Köln | Bei der Festnahme von Sven W. am Rande des Kölner Christopher Street Day 2016 handelte die Kölner Polizei mehrfach rechtswidrig, wie die 3. Kleine Strafkammer des Landgericht Köln feststellte. Sven W. wurde von ihr umfassend freigesprochen. Der damalige Kölner Polizeipräsident und heutige Staatssekretär im Innenministerium NRW Jürgen Matthies stellte Strafanzeige, die das Amtsgericht und das Landgericht in der ersten Revision abwies, beziehungsweise in einem Punkt die Staatsanwaltschaft Köln fallen ließ. Dennoch ging die Kölner Staatsanwaltschaft in Berufung vor das Oberlandesgericht und verlor erneut. Ein Fall über Polizeigewalt, homophobe Sprüche von Beamten und einer mutigen Polizeischülerin und mittlerweile Beamtin wider den Korpsgeist in Köln und einer uneinsichtigen Kölner Staatsanwaltschaft.

So begann der eigentlich harmlose Fall

Es ist Christopher Street Day in Köln 2016. Sven W. nahm auf einem Wagen an der Parade teil. Am Ende des Weges begab er sich in das Fast Food Restaurant Mc Donalds und dort in den Bereich vor den Toiletten. Mehrere Menschen standen vor der Herrentoilette an, darunter zwei Frauen. Einem Mann gefiel dies nicht und er fing einen Disput mit den Frauen an. Sven W. mischte sich ein und ergriff Partei für die Frauen. Der Disput verlagerte sich auf den Mann und Sven W. Der Mann ist bis heute unbekannt und nicht ermittelt. Ein Mitarbeiter der Fast Food Kette ging dazwischen und trennte die Streitenden. Am Ende hielt er Sven W. fest. Er ließ ihn wieder los als seine Vorgesetzte kam, die Sven W. mehrfach aufforderte das Hausrecht zu akzeptieren und zu gehen. Dies tat er nicht, setzte sich auf einen Hocker und merkte an er sei erschöpft und weinte. Die Chefin der Fast Food Filiale hatte zuvor schon die Polizei alarmiert.

Die Polizei schreitet ein

Ein Polizeibeamter der Wache in Köln-Porz betritt mit seiner Kollegin die Filiale. Ohne sich über die Situation, auch bei der Restaurantleiterin zu erkundigen, tritt er auf Sven W. zu und fordert ihn auf, das Restaurant zu verlassen. Als dieser zweimal nicht reagiert fasst er Sven W. an. Die Richter stellen fest, dass der Beamte hier unmittelbaren Zwang anwandte der nicht gerechtfertig und damit rechtswidrig war. Ohne, dass sich Sven W. wehrte, versetzte der Beamte ihm daraufhin einen sogenannten „Blendschlag“, in dessen Folge der Kopf des jungen Mannes so heftig gegen die Wand schlägt, dass er mehrere Minuten bewusstlos auf dem Boden liegen bleibt. Der Schlag ist Körperverletzung und war, wie das Gericht feststellte nicht gerechtfertigt. Die beiden Beamten, so das Gericht hätten wegen der mehrminutigen Bewusstlosigkeit von Sven W. ärztliche Hilfe rufen müssen, dies so die Richter sei unterlasssen worden. Anstatt Hilfe zu holen, weckten die Beamten den Mann durch Zwicken und Reiben.

Der Abtransport

Anschließend fesselten die Beamten Sven W. und brachten ihn zu einem Polizeifahrzeug. Auch die Fesselung war, stellt das Gericht fest, rechtswidrig. Hier gibt es widersprüchliche Zeugenaussagen. Klar ist, dass Sven W. von vier Beamten zu dem Polizeifahrzeug getragen wurde, sich aber dabei nicht wehrte. Dann gibt es Zeugenaussagen, die aussagen, dass Sven W. aus rund 40-50 Zentimetern auf den Boden gefallen lassen worden sei, andere sprechen von Ablegen. Auch hier kam es zu Schlägen und einem Tritt der Polizeibeamten. Im Polizeifahrzeug sitzend wurde der Kopf von Sven W. gegen die C-Säule des PKW gedrückt. Noch bevor der Wagen sich in Bewegung setzte, sagte der Polizeibeamte zu Sven W. „das brauchst zu doch, du dumme Schwuchtel“. Im Polizeifahrzeug soll Sven W. den Beamten erklärt haben, dass er HIV positiv sei und gespuckt haben. Daraufhin zogen ihm die Beamten eine Spuckmaske an.

Die Ingewahrsamnahme auf dem Polizeipräsidium Köln

„Es war rechtswidrig, den Angeklagten in Gewahrsam zu nehmen.“, stellt das Gericht fest. Auch die Feststellung der Identität von Sven W. war rechtswidrig. Die Tritte und Schläge im und vor dem Polizeifahrzeug wertet die Kammer des Landgerichts als gefährliche Körperverletzung die Aussage „dumme Schwuchtel“ als Beleidigung ausgeübt im Amt. Dass der angeklagte Sven W. die Beamten ebenfalls beleidigte sieht die Kammer als „Ehrennotwehr“. Es sei sein letztmögliches Mittel gewesen sich verbal zu wehren, nachdem er gefesselt war. Das Gericht stellt fest, dass er in einer Situation des entschuldigenden Notstandes handelte.

