Münster | Der Präsident des NRW-Verfassungsgerichts, Michael Bertrams, erhebt schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. „Das Bundesverfassungsgericht hat unter seinem früheren Präsidenten Rechtsextremismus verharmlost“, sagte Bertrams der Nachrichtenagentur dapd. Wenn Karlsruhe „stattdessen ein deutliches verfassungsrechtliches Zeichen gegen den Rechtsextremismus gesetzt hätte, dann hätte das Wirkung gezeigt“, betonte der 64-Jährige.

Nach Bertrams Auffassung hätte das höchste deutsche Gericht dieses Zeichen gesetzt, „wenn man damals auch nur geahnt hätte, dass der NSU in dieser Zeit seine Morde verüben konnte“. Die rechtsterroristische Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wird für zehn Morde verantwortlich gemacht.

„Dann kann es schon nicht so schlimm sein mit diesen Burschen“

Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts (OVG) für Nordrhein-Westfalen hatte Demonstrationen von Rechtsextremisten mehrfach verboten. Die Karlsruher Richter hatten die zuvor durch das OVG Münster bestätigten Verbote in mehreren Fällen aufgehoben. „Das hatte zur Folge, dass die Neonazis in der öffentlichen Erscheinung mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts aufmarschiert sind. So wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt: Dann kann es schon nicht so schlimm sein mit diesen Burschen“, kritisierte Bertrams.

Das Bundesverfassungsgericht habe vom Gedankengut der Neonazis als einer „missliebigen Meinung“ gesprochen. Bertrams‘ Auffassung nach sind Fremdenhass, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit aber „nicht lediglich missliebige Meinungen, sondern Überzeugungen und Haltungen, denen das Grundgesetz eine rigorose Absage erteilt“.

Die vom Bundesverfassungsgericht genehmigte Versammlungsfreiheit für Neonazis ist für ihn daher unerklärlich. „Freiheit ist nicht schrankenlos“, rügte er. Nach der Ablösung von Hans-Jürgen Papier als Präsident des Bundesverfassungsgerichts durch Andreas Voßkuhle im Jahr 2010 habe es allerdings einen Wandel gegeben. „Die jüngeren Entscheidungen zur Versammlungsfreiheit von Rechtsextremisten zeigen ein höheres Maß an Sensibilität“, erklärte Bertrams, der im Januar 2013 nach 18 Jahren an der Spitze des NRW-Verfassungsgerichts in den Ruhestand geht.

Autor: Jean-Charles Fays, dapd
Foto: Rechter Aufmarsch in Köln im Jahr 2011