Köln | Sie kleben auf Laternenmasten und Briefkästen, verschandeln Wartehäuschen: Die aktuelle Hetze gegen Migranten und Juden ist unübersehbar. Und seit über 100 Jahren deutsche Realität. Die Ausstellung „Angezettelt“ im NS-Dokumentationszentrum zeigt, wie rechte Hassparolen sich seit der Kaiserzeit in Form und Inhalt der Zeit angepasst und doch im Kern gleich geblieben sind, wenn sie nicht sogar noch direkter zu Gewalt aufrufen.

10, 20 oder 50 Pfennig konnte man 1880 dem „Antisemitischen Agitationsfonds“ spenden – als Quittung für die „Liebesgabe“ gab es kleine Aufkleber, mit denen man seine Briefe „versiegeln“ konnte. Eine Form der Massenpropaganda, die nicht nur 1921 in einer Auflage von acht Millionen Aufklebern aufgegriffen wurde.

Die „Siegelmarken“ sind das älteste Beispiel für rechte Hetze in der Wanderausstellung „Angezettelt“. Sie wurde vom Zentrum für Anti-Semitismusforschung an der TU Berlin und dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (heute Selma-Stern-Zentrum) vor allem aus der Sammlung von Wolfgang Haney zusammengestellt. Auf ihrer 9. Station jetzt im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist, wo sie um lokale Beispiele erweitert wurde.

1893: Der erste Boykott-Aufruf gegen jüdische Geschäftsleute

1893 tauchte dann in einer Berliner S-Bahn der erste Aufkleber mit „Kauft nichts beim Juden“ auf. Insbesondere der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ versuchte mit seinen Aufklebern dagegen zu halten. Die zahlreichen Exponate zeigen, dass der Anti-Semitismus nicht 1933 vom Himmel gefallen ist. Ebenso wenig der Rassismus gegen Schwarze, Migranten und andere „Fremde“. Vorbereitet wurde er durch „harmlose“ Sammelbildchen, die das Leben in den deutschen Kolonien zeigten. Nach 1918 richtete er sich gegen die Soldaten der im Rheinland stationierten französischen Kolonialtruppen.

Gezielt wurde die Angst vor Gewaltigungen durch die farbigen Besatzungssoldaten geschürt – eine Methode, die die Jungen Nationaldemokraten, die NPD-Jugendorganisation, mit einem Aufkleber aufgriffen: „Auch das ist Völkermord“ betitelten sie die nackte Rückenansicht einer Frau, die von zwei schwarzen Händen umfasst wird. Meist ist es aber schwierig, die oft anonym agierenden Urheber der Hass-Kleber zu identifizieren.

Rechte greifen linke Symbole auf und wandeln sie um

„Hände weg vom deutschen Pimmel“ greift satirisch „Die Partei“ die offensichtliche Angst weißer Männer vor der scheinbar konkurrenzlosen Potenz. Eines der wenigen Beispiele, bei denen rechte Aussagen und Symbole aufgegriffen und gekontert werden. Der umgekehrte Weg, die Aneignung linker Symbole ist eher üblich. So wird die Anti-Atom-Sonne mit dem „Islamisierung? Nein danke“ umgetextet. Oder mit „Heim? Nein Danke“ an Flüchtlingsheime geklebt. Perfide die Ergänzung von „Kein Mensch ist illegal“ durch einen Hitlerkopf. Besonders die Identitäre Bewegung versteht sich in der Aneignung subkultureller Bilder.

Verblüffend, wie aktuell manches heute erscheint. „Kauft deutsche Ware und ihr schafft Arbeit und Brot“ aus den 1930er Jahren – könnte das nicht auch eine Aufforderung von US-Präsident Trump sein? Und Seehofers „Die Mutter aller Probleme ist die Migrationsfrage“ ist gar nicht so weit entfernt von „Die soziale Frage ist zumeist eine Judenfrage“. Bis heute werden Juden-Karikaturen aus dem NS-Kampfblatt „Der Stürmer“ zitiert, das Bild der Frau aufrecht gehalten, die an den Herd gehört und Kind gebären soll.

Wegen Sachbeschädigung verurteilt, weil sie AfD-Parolen überpinselte

Die Ausstellung bedient sich einer nüchternen Ausstellungsarchitektur, zeigt die Aufkleber meist in ihrem „Klebe-Kontext“. Ein besonderes Kapitel ist Irmela Mensah-Schramm gewidmet. Die Berlinerin dokumentiert nicht nur seit gut über 30 Jahren bundesweit rechte Aufkleber, sie entfernt sie auch. Aktuell läuft gegen sie ein Verfahren in der 2. Instanz wegen Sachbeschädigung, weil sie eine AfD-Parole gegen Migranten überpinselt hat.

„Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“ – bis 4. November 2018. NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln,Di-Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr, erster Donnerstag im Monat 10-22 Uhr. Katalog: 20 Euro.

Autor: ehu
Foto: Hassaufkleber gab es schon lange vor der so genannten Machtergreifung. Die Ausstellung zu Hassaufklebern ist noch bis zum 4. November 2018 im NS-Dok zu sehen.