Köln | aktualisiert | Der Vorfall am Dienstag Mittag am Kölner Hauptbahnhof spaltet die Gemüter, nicht nur in den Sozialen Netzwerken. Die Kölner Medien „Kölner Stadtanzeiger“ und „Kölner Express“ positionieren sich eindeutig auf der Seite der Kölner Polizei, die meisten Kölner Kommunalpolitiker schweigen, Alice Weidel, AfD postet und der Zentralrat der Muslime kritisierte die Kölner Polizei massiv. Dabei liegen noch lange nicht alle Fakten auf dem Tisch. Und es gibt zwei Ebenen auf der die Vorkommnisse betrachtet werden müssen: Zum Ersten der Einsatz an sich und zum Zweiten die Kommunikation der Kölner Polizei während und nach dem Einsatz sowie die Rolle die Behördenleiter Uwe Jakob einnimmt.

Der Einsatz an sich

Um den Einsatz wirklich beurteilen zu können liegen derzeit viel zu wenig Fakten offen. Wie viele Notrufe gab es? Wie ist der Wortlaut der Notrufe? Gab es Beamte, die Streife gingen vor Ort? Wie wurde die Videoüberwachung am Bahnhofsvorplatz und im Bahnhofsgebäude genutzt? Wie verhielten sich die Männer als Sie von der Polizei festgehalten wurden? Das sind nur einige Fragen, die die Polizei beantworten muss und nicht nur im geheimen Polizeibeirat. Polizeipräsident Uwe Jakob will sich dazu anscheinend nur im Polizeibeirat der Stadt Köln äußern.

Die Kommunikation der Kölner Polizei

Die Kommunikation der Kölner Polizei wirft allerdings andere Fragen auf, wer die Chronologie der Ereignisse betrachtet. Hier verdichtet sich die Berechtigung des Vorwurfs von Fremdenfeindlichkeit Rassismus und fehlender Selbstreflektion bei der Behörde.

Um 11:20 Uhr ging der Notruf bei der Leitstelle der Kölner Polizei ein, dessen Inhalt nicht bekannt ist. Wann die Männer im Bahnhofsgebäude auf dem Boden fixiert wurden, will die Polizei derzeit nicht sagen.

Um 12:05 Uhr begannen die Verhöre im Container der Bundespolizei auf dem Bahnhofsvorplatz.

Um 13:00 Uhr zeigt der Screenshot von „RP-Online“ die Twitter-Meldung der Kölner Polizei in der diese schreibt: „Wir kontrollieren verdächtige Männer in weißen Gewändern“.

Zur Einordnung: Dem Twitter-Account der Kölner Polizei folgen aktuell 62.700 Personen. Das ist annähernd so viele wie dem „Kölner Stadtanzeiger“, der 75.500 Follower hat.

Zunächst muss hier die Frage beantwortet werden, warum die Kölner Polizei diesen Vorfall überhaupt getwittert hat, denn nach der Chronologie bestand dafür keine Notwendigkeit. Gerade an der Formulierung „Wir kontrollieren verdächtige Männer in weißen Gewändern“ zeigt sich die Richtigkeit des Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus, denn eine Formulierung wie „Wir kontrollieren eine Gruppe von Personen“ hätte, neutral formuliert, ausgereicht. Bringt aber vielleicht nicht so viele Clicks.

Um 15:11 Uhr verbreitet die Kölner Polizei dann eine Pressemitteilung, die aktuell noch abrufbar ist. Zur Erinnerung: Um 12:05 Uhr begannen die Befragungen. In der 15:11 Uhr-Meldung titelt die Kölner Polizei: „Verdächtige Personen vor dem Kölner Hauptbahnhof verursachen großen Polizeieinsatz“. Diese Überschrift zu wählen, obwohl zu dem Zeitpunkt bekannt war, dass die Männer Zuckerfest und das Ende des Ramadan feierten, verdreht zunächst einmal die Tatsachen.

Denn den Polizeieinsatz „verursachten“ nicht die Männer, sondern der Anrufer der einen Notruf auslöste. So macht die Headline die Männer, die eigentlich Opfer sind, auch im Nachhinein zu den Tätern, den Verursachern in den Augen der Öffentlichkeit. Opfer eines falschen Alarms oder fehlender kultureller Bildung oder Sensibilität, bei der Person, die den Notruf auslöste, von der wir nicht einmal wissen wie glaubhaft und glaubwürdig diese ist. Dies zu erkennen ist ein Zeichen zu verstehen wo Fremdenfeindlichkeit und Rassismus beginnen. Für die Kölner Polizei scheint dies momentan nicht möglich.

Daher geht der Vorwurf des Zentralrats der Muslime in die richtige Richtung, wenn schon Polizeipräsident Uwe Jakob, als Behördenleiter diese Sensibilität öffentlich vermissen lässt. Ja sogar in seinem persönlichen Statement untermauert: „Mit Blick auf den Inhalt des Notrufs, der bei uns eingegangen ist, wäre ein ‚kurzes persönliches Gespräch‘ mit den benannten Männern, wie es jetzt als Möglichkeit in der Öffentlichkeit dargestellt wird, absolut ungeeignet gewesen.“ Wer ist dieser ominöse Anrufer, wie konnte die Kölner Polizei seine Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit durch einen Telefonanruf feststellen? Vor allem wie kommt Jakob dazu eine solche Behauptung aufzustellen, wenn in der Pressemitteilung von 15:11 Uhr steht, dass seine Beamten mit Hilfe der Bundespolizei zunächst nach den Verdächtigen suchen mussten? Dann scheint Realität und Wahrnehmung des Anrufers doch weit auseinanderzugehen, denn hätte sich die Gruppe im Hauptbahnhof auffällig verhalten, wie es jetzt AfD Chefin Alice Weidel in einem Post behauptet, dann wäre sie doch auch dort sofort den Polizeibeamten aufgefallen und eine Suche hätte sich erübrigt. Interessanterweise äußert sich die Bundespolizei zu dem Fall nicht sondern verweist auf die Landespolizei. In einer Nachfrage von report-K heißt es: „Da es sich um einen Einsatz der Polizei Köln handelte, liegt die „Pressehoheit“ bei der Pressestelle der Landespolizei. Die Bundespolizei hat im Kölner Hauptbahnhof rund 200 Kameras eingesetzt, die Ein- und Ausgänge zum Bahnhofsvorplatz sind eingeschlossen. Somit kann der Bahnhofsvorplatz eingesehen werden.

Die Landespolizei hat die Einsatzmaßnahmen eingeleitet und die Bundespolizei um Amtshilfe gebeten. Die Bundespolizei war in Absperrmaßnahmen eingebunden und hat die Räumlichkeiten der Dienststelle zur Verfügung gestellt.“ Mit dieser Antwort kann leider nicht festgestellt werden, ob die geschulten Beamten´auf den Videogeräten erkennen konnten, dass sich die Gruppe auffällig verhielt. 

Kommen wir noch einmal zu diesem Notruf zurück. In der Pressemitteilung von 15:11 Uhr heißt es „…nachdem diese laut Zeugenaussagen kurz zuvor auf dem Vorplatz „Allahu Akbar“ gerufen haben sollen. Hierbei trugen sie lange Gewänder mit Westen.“ Die Polizei hat keine Beweise, sondern nur Zeugen, deren Glaubhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit eigentlich erst in einem rechtsstaatlichen Verfahren hätte überprüft werden können. Mit der Formulierung impliziert die Polizei, wer lange Gewänder mit Westen trägt, der ruft auch „Allahu Akbar“ und daher scheint der Polizei der Notrufgeber anscheinend glaubhaft. Hier wird deutlich, wie Stereotype von der Polizei sogar in eine von der Behörde schriftlich herausgegebene Mitteilung einfließen. Und dass sogar, nachdem klar war, dass den Männern nichts vorzuwerfen ist.

