Köln | Heute Morgen sollten rund 30 Obdachlose aus dem Gebäude Marktstraße 10 geräumt werden (report-K berichtete). Es gab Proteste und trotz Aufzugs mehrere Hundertschaften wurde die Räumung abgesagt. Heute erklärte sich die Stadt Köln schriftlich, spricht von illegaler Besetzung, schwerwiegenden Sicherheitsmängeln im Gebäude und von Gewalttätern die angereist sein sollen, um die Räumung zu verhindern. Die Kölner SPD will eine aktuelle Stunde beantragen und es gibt einen offenen Brief mit der Forderung an Oberbürgermeisterin Reker unverzüglich ihr Amt niederzulegen.

Das sagt die Stadt Köln

Die Stadt Köln spricht davon, dass sie auf die Räumung verzichtet habe und nennt als Begründung „Deeskalationsgründe“. Die Stadt spricht von einer illegalen Nutzung und dass es in dem Gebäude schwerwiegende Sicherheitsmängel gebe. Dies sei die Elektroinstallation, der Brandschutz und die Bausubstanz. Der Stadt läge ein Gutachten vor. Die Stadt schreibt: „Durch die illegale Benutzung des Abbruchhauses haben sich diese relevanten Mängel weiter verstärkt.“

Die Stadt beruft sich auf Gespräche mit den Besetzern, bei denen klargestellt worden sei, dass das Haus zu verlassen sei, wenn die Pandemiesituation dies zulasse. Dies sei jetzt durch die Lockerungen der Coronaschutzverordnung möglich. Die Sicherheitsbedenken ließen daher die „illegale Nutzung des leerstehenden Bürogebäudes als Notbehausung nicht mehr zu“. Die Verwaltung der Stadt beruft sich auf einen Ratsbeschluss vom 20. März zur Entwicklung der Parkstadt Süd. Die Stadt will das Gebäude kurzfristig abreißen.

Warum die Räumung abgesagt worden sei, schreibt die Stadt: „Während der vergangenen Nacht folgten verschiedene Gruppierungen und polizeibekannte Einzelpersonen aus Köln und aus anderen Regionen der Bundesrepublik einem Aufruf, sich vor Ort der Besetzung anzuschließen und eine Räumung zu verhindern. Dies führte zu einer neuen Sicherheitseinschätzung am heutigen Morgen. Nach Feststellungen der Polizei hatten im Haus Personen Vorkehrungen gegen eine zwangsweise Räumung getroffen, so zum Beispiel Steine auf den Fensterbänken platziert.“

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Die SPD Ratsfraktion will eine aktuelle Stunde

Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Ratsfraktion Christian Joisten teilt schriftlich mit: „Das Vorgehen der Verwaltung von Frau Reker macht mich wütend. Die Bewohner des Hauses haben sich einen Schutzraum geschaffen. Das Haus stand vorher leer und es gibt aktuell überhaupt keinen Grund, warum sie vorerst nicht dort bleiben können. Denn für die Unterbringung wohnungsloser Menschen ist die Stadt ohnehin zuständig. Was Frau Reker hier versucht, ist reine Law & Order-Symbolpolitik ohne Sinn und Verstand – alles auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft. Frau Reker muss sich erklären, was sie zu der versuchten Räumung veranlasst hat. Deshalb werden wir für die Ratssitzung am kommenden Montag eine Aktuelle Stunde zu dem Thema beantragen. Alle Fakten müssen auf den Tisch!“
Andreas Kossiski, Kandidat der KölnSPD bei der kommenden Oberbürgermeisterwahl, hatte das Haus und seine Bewohner*innen noch am Mittwoch besucht: „Ich bin sehr angetan davon, was ich dort vorgefunden habe. Die Menschen haben das Haus mit eigenen Mitteln renoviert. Sie haben Gemeinschaftsräume geschaffen und sich Gruppenregeln gegeben. Sie haben eine vorbildliche Eigeninitiative gezeigt und zahlreiche Unterstützer, zum Beispiel Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter, Martin Stankowski oder Rainer Kippe von der SSM. In einer sozial gerechten Stadt muss es möglich sein, dass sich Menschen in solchen Projekten eine Zukunft schaffen. Das werde ich als Oberbürgermeister anpacken.“

