Köln | Große Namen zieren die Liste der Preisträger der Kompassnadel die vom Schwulen Netzwerk im Rahmen des Kölner CSD Empfanges vergeben wurden: Rita Süssmuth, Theo Zwanziger, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hannelore Kraft, Rainer Jarchow oder Volker Beck. Heute wurde neben dem Ehrenamtspreisträger „queerblick“ auch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ausgezeichnet. Innerhalb der Community gab es im Vorfeld eine lebhafte Debatte, besonders wegen der diskriminierenden Berichterstattung des „Spiegel“ in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, bei der Preisverleihung viele kritische Stimmen und nicht jeder klatschte im Saal oder war gekommen. Auch aus medialer Sicht stellt sich die Frage ob ein Preis, der für Engagement verliehen wird, der richtige für ein Medium ist und es wirft die Frage nach der Passung auf.

Der passende Preis?

Wer aus heutiger Sicht die Artikel des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts liest, ist erschrocken über die Darstellung und Wortwahl der damals tätigen Redakteure. (Eine Übersicht findet sich hier) „Aids – Eine Epidemie, die erst beginnt“, so der Titel der Coverstory vom 6. Juni 1983. Schon im Vorspann schrieb man „Die Homosexuellen-Seuche Aids, eine tödliche Abwehrschwäche hat Europa erreicht.“ Teilweise bebildert man den Text mit Bildern von der Pest in Wien von 1348, Pockenkranken in Indien aus den 70ern oder der Cholera von 1851. Dazu startete der Artikel mit einem Zitat von Camus zur „Pest“. Am 31. Mai 1982 brachte der Spiegel die erste Story mit dem Titel „Schreck von drüben“. Unter Gesellschaft in der Ausgabe 18/1983 titelte man „Wie die Pest“ und schon im Vorspann hieß es „In den USA grassiert eine „Epidemie der Furcht“ vor der Homosexuellen-Krankheit Aids; ihre Opfer werden behandelt wie Aussätzige.“

Arne Kaiser, der Landesvorsitzender der Aidshilfe NRW, nannte die damalige „Spiegel“-Berichterstattung „unsäglich“ und das sie ein gesellschaftliches Klima der irrationalen Angst und eine Politik der Ausgrenzung von Menschen mit HIV und AIDS befördert habe. Man sehe die Verleihung kritisch und verkenne nicht, dass Menschen durch die polarisierende Berichterstattung nachhaltig verletzt und sogar traumatisiert wurden. „Positiv Handeln NRW“ sieht die Preisverleihung ebenso außerordentlich kritisch und man trug schwarze Trauerbinden im Foyer des Gürzenich. In einer Mitteilung heißt es: „Unter dem Druck der damaligen Berichterstattung und der daraus resultierenden Stigmatisierung haben sich damals eine Reihe von HIV infizierten Menschen das Leben genommen oder sind psychisch derart belastet worden, so dass sie immer noch darunter leiden“. Die Kritiker betonten aber auch, dass die damals aktiven Redakteure heute nicht mehr beim „Spiegel“ seien

In der Jurybegründung spricht man von einem ausgewogenen und realistischen Bild, dass der „Spiegel“ in seinen aktuellen Berichten heute vom homosexuellen Leben in Deutschland zeichne und über Länder berichte, in denen Homosexuelle unterdrückt, verfolgt und ermordet werden. Der „Spiegel“ setze sich aktiv für eine Verbesserung der Lebenssituation von Schwulen ein und diene anderen Massenmedien als Vorbild für die positive Darstellung einer vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft.

Der Preis, so heißt es in der Auslobung des schwulen Netzwerkes NRW, wird seit 2001 „an Persönlichkeiten, die sich besonders um die Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz der schwulen Minderheit verdient gemacht haben“ vergeben. Hier liegt eine zweite Ebene, die die Frage nach der Passung des Preises aufwirft. Der Laudator des Preises Marcel Dams zitiert Hans-Joachim Friedrichs und dessen berühmten Spruch, dass sich ein guter Journalist mit nichts gemein machen sollte und lobt die „Spiegel“-Redakteure als gute Journalisten die distanziert und engagiert zugleich berichteten. Aber später heißt es dann: „Sie müssen sich nicht mit uns gemein machen. Aber mit der Kompassnadel werden sie dafür ausgezeichnet, zu schreiben, wie wir sind. Schreiben Sie weiter darüber, wie es ist, heute als Jugendlicher der unreflektierte Homophobie Gleichaltriger auf dem Schulhof zu begegnen. Schreiben Sie, wie es ist, als junger Mann mit HIV auf viele Vorurteile und Stigma, selbst unter Schwulen zu stoßen. Schreiben Sie, wie es ist, trotz gleicher Pflichten noch nicht die gleichen Rechte zu bekommen“. Und mit dieser Aufforderung wird das zweite Dilemma der Preisvergabe, ihrer Auslobung und Entgegennahme, auch wenn die Themen die Dams nennt, alle wichtig und gesellschaftlich relevant sind, offensichtlich. Der Preis will „Förderung“ auch in Zukunft und er ist kein Medienpreis, sondern ein Preis für Engagement. Aber können und sollen sich, denkt man an das Friedrichs Zitat zurück Medien engagieren, wie es Politiker, Wissenschaftler, Verbände oder Künstler können und müssen? Also ist genau die Kompassnadel überhaupt ein Preis der für Medien geeignet ist?

Für den „Spiegel“ nahm Markus Verbeet, Deutschlandchef der „Spiegel“-Redaktionen, den Preis entgegen. Er sprach von verletzenden Worten in den 80er Jahren und davon, dass nicht alles gut war was damals geschrieben wurde. Er verteidigte den „Spiegel“ auch, und erinnerte an die Berichterstattung der 70er Jahre, als das Blatt gegen die Diskriminierung von Schwulen schrieb. Verbeet: „So wie in der Vergangenheit des Spiegel nicht alles schlecht war, so ist heute nicht alles gut. Wir wollen uns ihr Interesse verdienen, Ihr Vertrauen, Ihren kritischen Geist.“

Der Ehrenamtspreis

Der Preis für besonderes ehrenamtliches Engagement ging an den „queerblick e.V.“ aus Dortmund. Hier können junge Menschen ihr Coming Out filmisch aufarbeiten und sich mit ihrer Lebenssituation auseinandersetzen. Dadurch, so die Jurybegründung, können sie sowohl ihre Erfahrungen und Probleme, als auch ihren Wünsche und Interessen Ausdruck verleihen. Ausgezeichnet wurde der Gründer und Macher Falk Steinborn, der sich unermüdlich um das Projekt kümmere.

Autor: Andi Goral
Foto: Laudator Marcel Dams, Moderator Sister George und Markus Verbeet vom „Spiegel“ mit der Kompassnadel