass die Deutsche Telekom bereits jetzt die erst ab 2016 geplanten Änderungen bei der Tarifierung in Verbindung mit der Möglichkeit einer Drosselung in die komplexe Leistungsbeschreibung neuer Verträge aufnimmt, ohne dass der Kunde genau weiß, mit welchen Tarifen und Beschränkungen er letztlich rechnen muss.

Erste Ankündigungen zur Drosselungsgeschwindigkeit musste die Telekom ja bereits aufgrund des öffentlichen Drucks nach oben ändern. Zudem ist eine Vielzahl von Fragen rund um die Ausgestaltung der geplanten „Managed Services“ offen, ohne die man eine endgültige Beurteilung der Auswirkungen kaum vornehmen kann. Hier sind zuvorderst die Telekom, aber im weiteren Verfahren auch die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde gefordert, für mehr Transparenz zu sorgen.
Dabei wird insbesondere auch die völlig zu Recht aufgeworfene Frage zu klären sein, welche Auswirkungen es auf die Innovationskraft des Internets hat, wenn es hinsichtlich der Drosselung von einzelnen Anwendungen nach Überschreiten der Volumengrenze faktisch zu einer Ungleichbehandlung von Anwendungen kommt, weil der eine Marktteilnehmer für die Nichtanrechnung zahlt, der andere aber nicht. Dies dürfte ein zentraler Punkt sein, für den die Bundesnetzagentur in den von ihr angekündigten Eckpunkten zur Netzneutralität nachvollziehbare Kriterien entwickeln muss.

Wie beurteilen Sie das Leistungsschutzrecht?

Das schwarz-gelbe Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist verfassungsrechtlich umstritten und aus unserer Sicht kontraproduktiv: Es löst die Probleme nicht und schafft neue Rechtsunsicherheiten. Die Koalition hat es geschafft, ein im Kern berechtigtes Anliegen zu diskreditieren. Presseverlage sind darauf angewiesen, ihre bereits bestehenden (ggf. abgeleiteten) Rechte an Texten wirksam zu schützen und wirtschaftlich zu verwerten, damit im Internet mit journalistischen Angeboten Geld verdient werden kann. Insofern gibt es gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich deshalb stets für eine Stärkung der Rechtsdurchsetzung von Urheberrechten für Presseverlage ausgesprochen, damit Rechtsverletzungen von sogenannten Harvestern und Newsaggregatoren besser verfolgt werden können. In der Form, wie es die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag verabschiedet hat, ist das Leistungsschutzrecht der falsche Weg, da es neue Rechtsunsicherheiten schafft und sinnvolle Suchmaschinenfunktionen faktisch einzuschränken droht.

Was muss Deutschland im Bereich der digitalen Gründungspolitik noch lernen?

Die digitale Gründerszene umfasst höchst unterschiedliche Branchen. Insbesondere der Bereich der Kreativwirtschaft mit ihren Teilbranchen Musikwirtschaft, Film, Software, Games und Werbewirtschaft lebt von frischen Ideen und neuen Start-Ups. Hier wird oft eine ganz neue Arbeitswelt mit allen Risiken und Chancen gelebt. Sie ermöglicht sozialen Aufstieg und Selbstverwirklichung, auch unabhängig von formalen Bildungswegen, weist einen hohen Anteil an gut ausgebildeten Talenten und an Frauen auf. Erfolgreich ist, wer etwas kann, wer eine gute Idee hat und diese auch in einem ökonomischen Sinne gut umsetzt. Die Branche bietet eine neue Kultur der Selbstständigkeit insbesondere im Hinblick auf flexible Arbeits- und Lebensgestaltung. Brüche in risikoreichen Lebensläufen und wechselnde Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse sind  zugleich auch Herausforderungen an die solidarische Gesellschaft und den Sozialstaat. Die extrem flexible Start-Up-Szene hat aber auch Laborcharakter, der auch zum Vorbild für etablierte Unternehmen dienen kann.

Inzwischen sind die Potenziale einer starken Kreativ- und Gründerszene auch in der Wirtschaftspolitik breit anerkannt. Dennoch gibt es weiterhin bürokratische Hemmnisse, die im Interesse einer lebendigen Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik dringend beseitigt werden müssen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in ihrem „Kreativpakt“ (Drucksache 17/12382) zahlreiche konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lage von Kreativen und Gründern benannt. Dazu zählen die Modernisierung des Urheberrechts, Anpassung der sozialen Sicherung, Neuausrichtung der Wirtschaftsförderungsinstrumente, neue Wege in der Bildung und Weiterbildung sowie der Ausbau von Breitbandzugängen, um schnellen Zugang zum Internet für alle überall zu ermöglichen.

