Der Kölner Frank Kadow fuhr zwei Wochen lang als ehrenamtlicher Kapitän auf der „Seefuchs“. Mit dem Schwesternschiff „Sea Eye“ kreuzt der umgebaute ehemalige DDR-Fisch-Trawler auf dem Mittelmeer, um für eine deutsche NGO vor der Küste Libyens Flüchtlingsbooten zu helfen.
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Fotos vom Einsatz der Seefuchs >
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„Ich half dem kleinen Jungen an Bord und freute mich mit meinem kärglichen Englisch, dass er noch von seinem Papa begleitet wurde. Da sagte der Mann, der den Jungen anhob, er sei der Onkel, nicht der Vater. Der sei vor zwei Stunden gestorben und über Bord gegangen.“.

Als Frank Kadow das erzählt, werden seine Augen feucht. Er ist erst seit drei Wochen zurück in Köln von Malta, wo die Seefuchs stationiert ist. Doch was der Rentner in den 14 Tagen auf See erlebt hat, lässt ihn immer noch nicht los. „Ich bin emotional zerrissen.“.

Ein Regensburger Unternehmer gründete die NGO „Sea Eye“

Dabei hatte er sich schon auf das Schlimmste vorbereitet, als er sich Anfang des Jahres in Rücksprache mit seiner Ehefrau entschloss, bei der deutschen NGO „Sea Eye“ mitzumachen. Die wurde 2015 vom Regensburger Unternehmer Michael Buschheuer gegründet. Kauf, Umbau und Betrieb der beiden knapp 27 Meter langen Schiffe werden allein durch private Spenden finanziert. Die ehrenamtliche arbeitende, bis zu elfköpfige Mannschaft wechselt im 2-Wochen-Rhythmus, ergänzt wird deren Einsatz durch Vor- und Nachbereitung.

Der heute 69-Jährige war in jungen Jahren zur See gefahren, hatte später alles Sportboot-Führerscheine gemacht, die ihn berechtigen, die amtlich als „pleasure ship“ klassifizierte Seefuchs als Kapitän zu führen. Vielleicht war es ein bisschen Abenteuerlust, vielleicht auch die alte Sehnsucht nach der Freiheit des Meeres. Im Vordergrund für seinen Entschluss aber stand Hilfsbereitschaft, die Wut und Enttäuschung auf die europäische Politik, die es seit Jahren hinnimmt, dass zehntausende Menschen bei ihrer Fahrt übers Mittelmeer ertrinken.

Die libyschen Hoheitsgewässer sind für die Retter tabu

Der Auftrag der Seefuchs ist genau umrissen: Wenn außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer ein Flüchtlingsboot gemeldet oder selber gesichtet wird, heißt es heranfahren. Ein Beiboot mit drei Mann wird ins Wasser gelassen. An Bord 50 Schwimmwesten und Wasser. Bei den Flüchtlingen wird ein Ansprechpartner gesucht, der seine Mitfahrer beruhigt und dafür sorgt, dass die Schwimmweste durchgereicht werden. Reichen sie nicht, wird Nachschub geholt.

Im Prinzip sollen Schiffe wie die Seefuchs größere Schiffe über Funk heranrufen, die dann die Flüchtlinge übernehmen und in einen sicheren Hafen bringen. Nur wenn das Schlauchboot überladen ist oder zu sinken droht, sollen Flüchtlinge direkt übernommen werden – doch haben die kleinen Schiffe nur wenig Platz. Für die anderen stehen Rettungsinselns bereit.

In den überfüllten Schlauchbooten sitzen bis zu 150 Menschen

Waren vor zwei Jahren noch im Schnitt hundert Menschen auf so einem Boot, sind es heute 150. „Auf den Fotos sieht man ja nur die jungen Männer, die außen auf dem dicken Wulst sitzen“, beschreibt der Vater einer Tochter und Opa eines Enkels die Situation. „Innen aber sitzen dichtgedrängt die Schwachen, die Frauen, Hochschwangere, Verletzte, Kinder. Inmitten von Scheiße, Pisse, Öl, Benzin und Salzwasser.“. Und weiter: „Es zerreißt dir das Herz, wenn dir eine Mutter ihr Baby reicht, damit wenigstens es gerettet wird.“.

Und er lobt die neun Männer und Frauen, die ihm bei seinem Einsatz geholfen haben: „Ein tolles Team“. Darunter zwei Rettungssanitäter, eine Krankenschwester und ein junger Arzt. Doch der war machtlos, als sie einen Mann mit offenem Beinbruch an Bord geholt hatten. Ohne Hilfe wäre er in wenigen Stunden gestorben. Erst nach komplizierten Funksprüchen und der Übernahme auf ein anderes Schiff konnte er mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden. „Die Zusammenarbeit mit der EU-Kriegsmarine funktioniert überhaupt nicht“, kritisiert Kadow, lediglich eine irische Fregatte sei einmal zur Hilfe gekommen. Hervorragend dagegen sei die italienische Küstenwache gewesen.

Das Wetter war gut, „höchstens Windstärke 4 bis 5 mit 2,50 Meter hohen Wellen“, erzählt Kadow. Ideal für eine Überfahrt mit den billigen Gummibooten, die die Schlepper für 300 Euro von einem chinesischen Internetnet-Händler kaufen. Als „Flüchtlingsboot“ werden sie dort angeboten. Flüchtlinge sind ein globales Geschäft geworden.

Die Schleuser retten Außenbordmotore, nicht Flüchtlinge

Bei gutem Wetter werden die Menschen von den Schleppern an der libyschen Küste mit Waffengewalt auf die Boote getrieben. „Wer nicht will, wird von den Schleusern erschossen“, habe ein Geretteter berichtet, der so seinen Bruder verlor. Und auf dem Meer werden die Boote von den Schleusern in sicherem Abstand „begleitet“. Wenn die Flüchtlinge auf sichere Schiffe umsteigen, bauen sie die Außenbordmotore ab – manchmal sogar schon, wenn die Schlauchboote sich in libyschen Gewässern befinden. „Denen kommt man besser nicht zu nahe, die haben die Kalaschnikow immer im Anschlag.“.

Und das ist die nüchterne Bilanz von fünf Einsätzen (jeder dauerte mehrere Stunden), zwei davon in Zusammenarbeit mit Schiffen anderer NGOs: 664 Menschen konnten insgesamt gerettet werden, darunter 6 Verletzte und Kranke, 14 Kinder und 3 Babys. Die Seefuchs nahm vorübergehend 260 Menschen an Bord, darunter 17 Schwangere. Bei einem Schlauchboot waren vor Eintreffen der Seefuchs schon 20 Flüchtlinge an unbekannter Position innerhalb der 12-Meilen-Zone ertrunken.

Ob Frank Kadow sich noch einmal für einen Einsatz melden wird? Er muss lange überlegen. Dann kommt ein leises „Vorerst nicht.“

Autor: ehu | Foto: Privat
Foto: Frank Kadow mit einem geretteten Kind. Foto: privat