Köln | Heute haben vor dem Haupteingang der europäischen Ford-Zentrale in Köln belgische Arbeitnehmer des Konzerns dreier Gewerkschaften gegen die Schließung des Fordwerkes in Genk protestiert. Sie sind mit Bussen angereist, weil der europäische Betriebsrat tagte. Sie protestierten auf Privatgelände ihres Unternehmens. Ja, sie zündeten Reifen an und Feuerwerk, in frankophonen Ländern ein probates Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen. Ja, sie sind auf das Werksgelände vorgedrungen und eine Scheibe ging zu Bruch. Fünf Menschen wurden verletzt. Wie schwer und in welchem Zusammenhang bleibt sehr im vagen, zumindest nach den Aussagen der Polizei. Dennoch schlagen Staatsanwaltschaft und Polizei mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht zu, erheben schwerste Vorwürfe und lassen die staatlichen Gewaltmuskeln spielen. Und die Staatsanwaltschaft war noch nicht einmal vor Ort.


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Stellen wir dem Szenario heute vor dem Haupteingang bei Ford einmal die samstäglichen Rituale in den bundesdeutschen Fußballstadien oder am Rande auf den Bundesligatransitstrecken entgegen. Jedem sind die Schlagzeilen der letzten Monate noch im Gedächtnis, daher sparen wir uns hier die Wiederholung. Die Männer und Frauen heute vor dem Ford-Werkstor, bangen um ihre Existenz. Haben sich jahrelang, manche sicher auch jahrzehntelang, für ihr Unternehmen Ford engagiert, das ihnen jetzt die eiskalte Schulter zeigt. Unvermittelt und brutal. Ein Vorgang wie er immer wieder stattfindet. Dazu muss man wissen, dass die Region um Genk nicht die wirtschaftlich prosperierendste ist, die Gewerkschafter von einem gesamten Verlust von rund 10.000 Arbeitsplätzen ausgehen. Auch wenn bei Ford Genk „nur“ 4.300 Arbeitsplätze verloren gehen. Wer mit den Männern und Frauen, allesamt gestandene Persönlichkeiten und keine vermummten Gewalttäter, wie sie jetzt von der Polizei hingestellt werden, unterhalten hat, der merkte mehr Verzweiflung, als Gewaltbereitschaft. Aber sie sind auch wütend und zu Recht, über die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird. Und sie stellen ängstlich die Frage, wie sie ihre Familien ernähren sollen.

Jeden Samstag kommt es in deutschen Fusballstadien zu Gewaltexzessen und dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern. Haben Sie da schon einmal anschließend die Spurensicherung gesehen, die die abgebrannten Reste einsammelt, oder die Anordnung der Kölner Staatsanwaltschaft, die Personalien aller Fans, etwa nach dem letzten Spiel im Rheinenergiestadion in der letzten Bundesligasaison gegen Bayern München festzustellen? Auch da gehen regelmässigt mehrere Scheiben in KVB-Bahnen zu Bruch. Nein. Und hier geht es nicht um die Existenz von Familien und Menschen, sondern lediglich um ein Freizeitvergnügen. Das Verhalten der Kölner Polizei und der Kölner Staatsanwaltschaft war in diesem Licht betrachtet unverhältnismäßig. Noch viel mehr. Es hat dem Ansehen Kölns und Deutschlands geschadet. Einer der belgischen Fordmitarbeiter brachte es bei seiner fast schon erkennungsdienstlichen Behandlung – es fehlten ja nur noch DNA-Abgleich und Fingerabdrücke einsammeln – auf den Punkt: „Hier nach Köln will ich nicht wieder kommen“. Auch Belgier sind Weihnachtsmarkttouristen. Positiv war die Reaktion der deutschen IG-Metaller und einiger Kölner Fordmitarbeiter, die sich spontan solidarisierten. Der heutige Tag in Köln zeigt auch, dass wir in Europa weiter und wieder stärkere Gewerkschaften brauchen, die sich aber nicht nur gegen Unternehmerwillkür, sondern anscheinend auch gegen staatliche Willkür stellen müssen. Besonders dann, wenn wir Arbeitnehmer die gerade im Begriff sind ihre Existenz zu verlieren, kriminalisieren.

Autor: Andi Goral