Die Medienreichweite der Kölner Polizei

Die Polizei Köln verfügt mittlerweile über eine außerordentliche mediale Reichweite, die sie nutzt und die Polizei NRW stellt selbst fest: „Über soziale Netzwerke erreicht die NRW-Polizei so viele Menschen, wie über kaum ein anderes Medium. Praktisch in Echtzeit.“

Um die Dimension zu verstehen, die solche einseitigen und objektiv falschen Formulierungen einer Behörde in der digitalen Öffentlichkeit haben, ist eine Beschäftigung mit dieser Reichweite nötig. Diese Mitteilung wird zunächst im Presseportal „na news aktuell“ der dpa-Gruppe kostenpflichtig veröffentlicht und so Journalistinnen und Journalisten zur Verfügung, aber auch allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt. Das Presseportal gibt für April eine Reichweite von fast 10 Millionen Visits an. Zeitgleich verbreitet die Kölner Polizei diese Meldung in ihren sozialen Netzwerken. Erneut an ihre 62.700 Follower bei Twitter und jetzt auch noch an 91.465 Personen auf Facebook. Nun mag es in den Zielgruppen Überschneidungen geben aber die Leserschaft die hier erreicht wird und die diese Meldungen durch Teilen noch weiter verbreitet ist immens. Nur zum Vergleich: Die Kölnische Rundschau hat 34.920 Personen in ihrer Facebook-Community.

Was löst die Polizei damit aus

Wer die Social-Media-Kanäle der Kölner Polizei derzeit verfolgt findet unter den Kommentaren zweierlei. Einerseits Kritik, über die sich Polizeipräsident Uwe Jakob mokiert und zum anderen Lob und immer wieder den Satz „Alles richtig gemacht“. Letzteres freut die Behörde, da sie sich bestätigt fühlt, das erste nicht. An zwei Zitaten lässt sich gut festmachen wie die Stimmung ist. Eine Nutzerin kommentiert: „Das schreit nach Rassismus“ und darauf twittert der stellvertretende Kreisvorsitzende der AfD Münster: „Sehe keinen Rassismus, nur Beamte die ihre Arbeit ordentlich machen.“

Die Kölner Medien aus dem Verlagshaus DuMont stellen sich hinter die Kölner Polizei. So kommentiert der Kölner „Express“: „Vorwürfe gegen Kölner Polizei Kommentar: Wer spaltet Menschen und wer fördert Hass?“ und der „Kölner Stadtanzeiger“ schreibt: „„Massiver Angriff” auf Muslime? Kölner Polizei hat richtig gehandelt“ und weiter „Zehn Männer in langen Gewändern haben am Dienstag für einen Polizei-Großeinsatz am Kölner Hauptbahnhof gesorgt.“ Auch Christian Hümmeler vom „Kölner Stadtanzeiger“ übernimmt die Stereotype des langen Gewandes ohne dies näher zu spezifieren, anscheinend davon ausgehend, dass seine Leser damit „Muslim“ assoziieren. Auch christliche Priester tragen lange Gewänder.

Mittlerweile hat die Debatte auch die Politik erreicht und das Thema wird von der AfD-Fraktionsvorsitzenden im Kölner Bundestag Alice Weidel auf Facebook aufgegriffen: „+++ Muslime laufen „Allahu Akbar“ brüllend durch den Hbf Köln – und werden von der Polizei festgesetzt. Nun fordert Aiman Mazyek auch noch eine Entschuldigung dafür! +++

Für helle Panik sorgten am Kölner Hauptbahnhof am Dienstag drei Muslime, die in langen Gewändern und Westen unter „Allahu Akbar“-Rufen in die Bahnhofshalle stürmten. Zum Glück war die Polizei direkt vor Ort und rang die potenziellen Attentäter nieder. Nun fordert der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, eine Entschuldigung seitens der Beamten, weil er „rassistisches Profiling“ wittert. Deutschland ist mehrfach Opfer des islamistischen Terrorismus geworden, die Sicherheitsbehörden haben also jeden Anlass, Vorsicht walten zu lassen. Und Sie erdreisten sich, Racial Profiling gegenüber „Allahu Akbar“-Rufern zu wittern, Herr Mayzek? Unfassbar!“ Außer von den Linken gibt es derzeit keine Stellungnahme.