In NRW will Staatssekretär Marc Jan Eumann eine Stiftung für Lokal-Journalismus gründen. Wäre etwas Ähnliches auch vom Bund denkbar? Wie wollen Sie künftig Online-Medien stärker fördern?

Journalismus im Printbereich ist heute überwiegend geprägt durch rückläufige Auflagenzahlen und Anzeigenerlöse im Printbereich und den Abbau von Redaktionskapazitäten. Zugleich gibt es bislang nur sehr vereinzelte journalistische Angebote im Netz, die schwarze Zahlen schreiben. Dies stellt auch die Medienpolitik vor neue Herausforderungen. Angesichts der gravierenden Veränderungen sind neue Instrumente notwendig, um die Vielfalt der Medienlandschaft und die Qualität der Medienangebote sicherzustellen. Im Kern geht es nicht nur um Verwertungsketten und um neue Geschäftsmodelle, sondern um die Frage, wie wir einen freien, unabhängigen und qualitativ hochwertigen Journalismus in der digitalen Gesellschaft erhalten und finanzieren wollen.

Wenn der qualitativ hochwertige Journalismus von so grundlegender Bedeutung für die Gesellschaft und Demokratie ist, muss umfassend die Frage diskutiert werden, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit die Presse ihre öffentliche Aufgabe erfüllen kann. Geprüft werden sollten daher auch neue Finanzierungsformen, etwa Stiftungsmodelle. Klar ist aber auch: Jeglicher staatlicher Einfluss auf die Medien muss dabei ausgeschlossen sein. Insofern können Stiftungsmodelle insbesondere einen Beitrag zur Ausbildung von Journalisten und zur wissenschaftlichen Begleitung des Lokaljournalismus dienen, nicht aber die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle – auch im Netz – erstetzen. Ich betrachte das Stiftungsmodell in NRW, das mit unter 2 Millionen € pro Jahr auch relativ überschaubar ist, als Pilotprojekt für neue Ansätze, möglicherweise auch auf Bundesebene.

Online-Medien haben enormes Wachstumspotenzial und werden die klassischen Medien zunehmend ergänzen. Gerade weil viele Menschen ihre Zeitung am Frühstückstisch gerne in Papierform, in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit aber lieber auf dem Tablet lesen wollen, sollten unterschiedliche Besteuerungen abgeschafft werden. Journalistische Inhalte sollten einheitlich mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belastet werden, egal ob als Print- oder als Digitalausgabe.

Was kann die Demokratie vom Internet lernen?

Das Internet kann als Instrument der offenen Kommunikation der Demokratie neuen Schwung verleihen. Die jungen Protestbewegungen im Orient, aber auch die oftmals über facebook und twitter organisierten Bürgerproteste hierzulande haben das aller Welt vor Augen geführt. Schnelle und preiswerte Kommunikation, Vernetzung und ungebremster Informationsfluss bieten gewaltige Chancen für alle Bereiche der Gesellschaft. Nicht umsonst wird die Erfindung des Internets oft mit dem Buchdruck verglichen, der ebenfalls ein neues Zeitalter eingeleitet hat. Umgekehrt kann das Internet aber nur in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften sein volles Potenzial entfalten. Die Gefahren für Missbrauch durch Kriminelle, Staaten und Unternehmen liegen auf der Hand. Insofern liegt es an uns, die Digitalisierung so zu nutzen, dass wir die Chancen für eine neue Wissensgesellschaft ergreifen, ohne die neuen Bedrohungen außer Acht zu lassen. 

Weitere Interviews zum Thema „Netzpolitik“:

Malte Spitz (Grüne) – „Ich wünsche mir eine globale Agenda“ >>>

Jimmy Schulz (FDP) – „Die FDP ist die Partei der digitalen Aufklärung“ >>>

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) – „Das Internet ist eine Universal-Infrastruktur“ >>>

Thomas Hegenbarth (Piraten) – „Das Internet ist für die Demokratie Herausforderung und Chance zugleich“>>>

Jens Seipenbusch (Piraten) – „Der demokratische Prozess wird sich durch das Internet ändern“ >>>


Jetzt schon notieren: 22. September 2012 ab 17 Uhr report-k.de Live-Ticker zur Bundestagswahl mit starkem Blick und Fokus auf Köln und in Echtzeit allen Daten, Fakten und Stimmen aus Deutschland und NRW.

Autor: Frida Baumgarten | Foto: PR
Foto: Martin Dörmann, MdB und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion