Köln | Die Liga der Kölner Wohlfahrtsverbände nahm heute Stellung zur aktuellen Situation vieler Migranten aus den EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien. Entgegen der Annahme, die Rumänen und Bulgaren, die nach Deutschland kämen, würden dem deutschen Sozialsystem zur Last fallen, geht nach Erfahrungen der Kölner Wohlfahrtsverbände der Großteil dieser Menschen einer Beschäftigung nach, dies jedoch meist in prekären Arbeitsverhältnissen. Für die Verbesserung der Lebenssituation dieser Menschen fordert die Liga eine stärkere Vernetzung der verantwortlichen Träger und Verbände sowie einen Runden Tisch besetzt mit Vertretern der Wohlfahrtsverbände und städtischen Entscheidungsträgern.  Außerdem sehen sie neben den Kommunen auch Land, Bund und die EU in der Pflicht.

Hauptproblematik bei der Hilfestellung ist nach Angaben der Kölner Wohlfahrtsverbände die Sprachhürde. Zum einen verfügten viele der Einreisenden aus Rumänien und Bulgarien über keine oder sehr geringe Deutschkenntnisse, zum anderen gebe es kaum Mitarbeiter in den Einrichtungen , die über Rumänisch- oder Bulgarischkenntnisse verfügten. Daher bemühe man sich, Muttersprachler zu verpflichten, die die Mitarbeiter in der Beratung unterstützten, so Martina Domke, Leiterin Fachdienst Integration-Migration der Kölner Diakonie. Doch mit der Sprache allein sei es nicht getan, es würden Integrationsfachkräfte benötigt, die sich mit der speziellen Situation und der Lebenswelt ihrer Klientel auskennen. Hierfür müssten erst Grundkenntnisse dieser Lebenswelten erworben werden, was mit Kosten verbunden sei.

Doch viele der hier lebenden Rumänen und Bulgaren würden die Hilfe der Sozialberatung erst dann in Anspruch nehmen, „wenn schon gar nichts mehr geht“, so Domke. Viele der Migranten holten sich – nicht selten falsche oder unvollständige – Informationen bei anderen Migranten aus ihrem Sprachraum, vermieden es, zu den Sozialberatungsstellen zu gehen. Martina Hille vom Fachdienst Integration-Migration des Diakonischen Werks Köln und Region, erklärte, ihre Einrichtung erfahre immer wieder von Fällen, in denen die soziale Notlage und die nicht vorhandenen Deutschkenntnisse der Migranten von ihren eigenen Landsleuten ausgenutzt würden. So seien ihr Fälle bekannt, in denen für das Ausfüllen eines deutschen Kindergeldantrags 700 Euro verlangt wurden. Hierdurch entstünden nicht selten Abhängigkeiten, da sich die Hilfebedürftigen bei den  angeblichen Helfern längerfristig verschuldeten. Auch was die Wohnungen anbelange, bereicherten sich einige sogenannte „Miethaie“ an den Migranten. Wohnungen würden von einer Person angemietet, aber von größeren Gruppen bewohnt. Die Wohnbedingungen seien vor allem für Frauen und Kinder unzumutbar.

Seit EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens in 2007 habe sich die Zahl der in Köln gemeldeten Personen aus diesen Ländern mehr als verdoppelt, so die Vertreter der Liga. Dabei berufen sie sich auf Zahlen des Amtes für Statistik der Stadt Köln.  Offiziell gemeldet seien 9.678 Menschen mit bulgarischer oder rumänischer Staatsbürgerschaft (Stand: Mai 2013). Im März 2007 seien es noch 3.833 gewesen. Die Zahl der nicht registrierten hier lebenden Personen, die hauptsächlich in den Stadtteilen Ehrenfeld, Kalk und Mülheim anzutreffen seien, lasse sich schwer schätzen. Viele dieser nicht Registrierten lebten unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen in leerstehenden Gebäuden oder auch auf der Straße, so Rainer Best, Leiter des Wohnungslosenhilfeverbunds im Sozialdienst Katholischer Männer (SKM). Man versuche diese Leute durch Streetworker anzusprechen, über soziale Einrichtungen zu informieren. Viele der auf diese Weise Angesprochenen seien in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, litten an parasitären Hauterkrankungen, zum Teil auch an Tuberkulose. Da die wenigsten Migranten aus Bulgarien und Rumänien, die ihre Einrichtungen aufsuchten, über eine Krankenversicherung verfügten, stellt die gesundheitliche Versorgung laut der Kölner Wohlfahrtsverbände eine große Herausforderung dar.

