Köln | Als die Band „Planschemalöör“ auf der Bühne des Kölner Tanzbrunnens steht und ihren Hit „Heimat“ und neue Songs präsentiert, hält es eine junge Frau bei „Anna bella“ nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie steigt auf den Stuhl und tanzt emphatisch mit. Der Kölner Karneval ist Party und gute Laune und das zeigt sich jetzt bereits vor der Session auf den Vorstellabenden. 19 Bands, Redner und Tanzgruppen präsentierte die Kajuja.

Vor dem Vorstellabend im Kölner Tanzbrunnen veranstaltet die Kajuja ihre Probeabende, auf denen sich die Künstlerinnen und Künstler für die Präsentation auf der Schäl Sick, so nennt Köln die rechte Rheinseite, qualifizieren müssen. Auf die große Bühne schafften es in diesem Jahr Philipp Godart, „Gäng Latäng“, die „Strunde Pänz“, „Scharmöör“, „Kölschraum“, „Gisbert Fleumes“, „Rumtreiber“, das Tanzcorps „Rheinmatrosen Minis“, die „Stadtrebellen“, das „Vingströschen“, „Planschemalöör“, das Tanzcorps „Rheinmatrosen“, „Ne Spätzünder“, „Bohei“, „Der Sitzungspräsident“, „Stadtrand“, das Tanzcorps „Echte Fründe“, „Cabb“ und das Tanzcorps „Harlequins“. Der Saal gut gefüllt und das jecke Fachpublikum, so gibt es die Kajuja an, in Feier- und Mitmachlaune. Insofern zeigte sich vor allem bei den Musikdarbietungen, dass der Trend zur starken Animation des Publikums anhält und weiter Früchte trägt. Auch einfache Lautmalereien ohne jeglichen textlichen Bezug, wie „OoooOooo“ nimmt das Publikum dankend an und auf sowie setzt dieses sofort in ein Echo des Saals in Richtung Künstler zur beiderseitigen Zufriedenheit um. Ist es dem Künstler zu leise, dreht das Publikum auch gerne den Verstärker nach Aufforderung durch Frau/Mann am Mikrofon lauter. Der Partykarneval ist angesagt und entsprechend ausgerichtet sind die Texte der Bands, möglichst einfach und vor allem Emotionen zwischen Menschen oder ihrem Heimatgefühl ansprechend, so dass sich jeder wiederfinden kann. Also wenig Geschichten außerhalb der Schlagerklassiker Herz-Schmerz-Sex (letzteres wird nicht genannt, nur assoziiert) werden erzählt, bzw. gar nicht. Vor den Künstlerauftritten konnten diese sich zudem per Video präsentieren. Hier ist eine deutliche Professionalisierung bei Inszenierung und Präsentation im bewegten Bild festzustellen.

Künstler die die Redaktion sah

„Gisbert Fleumes“

Rupert Schieche tourt seit Jahren über die Kölner Bühnen, war im Literarischen Komitee des Festkomitee Kölner Karneval und auch beim Klub Kölner Karnevalisten schon auf den Brettern. Bisher galt für den Mann, der auch aus der Ecke Poetry Slam kam, entweder das Publikum und Moderator liebten ihn oder ließen ihn manchmal fallen. In der Kajuja scheint „Gisbert Fleumes“ eine gute Heimat für sich gefunden zu haben. Das Publikum applaudierte lautstark und reagierte sehr positiv auf seinen Vortrag. Der war einmal unterbrochen, weil „Fleumes“ den Text vergessen hatte, oder war nur alles Show? Es bleibt offen, wurde aber von den Anwesenden im Saal positiv goutiert. Seine leicht frivolen Vögeloden erheiterten das Publikum zudem. Gelungener Auftritt und wer dem Künstler als Moderator eine gute Bühne bereitet, der wird seine Freude an dem sensibel witzigen „Gisbert Fleumes“ finden und seinem Publikum bereiten, unter anderem mit versauten Witzen, etwa um den Toaster im Nonnenkloster… (die Pointe wird natürlich nicht verraten) Gute Rede.

Die „Rumtreiber“

Eine Band mit Hipster-Bart, zumindest der Frontmann und einige weitere Mitakteure. Viele musikalische Stile hören die Zuhörer aus dem Sound der Band, die sich selbst mit als aus der Region für die Region bezeichnet. Irish Folk, aktuelle Mittelalterbandsmucke und wie letztere unterlegen die „Rumtreiber“ ihre Melodien immer mit ordentlich Wumms also dem Bassbeat der Neuzeit. Die Texte drehen sich um das emotionale Zweierlei zwischen zwei Menschen und sind aus bekannten Textzeilen zusammengesetzt, wie „Loss mer singe“, „trinke“ und „zesomme stonn“ oder „In dingem Ärm“. Da gibt es keine Verständnisschwierigkeiten, da kommen jung und alt mit. Aber ganz stimmig wird es doch nicht, wenn junge Männer mit den schon beschriebenen Hippster-Bärten, über die goldenen Zeiten der Kneipe an der Ecke singen, wo wahrscheinlich ihre Großväter glücklich waren. Sie auch? Gediegen und nicht zu schnell präsentieren die „Rumtreiber“ ihre Rhythmen. Die „Rumtreiber“ schreibt sich übrigens am Anfang mit einem umgedrehten „R“.