Auch im Polizeigewahrsam ungeheuerliche Vorfälle

Sven W. wurde im Polizeigewahrsam eine Blutprobe entnommen, die weder von einem Richter noch einer Staatsanwältin angeordnet war, sondern nur von einem Polizeibeamten. Das Gericht stellt dazu fest: „Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe unter diesen Umständen (durch einen Ermittlungsbeamten während der Stunden des Bereitschaftsdienstes der StA und des zuständigen Amtsgerichts, ohne Niederlegung einer Abwägung, wie vom OLG Köln gefordert, mit pauschaler „Begründung“ von Gefahr im Verzug) ist rechtswidrig, führt zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Blutprobe und begründet eine tatbestandliche und rechtswidrige Körperverletzung seitens des anordnenden Beamten.“

Damit nicht genug. Sven W. hätte nie ins Polizeigewahrsam gebracht und eine Blutprobe nicht entnommen werden dürfen. Nach der Untersuchung durch einen Arzt hätte Sven W. sofort entlassen werden müssen. Das Gericht sieht hier eine Freiheitsberaubung im Amt. Auch in diesem Fall wurde kein richterlicher Beschluss erwirkt. Damit war auch die Fortdauer des Gewahrsams rechtswidrig. Sven W. wurde in einer Zelle an einem Bein fixiert. Als ihm ein Beamter ein Glas Wasser und von ihm benötigte Medizin bringt, stößt er ihn am Fuß und bezeichnete ihn als „Du Wixer“. Hier handelte es sich um eine Beleidigung.

Die Entlassung aus dem Polizeigewahrsam in Kalk

Klare Worte: Sven W. wurde am Hintereingang des Polizeipräsidiums vor die Tür gesetzt. Eine ärztliche Versorgung wurde ihm verweigert. Vor allem saß er halbnackt auf der Straße, weil seine Kleidung, die sich vor der Zelle befand, naß wurde. Das Gericht stellt fest, dass es sich hierbei um eine unwürdige und verletzende Situation handelte.

Sven W. schrieb über das Erlebte einen Text, den er auf seinem Facebookprofil veröffentlichte. Dagegen hatte der damalige Polizeipräsident Jürgen Matthies geklagt. Das Gericht stellt fest: „Der Inhalt der „Facebook-Nachricht“ vom 04.07.2016 entsprach in den Kernpunkten der Realität der Geschehnisse des 03.07.2016 und war insoweit nicht unwahr, also nicht falsch.“

Das Gericht stellte zudem fest, dass die Staatsanwaltschaft Köln ihrer Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts nicht nachkam. So heißt es: „Aus Sicht der Kammer wurden zur Entlastung des Angeklagten dienende Umstände nicht hinreichend ermittelt.“ Vor allem rügte die Kammer, dass nicht schon der Staatsanwaltschaft Köln aufgefallen ist, dass der Facebook-Post der Wahrheit entsprach. Auch die weiteren Punkte, wie die Antreffsituation in dem Fast Food Restaurant, der Ausführung des „Blendschlags“, die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme, deren Dauer und Entnahme der Blutprobe.

Der angeklagte Sven W. wurde von der Kammer des Landgerichts Köln umfassend freigesprochen. (Das Protokoll der Verhandlung und Urteil des Landgericht Köln, 3. Kleine Strafkammer ist hier zu finden)

Dennoch ging die Staatsanwaltschaft Köln in Berufung vor das OLG Köln (Aktenzeichen III-1 RVs 188/19) und scheiterte erneut. Zu Hinterfragen ist auch die Rolle des damaligen Kölner Polizeipräsidenten Jürgen Matthies und heutigen Staatssekretärs im Innenministerium in NRW. Hätten ihm und seiner Behörde die schweren Fehler, die seine Beamten im Dienst auf der Straße und später vor allem auch im Polizeigewahrsam des Polizeipräsidiums Köln machten, auffallen müssen? Und es stellt sich die Frage nach einer Entschädigung für Sven W. und einer Verurteilung der Beamten, die ihm Dienst rechtswidrig handelten. Gedankt werden muss einer damaligen Kölner Polizeischülerin und heutigen Polizeibeamtin, die wahrheitsgemäß aussagte.

Das rheinische antifaschistische Bündnis Köln stellt fest: „Ein Skandal für die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats, im Besonderen der Polizei NRW sowie der Staatsanwaltschaft NRW. Mit Untätigkeit „glänzt“ das Innenministerium unter Herbert Reul, dessen Staatssekretär Jürgen Mathies als Polizeichef die Verantwortung trägt. Letztlich ließ sich Sven W. nicht einschüchtern und eine Polizistin in Ausbildung widerstand dem vorherrschenden Korpsgeist und sagte gegen die Täter und Täterinnen in Uniform aus. Wir fordern vom Land die sofortige Zahlung von Schmerzensgeld an Sven W., die schnelle Anklage der Täter und Täterinnen in Uniform sowie dienstrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Polizisten und Polizistinnen und Staatsanwälte und Staatsanwältinnen. Und wir fragen: Wer trägt übernimmt hierfür eigentlich die Verantwortung?“

Autor: Andi Goral