Köln | Bettler, Obdachlose und Nichtsesshafte gehören zu den Opfern des Nationalsozialismus, die bis heute kaum erinnert werden. Rund 10.000, so Schätzungen, wurden in Konzentrationslagern interniert, als „Asoziale“ denunziert, waren Opfer der „Rassenhygiene“ und Zwangssterilisation. Eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum macht jetzt auf ihre Geschichte aufmerksam.

Auf 13 Tafeln wird unter dem Titel „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ ihr Schicksal erzählt. Es beginnt mit der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre, die viele Menschen ihrer Wohnung und ihrer Arbeit beraubte. Bettler gehörten zum Straßenbild, viele karitative Organisationen kümmerten sich um sie und um Obdachlose, wollten ihnen etwa in Arbeitshäusern die Rückkehr ins „bürgerliche“ Leben möglich machen. Sie gaben sogar eine Verbandszeitung zu dieser Arbeit heraus.

Karoline G. wurde mit 19 Jahren als „Asoziale“ zunächst in Vorbeugehaft genommen und kam schließlich 1941 ins KZ Auschwitz. Dort vermeldete Lagerkommandant Rudolf Höss ein Jahr später ihren Tod.

Als „Asoziale“ waren Bettler und Nichtsesshafte schutzlos

Doch schon vor der Machtübernahme der Nazis gab es Vorurteile gegen diese Menschen. So hatten es die Nationalsozialisten leicht, 1933 für ihre reichsweite „Bettlerrazzia“ Verständnis zu finden. Die Presse feierte das „erste Konzentrationslager für Bettler“. Durchaus erfolgreich wurde mit dem Begriff „asozial“, 1938 kam es dann in der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ zu Massenverhaftung. Im KZ mussten sie auf der Häftlingsuniform einen schwarzen Winkel tragen.

Zwar gab es auch das „geordnete Wandern“: Hierfür musste ein Extra-Ausweis mitgeführt werden, der die regelmäßige Aufnahme von Arbeit nachwies und den Aufenthalt in genehmigten Unterkünften. Auch durfte ein vorgeschriebener Wanderweg nicht verlassen werden. Doch allgemein galten Betteln, Wohnungslosigkeit und Nicht-Sesshaftsein als Strafbestand. Bedroht waren auch Straßenmusiker. Frauen wurde gerne unerlaubte Prostitution unterstellt.

„Wissenschaftler“ erklärten „Asozialität“ zur Erbkrankheit

Im Rassenwahn galt Asozialität als vererbbar, als Ursache wurde „angeborener Schwachsinn“ ausgemacht. Um die arische Rasse reinzuhalten, kam es zu Zwangssterilisationen, Grundlage hierfür war das „Gesetz gegen erbkranken Nachwuchs“. Der angehende Arzt Meinrad Balssen schrieb 1940 als Dissertation einen „Beitrag zur Frage der Erblichkeit der Asozialität“. Zwei Tafeln erzählen vier Einzelschicksale der verfolgten.

Nach dem Krieg geriet diese Opfergruppe schnell in Vergessenheit – sicher nicht nur, weil viele Dokumente im Krieg vernichtet wurden. Die Überlebenden scheuten sich oft selbst in ihrer Familie, davon zu reden: Der Stempel „asozial“ wirkte immer noch. Schließlich war Obdachlosigkeit in der Bundesrepublik noch bis 1974 ein Strafbestand. Und selbst in der gesamtdeutschen Erinnerungskultur wurden diese „Asozialen“ oft als Kriminelle oder eingeschleuste Spitzel denunziert. So kam es auch nie zu einer bundesweiten Entschädigungsregel, lediglich in den letzten Jahren gab es für Wenige auf Länderebene Härtefallregelungen.

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Wohlfahrtsorganisationen

Die Wanderausstellung entstand 2004 zur 100-Jahr-Feier der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.. Zur Eröffnung in Köln bemerkte deren stellvertretender Vorsitzende Andreas Sellner selbstkritisch, dass bestehende Wohlfahrtseinrichtungen bis heute noch nicht ihre damalige Rolle bei der Verfolgung dieser Opfergruppe aufgearbeitet hätten. Er nannte dabei stellvertretend aus lokalem Anlass das Kölner Annohaus und den Veller Hof bei Blankenheim.

Gleichzeitig erinnerte er daran, dass es auch heute noch Vorurteile, gar Hass auf Bettler und Obdachlose gebe. Er verwies auf – nicht nur – rechte Gewaltübergriffe bis hin zu Mord. Das immerhin wird im Begleitheft zur Ausstellung ausführlich beschrieben. Eine Tafel darüber fehlt in der Ausstellung – ebenso die über die Mitverantwortung der Hilfsorganisation. Noch.

[infobox]„Wohnungslose im Nationalsozialismus“ – bis 8. Juli, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln,Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln, www.nsdok.de,Di-Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr, erster Donnerstag im Monat 10-22 Uhr. Begleitheft: 3 Euro

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Autor: ehu
Foto: Aus der Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“: Philipp S. wurde von der Polizei als „durchaus arbeitsunlustiger Mensch“ klassifiziert. Er starb kurz nach der Befreiung des KZ Dachau.