Auf die Frage, so Best, warum sie hierher gekommen seien, hörte man in seiner Einrichtung meist die selbe Begründung: „Arbeiten“, und auf die Frage, welche Art von Arbeit sie suchten käme oft die Antwort: „Ich mache alles.“ Aufgrund der geltenden Gesetzeslage können sich rumänische und bulgarische Staatsbürger zwar frei im EU-Raum bewegen, jedoch genießen sie noch nicht die Arbeitnehmerfreizügigkeit wie Bewohner anderer Mitgliedstaaten. Diese erhalten sie erst zum 1. Januar 2014.  Deshalb gingen diejenigen, die die Hilfe seiner Einrichtung in Anspruch nähmen, entweder einer selbständigen oder scheinselbständigen Beschäftigung nach, zumeist zu schlechten Konditionen oder verdingten sich illegal als Tagelöhner auf einem sogenannten „Arbeiterstrich“ im Stadtteil Ehrenfeld.  Auch wisse man aus Erfahrung, dass die meisten derjenigen Rumänen und Bulgaren, die einem solchen prekären Arbeitsverhältnis nachgingen, längerfristig in Deutschland bleiben möchten. Um so wichtiger sei eine Integration dieser oft als „Elendsmigranten“ bezeichneten Menschen.  Was viele bei der Diskussion vergäßen, sei die Tatsache, dass es sich bei diesen abwertend als „Elendsmigranten“ Bezeichneten um EU-Bürger handle, so Monika Kuntze, Geschäftsfeldleiterin Integration Caritasverband Köln. „Sie haben ein Recht, hier zu sein.“, fügte sie hinzu. Sie sieht auch die EU in der Pflicht, die oft nur die Arbeitskraft sehe, den Menschen aber vergesse.

Die Wohlfahrtsverbände Köln stellten daher klare Forderungen an die Politik auf Landes-, Bundes-, sowie auch auf EU-Ebene. Hierzu gehört die Forderung nach Öffnung des Arbeitsmarktes für alle neuen EU-Beitrittsländer, die Schaffung eines Zugangs zu Integrationskursen, sowie die Schaffung eines ausreichenden Zugangs zu medizinischer Versorgung.

Auf kommunaler Ebene fordern die Wohlfahrtsverbände den Ausbau der Schulsozialarbeit, um betroffene Kinder in Schulen stärker auffangen zu können. Das Wohl der Kinder liegt den Wohlfahrtsorganisationen am meisten am Herzen. Auch sollte die Sozialverwaltung der Stadt die Kompentenzen der Wohlfahrtsverbände bei allen Überlegungen miteinbeziehen. Außerdem fordern die Mitglieder der Liga die Rücknahme von Kürzungen, die die Stadt im Bereich Projektmittel für Sozialräume vorgenommen habe. Für das kommende halbe Jahr sehen die Wohlfahrtsverbände ein erneute Zuzugswelle, erstens aufgrund des nahenden Winters, zweitens aufgrund der Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien ab 01. Januar 2014. Daher herrsche nun dringender Handlungsbedarf, da man jetzt schon an die Grenzen des Machbaren stoße.

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Köln bilden eine Arbeitsgemeinschaft (Liga), der die Arbeiterwohlfahrt, der Caritasverband Köln, der Paritätische Wohlfahrtsverband Köln, das Deutsche Rote Kreuz Köln, das Diakonische Werk Köln und die Region und die Synagogen-Gemeinde Köln, mit all ihren Mitgliedsorganisationen angehören.

Autor: Daniel Deininger