Köln | „Munaqabba –über Frauen mit Vollverschleierung in Deutschland“ heißt eine Ausstellung der Fotografin Selina Pfrüner die vom 21. bis 30. Juni 2019 im Atelierzentrum Ehrenfeld (AZE) gezeigt wird. In einem offenen Brief hinterfragen mehr als 50 Personen den Sinn und die Intention der Ausstellung und befürchten eine Werbeveranstaltung für die „Vollverschleierung“. Den offenen Brief richteten die Aktivisten an die Förderer der Ausstellung: das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste und das Kulturamt der Stadt Köln und fragen nach dem politischen Mandat die Ausstellung zu fördern. Report-K fragte beim AZE und den Förderern nach.

Vorwurf der Unreflektiertheit

In ihrem offenen Brief schreiben die Initiatorinnen der Kritik über die Ausstellung: „In der Ausstellung werden vollverschleierte Frauen und Ihre Meinungen per Bild oder Video dargestellt und jede Art von Hijab zum Probieren zur Verfügung gestellt. Es werden die Meinungen von den Frauen präsentiert, die nicht möchten, dass ihre Stimme von Männern gehört wird und die die volle Verschleierung als Schutzraum empfinden.“ Die Zahl der vollverschleierten Frauen sei in Köln sehr gering, stellen die Kritikerinnen fest. Der Ausstellung werfen Sie Unreflektiertheit vor und eine werbende Art und Weise für die Vollverschleierung. Unter den Unterzeichnerinnen des Offenen Briefes sind Hellen Vaziry, Hamide Akbayir oder Dr. Lale Akgün. Unterstützt wird der Offene Brief vom Iranisch-Deutschen Frauenverein Köln.

Die offizielle Beschreibung der Ausstellung

In der Beschreibung der Ausstellung schreiben die Macher: „Mit Video-Portraits, Audio-Beiträgen, Fotografien und einem umfangreichen Rahmenprogramm zum Mitdiskutieren und Selbsterfahren bietet sie damit die Möglichkeit, sich aus einer neuen Perspektiven mit diesem Thema zu beschäftigten.Warum wird die sogenannte Burka-Debatte in Deutschland so emotional geführt? Und warum kommen dabei diejenigen, um die es geht, selbst am wenigsten zu Wort? Das fragte sich die Fotografin Selina Pfrüner und beschloss, in der Begegnung und im Gespräch mehr über die Lebenswirklichkeiten dieser vollverschleierten Frauen herauszufinden.“ Neben den Fotos und Multimedia-Installationen, die sich mit dem Alltag der Frauen und ihrem Glauben auseinandersetzen, so die Fotografin gebe es auch die Möglichkeit „mit Hilfe der vollverschleierten Protagonistinnen“ diese Kleidungsstücke anzuprobieren. Weiter heißt es: „Ausstellungsführungen und Vorträge runden das Programm der Ausstellung ab, die neue Einblicke und eine wirkliche Annäherung an das Thema der Vollverschleierung ermöglicht.“ Auch eine Podiumsdiskussion sei geplant und man kooperiere mit „Köln spricht“.

„Vollverschleierung ist keine Mode!“

Die Kritikerinnen befürchten, dass mit solch einer Ausstellung das Thema Vollverschleierung normalisiert werde und schreiben: „Vollverschleierung ist keine Mode!“ Der Ausstellung unterstellen sie die „Vorteile“ der Vollverschleierung zu propagieren als eine Art Schutz für Menschen. In Deutschland sei dieser aber der Rechtsstaat und nicht ein Schleier. Besonders scharf kritisieren die Gegnerinnen der Ausstellung die Möglichkeit des Anprobierens und dass dieses durch staatliche Mittel unterstützt werde. Dafür gebe es in Köln schon genügend andere kommerzielle oder institutionelle Anbieter. Weiter heißt es: „Hier wird das in patriarchalischen islamischen Ländern existierende und angestrebte Frauenbild, das nach Deutschland getragen wurde, unkritisch und sogar positiv wertend wiedergegeben. Es handelt sich um islamistisch geprägte Länder und Regionen, in denen Frauen von Männern bevormundet und unterdrückt werden. Mittels der Vollverschleierung wird die Existenz der Frau als Individuum im öffentlichen Raum negiert. Die Vollverschleierung steht in diesen Ländern selbst in der Kritik und die dort lebenden Frauen kämpfen dort gegen den Zwang zur Vollverschleierung und für ihre Selbstbestimmung. Wenn die Vollverschleierung freiwillig ist, warum gibt es dann in islamischen Ländern Gesetze und Strafen für die Durchsetzung? Die Frauen in Afghanistan, Syrien, Saudi-Arabien, dem Iran oder in der Türkei – um nur einige Länder zu nennen – die die Vollverschleierung ablehnen oder gegen die zunehmende Bevormundung und Verdrängung aus dem öffentlichen Raum protestieren, werden entweder verhaftet oder Opfer von gewalttätigen staatlichen oder zivilen Angriffen von Männern.“

Vor allem an die staatlichen Geldgeber richten die Kritikerinnen die Frage ob mit den Mitteln nicht besser Projekte gefördert werden müssten, die Migrantinnen bei Gewalt in der Familie und Gesellschaft helfen: „Bei der Frage der Vollverschleierung der Frau wäre es sicher auch interessant, sich nicht ausschließlich auf die vermeintliche Freiwilligkeit zu konzentrieren, sondern die Frauen und ihre Männer nach ihrer Haltung zu Grundrechten und Freiheiten in einem demokratischen Staat und einer demokratischen Gesellschaft zu fragen. Was wir definitiv nicht möchten ist die Förderung fundamentalistischer Lebensarten und Weltanschauungen mit öffentlichen Mitteln.“

Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW will eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema

Das Ministerium fördert das Projekt mit rund 8.000 Euro im Rahmen des Sonderförderprogramms „Interkulturelle Impulse“. Das Ministerium schreibt in seiner Stellungnahme: „Die Entscheidung über die Förderung des Ausstellungsprojekts „Munaqabba – über Frauen mit Vollverschleierung in Deutschland“ wurde gemäß den Vorgaben des Kulturfördergesetzes durch eine unabhängige Expertenjury getroffen. Grundlage für die Entscheidung war ein Antrag der Fotografin und Künstlerin Selina Pfrüner. Nach Auskunft der Jury hat der eingereichte Projektantrag gerade dadurch überzeugt, dass die Künstlerin ihre Arbeit in einen konzeptionellen Kontext stellt. So geht es im Projektantrag explizit um eine kritische Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Lebensarten und Weltanschauungen und gerade nicht um deren Förderung. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft hat die klare Erwartung, dass sich diese kritische Auseinandersetzung auch deutlich wahrnehmbar in der Ausstellung wiederfindet.“

Juryleiter verteidigt Entscheidung

Harald Redmer, Geschäftsführer des Landesbüro Freie Darstellende Künste, bezieht sich ebenfalls auf das Sonderförderprogramm, die gesetzlichen Grundlagen und die Entscheidung der Jury: „Ich selber habe die Sitzung geleitet und verbürge mich für ein sachgemäßen und professionellen Maßstäben genügendes Verfahren. Die Entscheidung der Jury ist zu respektieren. Grundlage dafür ist ein überzeugender Antrag der Künstlerin Selina Pfrüner. Sie ist eine auch international anerkannte Fotografin. Ausschlaggebend für die Förderung war der überzeugende konzeptionelle Kontext, in den sie ihre Arbeiten stellt.“ Redmer geht von einer sorgfältigen Durchführung des Gesamtprojektes aus, dass er durch das Programm bestätigt sieht. Er nennt die Podiumsdiskussion am 30. Juni unter anderem mit Lamya Kaddor, Publizistin, Religionspädagogin, Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bunds, Sabine Damir-Geilsdorf, Professorin für Islamwissenschaft: Arabische Gesellschaften und Kulturen, Orientalisches Seminar, André Taubert / Legato – Systemische Ausstiegsberatung und Prof. Dr. Stefan Muckel, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht. Zudem stellt Redmer fest, dass der Künstlerin die Brisanz des behandelten Themas und Problemfeldes sehr bewusst seien. Redmer: „Im Projekt geht es um die Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Lebensarten und Weltanschauungen, aber gerade nicht um deren Förderung. Es ist offensichtlich, dass das in der Ausstellung „Munaqabba – über Frauen mit Vollverschleierung in Deutschland“ verhandelte Thema auch kontroverse öffentliche Resonanz hervorrufen kann. Diese ist von der Künstlerin sicher auch beabsichtigt und ist in unserem Verständnis auch eine der Aufgaben von Kunst.“

3.000 Euro von der Stadt Köln

Barbara Foerster, Amtsleiterin Kulturamt der Stadt Köln, stellt fest, dass Fotografin Pfrüner einen spannenden, in keine Richtung wertenden Zugang zu der Thematik gefunden habe. Foerster verweist darauf, dass die Rechercheergebnisse zur jetzigen Ausstellung bereits 2018 in einer kleineren Ausstellung zu sehen gewesen seien. Überzeugt habe das Kulturamt, dass Pfrüner den Ansatz verfolgte, sich nicht in abstrakten Diskursen zu ergehen, sondern zunächst eine Auseinandersetzung an der Basis – bei den Frauen selbst – zu suchen. Dies habe das Kulturamt und den Fachbeirat Interkulturelle Kunstprojekte überzeugt. Das Kulturamt fördere die Ausstellung genau aus diesem Grund, so Foerster: „Um qualifizierte Diskussionen zu bestimmten – auch kontrovers diskutierten – Themen führen zu können, ist eben dieser basale Zugang auf Augenhöhe mit den jeweiligen ProtagonistInnen unverzichtbar für das tatsächliche Verständnis eines darauf aufbauenden Diskurses.“ Kunst müsse keine Antworten auf gesellschaftliche Fragen geben, sondern provoziere diese erst und sorge so für gesellschaftliche Diskussionen. Zu den Anproben von Burka, Chador, Niqab, Hijab sagt Foerster: „Der Teil des Ausprobierens der Verschleierungen ist sicherlich der provokanteste. Aber Kunst-Ausstellungen zeigen den künstlerischen Blick auf ein Thema. Sie selbst sind keine Info-Veranstaltungen.“ Auch sie verweist auf das Rahmenprogramm mit diskursiven Formaten, die auch Auflage zur Förderung gewesen seien. Foerster gibt sich sicher, dass das Publikum nicht „alleine“ gelassen werde und empfiehlt den Kritkerinnen hinzugehen und sich auf den Diskussionsveranstaltungen einzubringen. Das Kulturamt der Stadt Köln förderte die Ausstellung mit 3.000 Euro.

Hinweis der Redaktion: Mittlerweile liegen der Redaktion die Antworten der Künstlerin und des AZE vor, die Sie hier finden.

Autor: Von Redaktion
Foto: Symbolbild und Montage. (Es handelt sich um kein Motiv der Ausstellung)