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Ein Offener Brief

Es gibt einen offenen Brief zu den Vorgängen gestern und heute Morgen zu den Geschehnissen rund um die Marktstraße. Der Verfasser fordert Aufklärung, wer die Tat zu verantworten hat und Oberbürgermeisterin Henriette Reker zum Rücktritt auf.

„Offener Brief (im Wortlaut)
Über den gescheiterten Versuch, dat kölsche Hätz zu brechen

Vor einigen Wochen haben 30 Obdachlose gemeinsam ein leerstehendes städtisches Haus an der Bonnerstraße besetzt und mithilfe von Unterstützer*innen und privaten Spenden, die teilweise vorgeschriebene, aber von der Stadt rechtswidrig verweigerte Hilfen ersetzten, gesäubert, hergerichtet und zum Bewohnen ertüchtigt. Sie haben Duschmöglichkeiten geschaffen, einen Bewohnerrat und eine Außenvertretung organisiert. Sie haben den Sozialdezernenten eingeladen und erklärt, dass sie das Haus sofort räumen, wenn ihnen ein Ersatz angeboten werde, denn das Liegenschaftsamt thront auf genügend leerstehenden städtischen Wohnhäusern. Die Stadt versprach unter öffentlichem Druck, auf eine Räumung des Hauses mindestens bis zum Ende der Corona-Pandemie zu verzichten.

Heute morgen um 5:30 h rückten dreihundert gerüstete Polizisten an, um 30 wehrlose Ärmste der Armen aus dem Haus zu vertreiben. Das anhängende Foto dokumentiert, wie terroristisch eine solche Aktion auf die Eingeschüchterten wirken muss und wohl auch wirken soll.

Doch die Sache war gestern am späten Abend ruchbar geworden und alle Unterstützer*innen – vom Pfarrer Hans Mörtter über den sozialistischen SSM, den Publizisten Martin Stankowski bis zur Ratsfraktion der Grünen und vielen anderen – halfen den Bewohnern, sich noch in der Nacht zur Wehr zu setzen. Da hatten eine Menge Kölner*innen den Arsch und die Zäng auf dem rechten Fleck. Um 6:15 h teilte das Presseamt mit, auf die Räumung werde heute verzichtet.

Die Absicht, mitten in der Coronakrise die am schwersten Gefährdeten zu vertreiben, ist moralisch unter jedem aussprechbaren Niveau und in unserer Stadt mit ihrer traditionell kölschen Linie eine nie dagewesene politische Verfehlung.

Was hat dieser Truppenaufmarsch eigentlich gekostet, und wer bezahlt das?

Als wahlberechtigter steuerzahlender und unbescholtener Bürger meiner Stadt fordere ich meine Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf, unverzüglich ihr Amt niederzulegen, denn sie ist ohne Zweifel politisch verantwortlich und daher auch nicht mehr wählbar. Als Person, die selbst auf schreckliche Weise mit Terror Bekanntschaft machte, kann sie wohl kaum persönlich diese Untat angeordnet haben, es muss daher angenommen werden, dass sie ihre Verwaltung auf höchster Ebene nicht im Griff hat. Ich erwarte weiterhin von allen demokratischen Ratsfraktionen, herauszufinden, wer diese unchristliche und herzlose Entscheidung persönlich angeordnet hat und diese Person zur Rechenschaft zu ziehen, damit wir unser kölsches Hätz wieder pochen hören können.

25. Juni 2020, Rolf Stärk“

Autor: Andi Goral | Foto: Marlene Nunnendorf