Köln | Die Stadt Köln und das Festkomitee Kölner Karneval proklamieren heute am Freitag, 8. Januar, 2 Dreigestirne und inszenieren die Prinzenproklamation als TV-Stück mit dem Fernsehpartner des Festkomitee Kölner Karneval, dem Westdeutschen Rundfunk WDR, garniert mit PR-Jubelfotos. Die Kölschen könnten jubeln, vielleicht auch nicht alle, viele werden dies als peinlich empfinden, an einem Tag, an dem es noch nie so viele Corona-Tote gab wie bisher. Auch Köln beklagt 10. Wie auch immer es gedreht wird, alle Beteiligten zeigen sich wenig sensibel und vor allem eines: Unsolidarisch.

Die Coronavirus-Pandemie prägt, neben dem Leid, das das Virus Erkrankten oder Familien, deren Angehörige starben, zufügt, vor allem Eines, was mit einem klaren und einfachen Wort deutlich beschrieben wird: Verzicht. Kinder und Jugendliche müssen auf ihre Freunde verzichten, auf Bildung im Präsenzunterricht verzichten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie ihren Job nicht ganz verloren haben und „nur“ in Kurzarbeit sind, auf ihren vollen Lohn und viele Seniorinnen und Senioren, ihre Liebsten zu treffen. Diese wenigen Beispiele lassen sich hundertfach fortschreiben. Menschen verzichten auf Dinge, die ihnen lieb, heilig oder einfach nur wichtig sind, weil sie die Appelle aus Politik und Wissenschaft verstehen und vor allem weil sie sich in der Gesellschaft mit einem vernünftigen Verhalten solidarisch zeigen – zusammenstehen. Und weil sie wissen, dass die Vernünftigen in dieser Gesellschaft durch diese Solidarität in Form des Verzichts Stärke zeigen. Das ist nicht immer einfach und manchmal verdammt schwer.

Verzicht ist damit die Solidarität, die ich persönlich oder gesellschaftliche Gruppen in der Stadt vorleben können oder in diesen Zeiten sogar müssten. Verzicht ist das, was die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, noch am Mittag in der Corona-Krisenstabs-Pressekonferenz, von den Einwohnerinnen und Einwohnern dieser Stadt forderte, um die Inzidenzzahl unter 35 zu drücken. Warum verzichtet Reker dann nicht ein Jahr lang auf eine Proklamation, setzt als Kölner Oberbürgermeisterin ein klares Zeichen? Stattdessen lässt sie sich vom Festkomitee schriftlich zitieren: „Der Karneval ist in Köln das Fest des Zusammenhalts. Dabei betonen wir auch immer wieder unseren guten Draht zum lieben Gott. Und in diesem Jahr könnte man es göttliche Fügung nennen, dass unser Sessionsmotto lautet: Nur zesamme sin mer Fastelovend – das trifft mitten ins Herz und war zu keiner Zeit wichtiger! Nur zusammen – das muss jeder und jedem klar sein – können wir gut durch die Pandemie kommen.“ Stehen eine TV-Produktion und inszenierte Bilder wirklich für ein „Zesamme“ oder ist das nicht nur Theater, eine Comedia der Wenigen in Zeiten, in denen die Theater für die Vielen geschlossen haben? So wird das Spiel am Hofe des Helden Carneval zur Farce.

Und im Karneval verzichten ebenfalls viele. Die Tanzgruppen auf ihr Training, kleine Vereine auf ihre Sitzungen, Mitglieder auf ihr Vereinsleben und schon am Elften im Elften viele Jecke auf den Straßenkarneval und das wird auch im Februar nicht anders. Seit November ist Lockdown, dann der Dezember. Am Montag kommt bis 31. Januar ein noch härterer Lockdown. All das war dem Kölner Festkomitee bekannt. Ist „zesamme“ wenn einige wenige …? Es wäre auch nicht das erste Mal, den Karneval wegen einer besonderen Lage abzusagen, da gab es nicht nur den Grund Streit im Festkomitee, Weltwirtschaftskrise, Kriege … Das Comittee Düsseldorfer Carneval war da entschiedener und sagte alles ab. „Zesamme“ bedeutet 2021: Verzicht und nicht das gerade noch Mögliche, Erlaubte machen und mit blumiger PR schön reden …

Und der Westdeutsche Rundfunk? Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk erklärt in seinen Nachrichtensendungen Verzicht. Aber selbst merkt er die Krise nicht, denn Gebühren sind nicht betroffen. Verzichten musste der Sender kurze Zeit nur darauf, neue Inhalte, vor allem Unterhaltungsformate, zu drehen. Jetzt inszeniert der Sender als Partner des Festkomitees die Proklamation, wie eine Samstagabendshow und nennt das in seiner Programmankündigung: „Damit die Proklamtion aber für die Nachwelt erhalten bleibt, dreht das WDR-Fernsehen die gesamte Zeremonie.“ (Der Schreibfehler stammt aus dem Originalzitat) Weiter heißt es: „Prinz, Bauer und Jungfrau besuchen später am Tag auch den Dom, um in einer Andacht für eine gute und gesunde Session zu beten. Das ist eine Tradition auf die auch in Corona-Zeiten niemand verzichten möchte.“ Will darauf wirklich niemand verzichten, wenn sonst auf vieles, ja fast alles verzichtet werden muss, vor allem das was mit Feiern, Karneval und Geselligkeit zusammenhängt? „Zesamme“ ist nicht mit einem Hausstand plus 1 und einer Kiste Kölsch eine inszenierte TV-Show zu gucken, in deren Spiegel sich wenige sonnen.

Autor: Andi Goral