Köln | aktualisiert | Das Künstlerkollektiv „Futur 3“ führt in verschiedenen Episoden durch die Geschichte der Südsee-Insel Nauru, einem Musterbeispiel europäischer Kolonisation und globalisierungsbedingter Ausbeutung. „Shit Island“ in der Orangerie bedient sich eines vor feinen Ideen strotzenden kollagenartigen Medienmix’ und beweist, dass Theater auch ohne erhobenen Zeigefinger Teil eines gesellschaftlichen Diskurses sein kann.

Rund um einen Tisch, der mit seinen Kerzen und Blumen eher an einen Altar erinnert, sitzen die Zuschauer. Es ist halbdunkel, aus drei Ecken ertönen atmosphärische Geräusche, Musik, Gesang. Es entsteht eine zunächst ungewöhnliche Situation, in der – für Theatrales sonst unüblich – das Zuhören elementar ist, das Zusehen jedoch in den Hintergrund tritt. Die drei Darsteller Irene Eichenberger, Stefan H. Kraft und Luzia Schelling erzählen wie in einem Live-Hörspiel abwechselnd Geschichten von Südsee-Expeditionen. Die authentischen Tagebucheinträge und Erlebnisberichte lassen Bilder im Kopf entstehen, die von eurozentrischer Überlegenheit und kolonialem Gedankengut geprägt sind.

Dann, plötzlich, Ortswechsel. Ab nach „Pleasure Island“, nicht nur in der Geschichte, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Im neuen Raum entsteht das Bühnenbild (ebenso wie die Kostüme von Petra Maria Wirth) auf zwei Ebenen: Eine echte Insel aus Sand auf blauer Folie sowie eine live gezeichnete Insel, per Kamera und Beamer auf die Wand geworfen.

Aus Vogelkot wird Phosphat – aus Scheiße wird Geld

Nun ist auf Nauru die Zeit der Ethnologen angebrochen: Zu sorgenfreier Südsee-Ukulele-Musik werden die Einwohner genauestens beschrieben und vermessen, auch hier wieder unter Einsatz der Live-Projektion und Zeichnungen. Das weckt nicht nur Assoziationen an frühe ethnographische Fotografien und Filme, die Rassentheorien begründen sollten, sondern auch an Foucaults Verbindung von Wissen und Macht: Wo Menschen unterdrückt und ausgebeutet werden sollen, muss zunächst einmal Wissen über sie gesammelt (und konstruiert) werden.

Diese Ausbeutung beginnt im großen Stil, als auf Nauru Phosphatvorkommen entdeckt werden. Die hat die Insel der Natur zu verdanken: Im Laufe von Hunderttausenden von Jahren haben sich Vogelexkremente dank der Witterung zu Calciumphosphat von hoher Reinheit umgewandelt. „Es ist eine Insel aus Scheiße“, wird treffend festgestellt.

Eine Geschichte Naurus ohne ein Bild der Insel – das ist auch nicht nötig

Dieser Bodenschatz führt dazu, dass Nauru Spielball der Großmächte wird. Deutschland, aber auch England und später Australien teilen sich die Insel. Dennoch werden die nur wenigen Insulaner ungemein reich, sie führen ein Leben in Saus und Braus. Das jedoch hat seine schleichenden Schattenseiten: Die Bewohner ernähren sich ungesund, werden krank und legen ihr Vermögen nicht gewinnbringend an. Wie die schweizer Touristinnen – koloniale Bilder reproduzierend – feststellen: „Sie sind einfach nicht geschäftstüchtig.“

Das Besondere an „Shit Island – ein postkolonialer Südsee-Traum“ ist auf der einen Seite der Text, der auf authentischen Dokumenten basiert und eine ungeheure Recherche-Leistung darstellt. Das in dieser Dimension und Qualität Einmalige ist darüber hinaus der Medienmix, an dem sich Regisseur André Erlen und sein talentiertes Team bedient. Die Live-Übertragungen, Zeichnungen, Geräusche und Musik, das intermediale Spiel mit Kamera und Echtheit, das alles sind wohlportionierte, sehr raffinierte Einfälle, die – und das ist selten – weder ablenken noch effekthascherisch daherkommen, sondern die Geschichte unterstützen und bereichern.

So entsteht eine Geschichte der Insel in verschiedenen Episoden, die auf unterhaltsame, stellenweise amüsante Art und Weise einen Beitrag zum antiimperialistischen Diskurs leistet, bestehende Verhältnisse kritisiert, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Und vor allem: Ohne ein einziges Mal ein Bild von Nauru zu zeigen, denn das ist schon längst in den Köpfen entstanden. So muss Theater sein.

[infobox]„Shit Island – ein postkolonialer Südsee-Traum“ – die nächsten Vorstellungen: 21. bis 25. November, 31. Januar, 1. bis 3. Februar (jeweils 20 Uhr) und 4. Februar (18 Uhr). Orangerie – Theater im Volksgarten, Volksgartenstr. 25, 50677 Köln.

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Autor: Fabian Schäfer | Foto: Foto: MeyerOriginals / Futur 3
Foto: Irene Eichenberger, Stefan H. Kraft und Luzia Schelling (v.l.) genießen auf den neu gebauten Straßen den Reichtum der Heimat. Das Geld ist jedoch vergänglich.