Köln | Seit Jahren schon zeichnet der „Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz“ in Köln regelmäßig ein „Denkmal des Monats“ aus: Eine Mahnung an die Besitzer, sich für deren Erhalt einzusetzen. Gezielt will er sich jetzt vernachlässigte städtische Bauten „mit Geschichte“ vornehmen. Erstes Objekt: Das ehemalige Säuglingsheim in Sülz, Kyllburgerstr. 3.

Das dreigeschossige Haus macht einen heruntergekommenen Eindruck. Der Putz bröckelt, das Dach ist mit einem Netz gesichert, an der Ecke überwuchert wilder Wein die Fenster, die Fenster im Erdgeschoss sind mit Stahlplatten verrammelt, ein Bauzaun sperrt den ehemaligen Vorgarten ab. An der Fassade hängen noch die Autokennzeichnen, die die Parkplätze auf dem ehemaligen Vorgarten markieren.

Architektur und Geschichte des Hauses sprechen für seinen Erhalt

Warum soll so etwas „Denkmal des Monats Juni 2018“ werden? Alexander Hess, Leiter des Arbeitskreises erklärt es mit Architektur und geschichtlicher Bedeutung des Hauses für Köln. Entworfen hat es Stadtbauinspektor Johannes Baptist Kleefisch im klassizistischen Stil mit einem säulenbegleiteten Eingang. Ein verputzter Bau, für Köln eine Rarität. Zur seines Entstehens stand das Haus am Stadtrand, fast auf freiem Feld. 1927 wurde das Haus nach hinten mit einem Anbau und Dachterrasse erweitert. Das zur Architektur.

Ein trauriges Bild: Eingang und Fenster verrammelt, der Putz fällt ab.

Dann die wechselvolle Geschichte. Bauherrin war die Kölner Ortsgruppe des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, der sich schon früh für die Gleichberechtigung der Frau einsetzte. 1910 wurde das Haus als „Evangelische Zufluchtstätte für unverheiratete Mütter und ihre Kinder und Säuglingsheim“ eröffnet. Mit der benachbarten evangelischen Volksschule war es ein wichtiges Zentrum für die Kölner Gemeinde. Die machte knapp 18 Prozent der Bevölkerung aus und war bei der katholischen Mehrheit nicht gerade beliebt.

Gute Pflege und medizinische Versorgung waren Qualitätsmerkmal

Frauen, die ungewollt schwanger oder von ihren Männern sitzengelassen worden waren, fanden hier Zuflucht. Das Haus bot Platz für 15 Mütter und in einem großen Saal für 35 Säuglinge und Kleinkinder. Die Frauen wurden hier medizinisch versorgt, erhielten Unterricht in Kinderpflege und „weiblichen“ Tätigkeiten, mit denen sie eine Stelle etwa als Dienstmädchen finden konnten. Nach etwa acht Wochen mussten sie das Haus verlassen, die Kinder konnten bis zu einem Jahr bleiben – gegen eine monatliche Zahlung von 15 Mark. Auch katholische Frauen wurden aufgenommen – alle aber nur einmal. Bekannt war das Haus für Ausbildung und gute Betreuung; die Säuglingssterblichkeit lag hier während des Ersten Weltkriegs bei maximal 3,8 Prozent, im Rheinland bei durchschnittlich 15.

Nach 1918 wurde die Einrichtung als städtische Säuglingspflegeschule anerkannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen eine Frauenschule und ein Kindergärtnerinnenseminar ein. In den 1980er Jahren wurde es lange als Obdachlosenheim genutzt, in den 1990ern für Asylbewerber, später dann als Jugendzentrum. Seit einigen Jahren steht es leer und verfällt. „Noch 2015 war die Bausubstanz in Ordnung“, erinnern sich Nachbarn an den „Tag des guten Lebens“ in Sülz, bei dem auch dieses Haus Besuchern offen stand.

Die Bezirksvertretung plädiert dafür, dass Haus zu verkaufen oder es für städtische Belange zu nutzen – etwa für eine Erweiterung der benachbarten Gemeinschaftsgrundschule Manderscheider Platz. Eine Chance, die schon einmal verpasst wurde.

Autor: ehu
Foto: Steht seit Jahren leer und verfällt: Die ehemalige „Evangelische Zufluchtstätte für unverheiratete Mütter und ihre Kinder und Säuglingsheim“ in Sülz