Köln | Es gibt E-Mail, Skype, Sprachnachrichten, WhatsApp, Telegram, Twitter, Telefonie, Fax, Zoom, Snapchat, Instagram, Facebook, Facebook Live, Youtube, Youtube Live, Twitch, Periscope, Livestream, 24 Stunden lineares TV-Programm auf mehr als 10 Kanälen, Netflix, Amazon Prime, digitale Buchläden, Mediatheken, Radioprogramme für jeden Geschmack und mehr. Und dennoch glaubt die Gesellschaft, sie werde in eine tiefe Depression fallen, weil sie nicht mehr Face to Face kommunizieren kann, wenn sie einen Mindestabstand von zwei Metern einhalten muss? In Zeiten einer Krise wäre ein wenig mehr Realitätssinn angebracht.

Eltern rufen in den Beratungsrunden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an und fragen warum sie keine Gruppen mehr mit den Lieblingsspielkameraden ihrer Kinder bilden können und die Moderatorinnen und Moderatoren zeigen sich über das soziale Miteinander besorgt. Psychologinnen und Psychologen werden befragt und malen Szenarien an die Wand, als wären alle Menschen jetzt für zwei, drei oder vier Wochen vollständig isoliert – ja gar in familiärer Isolationshaft. Dabei ist in einer vernetzten und digitalisierten Welt genau das Gegenteil der Fall, zumindest bei denen, die damit umgehen können. Und ja, es bedarf eines differenzierten Blicks.

Beam zurück: Eine Isolation zu Zeiten des Tastentelefons?

Wie wäre die Corona-Krise vor rund 30 Jahren bei den Menschen angekommen. In den meisten Familien gab es ein Telefon mit Tasten und die wenigsten hatten einen Internetanschluss. Das lineare Fernsehen erlebte, dank der Öffnung für das Privatfernsehen durch die Kohlregierung, einen Aufschwung. In den meisten Familien gab es für alle ein einziges Telefon, um mit der Außenwelt zu kommunizieren. Passiver Medienkonsum war nur linear möglich und das Internet in weiter Ferne. Analoge Bücher konnten die Menschen lesen, aber nur wenn sie im Bücherschrank standen. War die Bibliothek oder der Buchladen – wie aktuell – geschlossen, gab es keine neuen Bücher.

Bei Flatrate sozial isoliert?

Vor so einem Szenario soziale Isolation bei Quarantäne zu befürchten klingt richtig. In den klassisch bürgerlichen Schichten, die jetzt bei den Radiostationen anrufen und die Bioprodukt-Regale in den Supermärkten leer kaufen, wirkt diese Befürchtung wie Mimimi auf hohem Niveau. Dort haben Vati, Mutti und die Kids alle ein eigenes Smartphone und können so mit ihren sozialen Kontakten, zu jeder Zeit und in jeder Minute miteinander telefonieren, simsen, chatten, messengern, livestreamen oder skypen. Sind wir also bei Flatrate sozial isoliert, wenn wir uns zwei oder drei Wochen physisch nicht sehen?

Anders sieht es aus, wenn die soziale Situation prekär ist oder Menschen mit der digitalen Welt nicht zurecht kommen, etwa weil sie zu alt sind. Hier droht die soziale Isolation und hierauf müsste der Fokus gelegt werden. Nur hat diese Gruppe keine Lobby oder Sprecher, die darauf aufmerksam machen. Es sind die Alten und die sozial Schwachen, die die Krise noch weiter ausgrenzen wird. Also Kids und Millenials ran ans Telefon und einfach mal Opa und Oma anrufen. Und wenn Sie einen Rechner zu Hause haben mit Internetanschluss, dann erklärt Ihnen wie sie Skype installieren können und spielt mit ihnen via Skype „Mensch ärgere Dich nicht“. Da habt ihr ein echt großes Werk vollbracht.

Umso unverantwortlicher scheint es, wenn Politik, Medien oder Fachleute, unisono in das Depressionsvorabgeheule einer mit allen digitalen Kommunikationsmitteln ausgestatteten Schicht in Deutschland einstimmen. Stattdessen könnte gerade diese Schicht Verantwortung übernehmen und mit gutem Beispiel vorangehen: Social Distancing bei physischer Präsenz und digitale Nähe. Spielt doch einfach Monoply mit den Friends via Skypem, anstatt Euch im Park zusammenzurotten und Euch die Mär vom ungefährlichen Coronavirus beim Wegbier zu erzählen. Denn auch Jüngere können daran erkranken und die Spätfolgen, etwa von Vernarbungen durch die Krankheiten in der Lunge sind noch lange nicht klar. 

Autor: Andi Goral