München/Stuttgart | Die starke Begrenzung der Zahl von Journalisten und weiteren Zuhörern beim bevorstehenden NSU-Prozess in München stößt zunehmend auf Kritik – und hat Irritationen im Umgang mit Vertretern der Türkei ausgelöst. Am Freitag wurde bekannt, dass der türkische Botschafter und der Menschenrechtsbeauftragte des türkischen Parlaments offenbar keinen festen Platz im Prozess gegen die Angeklagten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bekommen sollten.

Das hatte das Oberlandesgericht (OLG) München dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags mitgeteilt, der um Platzreservierungen für die politischen Würdenträger gebeten hatte, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. Der Bitte könne nicht entsprochen werden, schrieb demnach der Vorsitzende des Staatsschutzsenats des Gerichts, Manfred Götzl, nach Berlin. Es stehe dem Botschafter und dem Vertreter des türkischen Parlaments jedoch frei, sich als Teil der allgemeinen Öffentlichkeit zum Gericht zu begeben.

Dann ruderte das Gericht offenbar zurück: Am Freitagmittag sagte OLG-Sprecher Hans-Kurt Hertel auf dapd-Anfrage, das Gericht strebe eine „für alle Beteiligten praktikable und akzeptable Lösung“ an. Dazu seien „Bemühungen im Gange“. Details wollte er aber nicht nennen.

Zuvor hatte der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), die ursprüngliche Haltung des Gerichts als „nicht nachvollziehbar“ und „unangemessen“ bezeichnet und von einem „Affront“ gegenüber den berechtigten Interessen der türkischen Vertreter gesprochen. „Der NSU hat sechs türkische Staatsbürger und zwei gebürtige Türken getötet“, gab der SPD-Politiker zu bedenken.

Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Bayern, Markus Rinderspacher, hält es für angemessen, dem türkischen Botschafter und Menschenrechtsbeauftragen des türkischen Parlaments einen festen Platz im NSU-Prozess in München zu reservieren. Der Prozess sei „von besonderem öffentlichem Interesse, nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei“, betonte er.

Politisch bedeutsam

Opferanwalt Jens Rabe kritisierte das restriktive Vorgehen des OLG bei der Zahl der zugelassenen Journalisten. „Ich verstehe nicht, warum man diesem Prozess nicht die Bedeutung beimisst, die er hat“, sagte Rabe der „Stuttgarter Zeitung“. Bei einem auch international bedeutsamen Prozess sollte man „nicht möglichst viele Medienvertreter ausschließen, sondern möglichst viele hereinlassen“, betonte Rabe. Der Sitzungssaal im Münchner Gericht umfasst lediglich 200 Plätze, davon stehen wegen der großen Zahl von Nebenklägern nur 50 für Medienvertreter und 50 für die Allgemeinheit zur Verfügung.

Der am 17. April beginnende NSU-Prozess werde zurecht als einer der größten der deutschen Nachkriegsgeschichte bezeichnet, sagte Rabe. „Die Ermittlungsakten umfassen 130.000 Seiten, die Anklageschrift beinahe 500 Seiten, mehr als 150 Personen sind daran beteiligt, 600 Zeugen und 22 Gutachter sollen gehört werden“, erläuterte der Anwalt, der die Nebenklägerin Semiya Simsek vertritt. Ihr Vater Enver Simsek war am 9. September 2000 in Nürnberg mutmaßlich von NSU-Terroristen erschossen worden.

Der NSU-Prozess sei auch „politisch bedeutsam“, betonte Rabe. Die angeklagten Taten stellten „einen ebenso massiven Angriff auf die bundesrepublikanische Ordnung dar wie diejenigen der Rote-Armee-Fraktion (RAF)“.

Angeklagt sind neben dem mutmaßlichen NSU-Mitglied Beate Zschäpe und dem früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben noch drei weitere mutmaßliche NSU-Unterstützer. Dem NSU werden zehnfacher Mord, mehrere Mordversuche, Brandstiftung und Banküberfälle vorgeworfen.

Autor: Von Norbert Demuth und Diana Gäntzle, dapd | Foto: Clemens Bilan/dapd
Foto: Der Anwalt Jens Rabe kritisiert das restriktive Vorgehen des OLG München