Köln | 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene sind zwischen 1941 und 1945 in deutschen Lagern umgekommen. Doch in der öffentlichen Erinnerungskultur spielten sie kaum eine Rolle – weder in ihrer Heimat noch in Deutschland. Das soll die Ausstellung „Russenlager und Zwangsarbeit“ im NS-Dokumentationszentrum ändern.

Im Mittelpunkt stehen die eindrucksvollen Porträts von Überlebenden. Historische Fotos, Schriftdokumente und Berichte muten dem Besucher Einiges zu. „Mit Rücksicht auf die Würde des Menschen haben wir ihnen die grauenhafteren Fotos erspart“, sagt Eberhard Radczuweit, der die Ausstellung entwickelt hat. Zu sehen sind etwa Fotos eines deutschen Wachhabenden, der wie ein Jäger seine „Strecke“ präsentiert: Vor ihm die Leichen der Gefangenen. Oder das Foto eines auf die Knochen abgemagerten Soldaten, der für die Zwangsarbeit im deutschen Bergbau gemustert wird.

Aus Hunger aßen die Kriegsgefangenen Baumrinde

Die ehemaligen Soldaten und Zwangsarbeiter berichten in kurzen, eindringlichen Sätzen von den knappen oder gar fehlenden Essensrationen, vom Abnagen der Baumrinde aus Hunger, vom Überleben in Erdlöchern während des Winters. Von der Angst, als Jude erkannt zu werden – das hätte den sofortigen Tod durch Erschießen bedeutet.

Am 22. Juni 1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion. Nach den ersten siegreichen Schlachten war man mit der Unterbringung der gefangenen Sowjet-Soldaten überfordert. Zusammengepfercht mussten sie Löcher in den Boden graben, um dort zu schlafen. Verpflegung kam es kaum. Zwei Millionen verhungerten im ersten Kriegswinter in den Wehrmachts-Lagern. Unter den gefangenen Soldaten waren im Übrigen auch 800.000 Frauen. An 900 sowjetischen Gefangenen wurde im KZ Auschwitz die Ermordung durch Gas „erprobt“.

Die Situation wurde auch kaum besser, als sie in Straflager („Stalag“) innerhalb des Deutschen Reichs verlegt wurden. Von diesen gab es allein neun im Bereich des heutigen Nordrhein-Westfalen, unter anderem in Bonn-Duisdorf und Arnoldsweiler. Im „Stalag 326 Senne“ wurden 307.000 Gefangene untergebracht. Als es am 2. April 1945 von US-Truppen befreit wurde, hatten 9.000 überlebt.

Blick in die Ausstellung „Russenlager und Zwangsarbeit“

Allein im Ruhrbergbau starben in nur wenigen Monaten 30.000 Männer

Von den Straflagern wurden die gefangene als Zwangsarbeiter an Städte und Unternehmen „ausgeliehen“ – auch nach Köln. Vom 1. Juli bis 10. November 1943 starben alleine im Ruhrbergbau fast 30.000 Männer. Gute Behandlung hatten sie nicht zu erwarten. Die NS-Propaganda diffamierte sie als „Untermenschen“, als „rassisch minderwertig“, sie galten als „unnütze Esser“ – eine Propaganda, die sowohl bei der deutschen Wehrmacht als auch bei der Zivilbevölkerung Wirkung zeigte.

Überlebende wurden bei ihrer Rückkehr in die Sowjetunion der Kollaboration mit dem Feind verdächtigt. Viele wurden zu Arbeitsbataillonen oder Straflager in Sibirien verurteilt, es gab Studienverbote. Und wenn an Gedenktagen andere Kriegsveteranen stolz ihre Orden zeigen konnten, wurden sie von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ein Schatten, der auch heute noch über vielen schwebt.

In der DDR wurde zwar der gefallenen Soldaten der siegreichen Sowjetarmee gedacht, nicht jedoch der toten Gefangenen. Allein in einem Sammelgrab des sächsischen Straflagers Zeisa vermutet man 30.000 Tote. Erst um 1960 ehrte man im Eifelort Rurberg mit einer Gräberstätte über 2.000 sowjetische Bürger, die als Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter im weiteren Umkreis ums Leben gekommen waren.

Kriegsgefangene wurden zunächst von einer Entschädigung ausgeschlossen

Anlass für diese Wanderausstellung war der Ausschluss der sowjetischen Kriegsgefangenen – insbesondere derer, die zu Zwangsarbeit gezwungen wurden – aus einer Wiedergutmachung. Im Jahr 2000 wurde die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gegründet. Der deutsche Staat und die deutsche Wirtschaft brachten dafür 5,2 Milliarden Euro auf. Davon wurden bis 2007 nach Angaben der Stiftung 4,4 Milliarden an ehemalige NS-Zwangsarbeiter verteilt. Soldaten waren davon allerdings ausdrücklich ausgenommen.

Eberhard Radczuweit (Jahrgang 1941) stieß eher durch Zufall auf diese Ungerechtigkeit. Er hatte schon 1989 den Verein „Kontakte – Kontakty“ mitgegründet, der sich einem humanistischen Austausch mit den Ländern der ehemaligen Sowjetunion verpflichtet fühlt. Als man einen ehemaligen ukrainischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter kennenlernte, kam die Sache ins Rollen.

Zuerst half man einzelnen Überlebenden mit einer privaten Spendensammlung, konnte schließlich den Kontakt zu 8.000 knüpfen. In diesem Zusammenhang entstand im Laufe von zehn Jahren auch die jetzt im NS-Dok gezeigte Ausstellung. Schließlich erreichte man 2015 auch die Einbeziehung der Kriegsgefangenen in ein Entschädigungsprogramm“. „Der Bundestag hat sich geweigert, den Empfängern eine Anerkennung zu schreiben“, sagte Radczuweit jetzt.

[infobox]„Russenlager und Zwangsarbeit“
bis 25. Juni 2017,
NS-Dokumentationszentrumder Stadt Köln
Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln

Öffnungszeiten:
Di-Fr 10-19 Uhr
Sa und So 11-18 Uhr
erster Donnerstag im Monat 10-22 Uhr.

Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm. Begleitheft: 5 Euro.

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Autor: ehu
Foto: Eberhard Radczuweit gehört zu den Gründern des Vereins „Kontakte – Kontakty“ und ist Kurator der Ausstellung