Berlin | aktualisiert | Die Umweltschutzorganisation Greenpeace Niederlande hat am Montag zahlreiche bisher geheime Unterlagen zu den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU im Internet zugänglich gemacht. Nach Einschätzung von Greenpeace könnte TTIP bestehende Standards und Regularien zum Schutz von Umwelt und Verbrauchern selbst rückwirkend kippen. Die US-Seite schlage unter anderem Mechanismen vor, um etwa auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Regeln zu Erneuerbaren Energien als Handelshemmnis einzustufen.

Im Kapitel zur regulatorischen Kooperation fordern die USA laut Greenpeace, dass Regularien, die den Handel hemmen, auch nachträglich zurück genommen werden dürfen. „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR hatten vorab berichtet, dass Washington zudem damit drohe, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt. Die Dokumente offenbaren den drei Medien zufolge darüber hinaus, dass sich die USA dem dringenden europäischen Wunsch verweigern, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Konzernklagen durch ein öffentliches Modell zu ersetzen.

„Bei den Verhandlungen soll hinter verschlossenen Türen ein mächtiger Rammbock gezimmert werden, der auch den fest verankerten Schutz für Umwelt und Verbraucher wieder aus dem Weg räumen kann. Dieses Geheimabkommen muss gestoppt werden“, forderte Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch am Montag. Die von Greenpeace veröffentlichten Dokumente sind unter dem Link „ttip-leaks.org“ abrufbar.

Malmström: EU-Standards werden in TTIP-Verhandlungen nicht aufgeweicht

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat angesichts der Enthüllungen von bisher geheimen Unterlagen zu den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA versichert, dass europäische Standards zu Verbraucher- und Umweltschutz nicht aufgeweicht würden. Durch Handelsabkommen werde es nicht zu einer Änderung von Gesetzen zu Gen-Lebensmitteln, zur Produktion von Rindfleisch oder zum Umweltschutz kommen, betonte Malmström am Montag. Bei den veröffentlichten Unterlagen handele es sich um Verhandlungsdokumente, nicht um Ergebnisse, betonte sie.

Die Papiere zeigten die Positionen der Verhandlungspartner. Das bedeute jedoch nicht, dass eine Seite nachgeben werde. Lägen die Positionen in bestimmten Bereichen zu weit auseinander, werde man sich bei dem Thema schlicht nicht einigen, so die EU-Kommissarin.

Viele Schlagzeilen zu den enthüllten Dokumenten seien daher „ein Sturm im Wasserglas“. Die Bundesregierung will unterdessen an einem raschen Abschluss der TTIP-Verhandlungen festhalten. „Wir halten den zügigen Abschluss eines ehrgeizigen Abkommens für sehr wichtig“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.

Dröge: Wissen jetzt was wir nicht wissen

Katharina Dröge, Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Wettbewerbspolitik:  „Transparenz war bitter nötig. Und bitter ist, was nun transparent wird: Im Hinterzimmer wird um Verbraucher- und Umweltstandards in Europa gepokert. Durch Expertengremien und die sogenannte regulatorische Kooperation wird die demokratische Kontrolle geschwächt.
 
Unternehmen, Verbänden und US-amerikanische Entscheidungsträger bekämen exklusiven Zugang zu Ideen und Entwürfen für Regulierungen, bevor das Europaparlament sie sieht, geschweige denn die europäischen Bürgerinnen und Bürger. So könnten wichtige Vorhaben im Keim erstickt werden. Diejenigen, die regulieren wollen, stehen unter enormen Rechtfertigungsdruck – Hauptsache der Freihandel wird nicht erschwert. Verbraucherschutz, Tierwohl, Maßnahmen gegen den Klimawandel werden dann sekundär.
 
Es gibt nur eine Schlussfolgerung: Diese Verhandlungen müssen gestoppt werden. Es braucht einen Neustart, eine öffentliche Debatte als Grundlage für eine Neuausrichtung europäischer Handelspolitik. Die Leaks durch Greenpeace haben hierfür eine Grundlage geschaffen. In ihrem gläsernen Leseraum können Bürgerinnen und Bürger sich nun endlich auch selbst informieren.
 
Bitter ist allerdings auch, dass ein Leak den richtigen Hebel ansetzt. Freiwillig geben Bundesregierung und europäische Kommission keine Informationen preis. Die geleakten Texte über die Verhandlungsrunden machen deutlich wie viele Dokumente selbst den Abgeordneten vorenthalten werden: US-Vorschläge zu den umstrittenen Investor-Staat-Schiedsgerichten, Marktzugangsangebote – das wo es besonders brisant wird, haben wir im Leseraum vergeblich gesucht.  Diese Dokumente wurden heute nicht geleakt, die veröffentlichten Hintergrundtexte geben aber klare Hinweise darauf, dass es sie geben muss.“

Autor: dts