Köln | „Lean on me“ – im Original von Bill Whiters gesungen – singen die Gospelchöre auf der Bühne am Roncalliplatz und tausende Smartphone-Taschenlampen schunkeln vor der Kulisse des Kölner Doms, während fast fern entfernt Raketen und Böller in die Luft gejagt werden. Auf der Fassade des Römisch-Germanischen Museums flammen die Buchstaben „Respect“ auf. Das Konzept geht auf, nach der rechtsfreien Zone 2015, der Racial Profiling Zone 2016, jetzt die Böllerfreie Zone 2017 mit viel Beteiligung und einer friedlichen Begrüßung des Neuen Jahres 2018.

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Es war ein schöner Moment, als die große Zahl an Menschen aus vielen Ländern gemeinsam den Augenblick des Jahreswechsels ohne Böller und Raketen auf dem Roncalliplatz erlebten. Dsas Konzept war besser als im Jahr 2016, als nur die Lichtinstallation die Domplatte und den Roncalliplatz erleuchtete. Es war ein Moment der das tumbe und dumpfe Abschießen von Raketen und teilweise extrem lauten Donnerschlägen vergessen ließ. Die Menschen lächelten und sangen mit. Leider war es schon zehn Minuten nach Mitternacht mit diesem Moment vorbei, denn das Programm endete abrupt. Der Platz leerte sich in wenigen Minuten, zurück blieben Glasflaschen und Scherben. Hier hätte ein wenig mehr Programm gut getan und diesen glücklichen Moment die Menschen einen Hauch länger genießen lassen.

Ist also alles wieder gut?

Ja und Nein. Es ist ein Feiern in der böllerfreien Zone, das in diesem Jahr aufgegangen ist, weil die Mischung bis kurz nach Mitternacht stimmte. Familien mischten sich mit Älteren, Kölsche mit Immis und ja es kommen auch immer noch viele junge Männer aus dem arabischen Raum, die sich dort treffen und miteinander und mit anderen feiern. Die, zumindest 2016 noch erkennbaren starreren Strukturen scheinen sich aufzuweichen und so hat es den Anschein, die Integration zeigt erste Wirkung. Die böllerfreie Zone zieht zudem die an, die keine Lust auf Randale haben und das waren erfreulicherweise viele.

Aber dieser Moment ist zu einem hohen Preis erkauft. Drängelgitter, Einlaßzonen, Taschen- und Körperkontrollen, Pöller vor der Domzone, Müllwagen der Abfallwirtschaftsbetriebe an allen Zufahrtstraßen, die die Zugänge absichern und auf fast jedem Quadratemeter zwei Polizeibeamte, Security-Mitarbeiter oder das städtische Ordnungsamt. Im Spanischen Bau des Rathauses ein großer Krisenstab der das Alles koordiniert. Der bekam Besuch von NRW-Innenminister Reul, der gemeinsam mit Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob, später noch über die Domplatte jagt, um mit Domprobst Gerd Bachner für einige Minuten im Dom zu verschwinden.

Kölner Polizei hat dazugelernt

NRW-Innenminister Reul macht mit einem jungen Mann ein Selfie, spricht kurz bei Polizeibeamten vor, lobt ihre Arbeit und versichert ihnen, dass sie auch 2018 noch viel Arbeit haben werden. Was die Landesregierung tun will, also auf der politischen Agenda hat, um politisch an einem friedlichen Miteinander zu arbeiten, dazu sagt Reul nichts. Der hatte an diesem Silvesterabend 5.700 Beamte in ganz NRW eingesetzt. Immerhin gab es 2017, anders als noch unter Polizeipräsident Jürgen Mathies, der heute Staatssekretär im NRW-Innenministerium ist, keine willkürlichen Polizeikessel mehr und illegales Racial Profiling. Hier scheint die Kölner Polizei dazugelernt zu haben. Immerhin war es auch Polizeipräsident Jacob, der ein multikulturelles Fest und Miteinander forderte, nachdem die Silvesternacht 2016 auf Betreiben der Polizei wissenschaftlich aufgearbeitet wurde.

Mehr Körperverletzungsdelikte im Stadtgebiet

Allerdings gab es im gesamten Stadtgebiet von Köln ab Mitternacht, so die Kölner Polizei, besonders viele Schlägereien und für die Streifenwagenbesatzungen viele Einsätze. Eine genaue Bilanz gibt es allerdings noch nicht von der Kölner Polizei. In der böllerfreien Zone rund um den Dom gab es diese Häufung von Körperverletzungsdelikten nicht. Dort meldeten sich neun Frauen, die unsittlich berührt wurden, so Pressesprecher Kleimann. Drei Tatverdächtige konnten noch am Ort des Geschehens festgenommen werden. Die Polizei meldet zudem, dass auf den Ringen und im Kwartier Lateng, dem Studentenviertel rund um die Zülpicher Straße weniger Menschen feierten. Eine Bilanz wollen die Kölner Polizei und die Stadt Köln heute Nachmittag ziehen.

Die vielen tausenden Menschen auf dem Roncalliplatz zeigten mit ihren Smartphone-Taschenlampen wie schön Silvester gefeiert werden kann, nicht nur mit „Lean on me“, sondern auch mit „You’ve Got a Friend“ – im Original von James Taylor & Carole King oder „Celebration“ von Kool and the Gang, wenn man mitsingt. Musik verbindet Menschen aus der ganzen Welt, eine Erkenntnis, die gerade in Köln eigentlich gar nicht so neu ist. Von Böllern und Raketenabschießen ist eine solche Wirkung nicht bekannt.

Autor: Andi Goral
Foto: „Respect!“ war die Losung für Silvester 2017 in Köln – auf dem Roncalliplatz in riesigen Lettern auf der Fassade des Römisch-Germanischen Museums zu sehen.