Die „Rheinmatrosen Minis“

Der Tanzbrunnen muss über eine größere Bühne nachdenken, wenn das so weitergeht. Mehr als 40 Kinder und Jugendliche schickte die Große Mülheimer Karnevalsgesellschaft auf die Bühne. Und so muteten die Tänzchen auch mehr wie rhythmische Sportgymnastik in einer Turnhalle an, als wohltemperierte ausgeklügelte Tanzkultur mit Choreografie. Natürlich gehen auch die Tanzgruppen mit der Zeit und müssen sich an den vom Publikum geforderten Animations-Partykarneval anpassen. Das tun sie, lieber schnell und sportlich, als tänzerisch gesetzt, scheint die Devise. Die Frage, die sich dahinter verbirgt und nicht nur bei den „Rheinmatrosen Minis“ ist, hat der Kölner Karneval hier noch die richtigen Ausbilderinnen und Ausbilder für Tanzkultur. Kamen die ja mit dem Ehepaar Schnitzler oder Biggi Fahnenschreiber, noch von der Kölner Oper, so sind es deren Zöglinge ohne klassische Ballettausbildung oder eben Sportlehrer, die die Ausbildung, Choreografie übernommen haben. Dies wird jetzt sichtbar und die Tanzkultur nimmt ab, nicht nur bei den „Rheinmatrosen Minis“. Die im übrigen dennoch viel Spaß vermittelten und vom Publikum frenetisch gefeiert wurden. Also im Sinne der Publikumsunterhaltung alles richtig gemacht.

Die „Stadtrebellen“

Feiner, rockiger Sound um Dennis Kleimann, der absolut souverän seine Band führt, selbst wenn mal ein Knopf beim Gitarristen nicht gedrückt ist. Alle vier Musiker sind exzellent beim Soundbasteln und locker auf der Bühne. Cool. Aber bei den Texten hapert es. Da kommt das Geschmäckle auf, es eher mit einer der vielen Kölsch-Pop-Bands zu tun zu haben. Hier fehlt etwas, oft die eine Zeile, die in den Sound mit hineinreißt, Höhen in der Stimme und Uniqueness, den der dahinterliegende unverfälscht rockige Soundteppich ja hat. Denn musikalisch haben es die vier Jungs mächtig drauf.

„Et Vingströschen“

Die Heimat der Kajuja tut dem „Vingströschen“ gut, wie auch schon dem vorher beschriebenen „Gisbert Fleumes“. Bei ihrem Auftritt konnte der Betrachter fast ein wenig den Eindruck gewinnen, die Bühne des Tanzbrunnens wäre ihr Wohnzimmer. Die Rede in diesem Jahr grandios, damit dürfte Sabine Holzdeppe durchstarten. In Pink, wie sonst und mit Rap. Ob Sie Mogelwäsche bei ihren Auftritten trägt, verrät „Et Vingströschen“ nicht, aber die Show, die sie darum macht ist top. Eine Empfehlung in dieser Session nicht nur für die Damen- sondern auch Herrensitzung, vor allem der Teil, den sie selbst als „Dessous-Rede“ vorstellte. Rede im besten Sinne des Karnevals, die den Anwesenden den Spiegel vorhält.

„Planschemalöör“

Die Band ist der neue Stern am Kölner Musikhimmel. Das zeigte sich nicht nur, weil eine Dame aus dem Publikum auf dem Stuhl stand, sondern viele im Publikum kannten die Songs, die so dynamisch sind, wie die von „Querbeat“ und gleichzeitig so authentisch in diese Zeit des modernen Köln passen. Es ist Mainstream-Pop, der auf die Geschwindigkeit von Punk gesetzt ist, mit coolen Texten. „Anna bella“ hat das Zeug zum Sessionshit. „Planschemalöör“ starten, schon nach ihrem Debut im letzten Jahr, weiter senkrecht in die Höhe.

Nach der Kajuja gibt es noch Vorstellabende des Klub Kölner Karnevalisten oder Stammtisch Kölner Karnevalisten, um zwei weitere zu nennen.

Autor: Andi Goral
Foto: Jetzt steht das jecke Volk schon bei den Vorstellabenden, wie hier bei Kajuja 2019 auf den Stühlen