Der Fall zeigt Schwarz-Weiß statt Vielfarbigkeit

Selbst am Tag des Zuckerfestes scheint es in Köln, vor allem rund um den Hauptbahnhof, für Muslime unmöglich auf Toleranz zu hoffen. Es reicht das falsche Outfit zu tragen und schon beginnt die Anti-Terror-Maschinerie zu laufen. Stereotype und Schlüsselwörter reichen aus: Langes Gewand, Weste, Mann, jung, Muslim. Hysterischer Bürger ist alarmiert, ruft die Polizei an und die bringt die Terrorabwehr in Stellung. Integration wird, ist und bleibt Fremdwort. Die scheint nicht gelungen, denn das Zuckerfest scheint wenig bekannt zu sein. Und es mangelt an Kommunikation zwischen den Menschen. Hätte die oder der, der den Notruf abgab die Gruppe einfach mal gefragt warum sie heute so angezogen sind, hätte sich der Anruf bei der Polizei wahrscheinlich erübrigt. Wer daran zweifelt, sollte in seinem Bekanntenkreis fragen, wer etwa türkische Kolleginnen oder Kollegen hat. Denn die bringen entweder am Tag des Zuckerfestes oder am Tag danach Leckereien für Alle mit.

Also kam es zum Äußersten und der maximalen Durchsetzung des Rechtsstaates, Personen auf dem Boden fixieren und zeigen wer Herr im Staat ist. Das wird von den Polizeifans und Rechtspopulisten in den sozialen Netzwerken intensiv beklatscht. Die Polizei ist Abbild der Gesellschaft.

Das Drama wird weiter angeheizt: Die Polizei veröffentlicht anstatt sich neutral zu verhalten mehrere auf den gängigen Stereotypen basierende Meldungen, verstärkt damit den Effekt und betreibt Meinungsmache, etwas was ihr nicht zusteht. Sie ergreift Partei für den Hinweisgeber, der Stereotype vorbringt. Die, die sie festhielt sind Muslime. Warum entschuldigt sie sich nicht bei den Männern öffentlich, wenn sie es, die Polizei, doch war, die sie unberechtigt in die Öffentlichkeit zog? Erst spät fällt Polizeipräsident Jakob dies ein, erst als die öffentliche Kritik schrill wird. Dann will er das persönliche Gespräch suchen, schön im Verborgenen, damit die Öffentlichkeit nichts mitbekommt, was seine Behörde zuvor öffentlich machte. Zuvor übt die Polizei medialen Druck aus, ganz nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung, anstatt selbstreflektiv innerhalb ihrer Behörde und der Außenwahrnehmung sich mit dem Thema Integration auseinanderzusetzen.

Die Politik in Köln und auch ihre Initiativen sind sprachlos. CDU, SPD, Grüne, FDP, Ratsgruppe Gut oder die Oberbürgermeisterin sagen nichts. Vielleicht weil sie wissen, dass mit dem Thema Muslime kein Blumentopf zu gewinnen ist? Nur die Linke nimmt das Thema auf, stellt richtige Fragen. Ach ja und die AfD, aber die Art und Weise des Umgangs mit dem Thema ist das richtige Öl für die Garküche des Rechtspopulismus.

Was könnten wir daraus lernen

Der Vorfall zeigt, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Multikulti-Köln Alltag sind. Wenn die einzige Konsequenz daraus ist, dass die einen auf die anderen mit den Fingern zeigen und ihnen Hass und Gewalt zu säen vorwerfen und damit polizeiliche Maßnahmen begründen, dann haben die Hetzer und Populisten gewonnen. Wenn es allerdings gelingt differenziert über das Geschehene zu debattieren, das was Richtig und das was Schlecht war herauszufinden und zu benennen, wäre viel gewonnen. Das schließt übrigens alle gesellschaftlichen Kräfte ein, die Bürgerinnen und Bürger, die staatlichen Organe, die Politik und die Medien. Gehen wir doch einfach einmal aufeinander zu und fragen den anderen warum er gerade eine Pappnase, Lederhose oder ein religöses Gewand trägt? Dialog baut Brücken und macht schlauer.

Autor: Andi Goral
Foto: Der Screenshot zeigt die Meldung der Polizei um 15:11 am 4. Juni