Köln | Anlässlich des 74. Jahrestags der Reichspogromnacht, in der 1938 auch in Köln jüdische Bürger gedemütigt, inhaftiert und ermordet wurden, fand heute in der Kölner Synagoge eine Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes statt. Oberbürgermeister Jürgen Roters betonte in seiner Rede den weltoffenen und toleranten Charakter der Stadt Köln und dass man alles daran setzen müsse, diesen zu erhalten. Gleichzeitig mahnten die Anwesenden jedoch auch vor zunehmendem Antisemitismus und Rassismus in der Mitte der Gesellschaft.

In der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 hatten auch in Köln die Synagogen gebrannt und die Kölner Gestapo Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bürger geplündert und zerstört. Von 1941 bis 1944 wurden rund 8.000 jüdische Menschen vom Bahnhof Köln-Deutz tief in den Osten deportiert und dort umgebracht. Noch vor der endgültigen Kapitulation des Dritten Reichs gründete 1945 schließlich eine kleine Gruppe Holocaust-Überlebender in den Trümmern der zerstörten Synagoge an der Roonstraße die jüdische Gemeinde neu. „Damals hätte wohl niemand gedacht, dass es eines Tages wieder ein blühendes jüdisches Leben in Köln geben würde.“, so Isabelle Farkas, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln. Dementsprechend sei sie sehr froh, heute hier leben zu können. Farkas warnte jedoch auch vor wachsendem Antisemitismus in Deutschland. Wenn in Talkshows, darunter auch Formate der öffentlich-rechtlichen Sender, die Beschneidung eines Jungen nach jüdischem Glauben mit der weiblichen Beschneidung gleichgesetzt werde, zeuge dies von mangelndem Respekt und sei zutiefst verletzend, so Farkas. Eben diesen Respekt und Anerkennung fordere die Jüdische Gemeinde jedoch, da sie dieses Land mit aufgebaut habe und genauso „von hier“ sei, wie alle anderen Bürger auch.

Roters sieht Köln auf einem guten Weg

Oberbürgermeister Jürgen Roters sieht die Stadt Köln in Sachen Gedenken und Aufarbeitung angesichts der vielen Einrichtungen und Initiativen, die sich mit dem Nationalsozialismus und der Geschichte der Juden in Köln befassen, gut aufgestellt. Neben den bekannten „Stolpersteinen“, von denen es mittlerweile mehr als 1.700 im Stadtgebiet geben soll, lobte Roters auch das Einladungsprogramm der Stadt Köln. Hierbei werden ehemalige jüdische Kölner eingeladen, ihre frühere Heimat zu besuchen und neu kennenzulernen. Roters sprach sich für eine Fortführung und Erweiterung des Programms aus. Auch die Nachkommen der ehemaligen Kölner Juden sollen die Gelegenheit haben, die Heimat ihrer Groß- und Urgroßeltern kennenzulernen. Beim Thema Beschneidung hofft der Oberbürgermeister auf eine angemessene Lösung seitens der Politik. Der gewachsenen rechtsextremen Szene in Deutschland müsse die Öffentlichkeit mit einer klaren Positionierung entgegentreten. „Ein gutes Beispiel dafür ist die Initiative ‚Arsch huh – Zäng ussenander‘, bei der die Kölner Bürger zusammenstehen und gemeinsam ihre Stimme erheben.“, so Roters.

Schüler präsentieren Projektarbeiten zur Reichspogromnacht

Bei der gemeinsamen Veranstaltung der Synagogen-Gemeinde Köln und der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit präsentierten zudem Schüler zweier Kölner Schulen Projektarbeiten zum Thema Reichspogromnacht. Die Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses der Jahrgangsstufe 12 der Katharina-Hernoth-Gesamtschule führten ein kurzes Theaterstück auf, bei dem sie auf das gesprochene Wort verzichteten und ausschließlich mit Bewegungen, Mimik und Instrumentalmusik arbeiteten. Dadurch entstand angesichts der Szenen auf der Bühne, in denen verängstigte Menschen zusammengetrieben und abtransportiert wurden, eine beklemmende Atmosphäre, welche die tiefe Unmenschlichkeit eines derartigen Umgangs mit Menschen greifbar machte.
Die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Kreuzgasse, von dessen ehemaligen jüdischen Schülern damals etliche durch das NS-Regime ermordet wurden, gedachten den Opfern anhand des Einzelschicksals eines ehemaligen Schülers. Walter Klein befand sich bereits im Exil in Amsterdam, nachdem die Nationalsozialisten ihm die Zulassung zum Abitur verweigert hatten, als seine Eltern in der Reichspogromnacht Opfer der Übergriffe wurden. Nachdem Klein diese mit Hilfe von Freunden ebenfalls ins Exil retten konnte, versuchte er über Frankreich nach Kuba auszureisen, so die Schüler. Bei der Reise in den unbesetzten Teil Frankreichs wurde er jedoch von NS-Leuten kontrolliert und verhaftet. Seine Spur endet 1942 auf einer Liste der Abtransportierten ins Konzentrationslager Auschwitz. Heute erinnert ein sogenannter „Stolperstein“ in der Blumenthalstraße 23 an das Schicksal der Familie Klein. Durch die Projektarbeiten soll die kritische Auseinandersetzung der Schüler mit der NS-Zeit und dem Antisemitismus gefördert werden.

Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft ruft zu Eigeninitiative auf

Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, betonte, dass man es 1945 wohl auch für unmöglich hielt, dass jemals wieder rechte Parteien und Bewegungen in Deutschland Fuß fassen würden. Daher sei es besonders bedrückend, dass man eine schleichende Akzeptanz rechten Gedankenguts in der Mitte der Gesellschaft beobachten könne, so Wilhelm. „Dies ist kein Grund für Alarmismus, aber auch kein Grund für Verharmlosung.“, mahnte der Vorsitzende. Vor dem Hintergrund der NSU-Morde und dem Verhalten der deutschen Behörden in diesem Zusammenhang werde deutlich, dass man sich nicht auf staatliche Institutionen verlassen kann, wenn es um die Bekämpfung von Intoleranz und Rassismus gehe. Stattdessen sei Eigeninitiative gefragt. “Daher freue ich mich sehr über Veranstaltungen wie ‚Arsch huh – Zäng ussenander‘, sofern Anlass und Zweck eines solchen Events auch wahrgenommen werden.“, so Wilhelm. Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung wurden in der Trauerhalle der Synagoge Kränze zu Ehren der Opfer niedergelegt.

Autor: Christian Bauer
Foto: Oberbürgermeister Jürgen Roters bei seiner Rede in der Kölner Synagoge.