Köln | Nennen wir sie Digitalsession, diese Session 2021, auch wenn einiges analog stattfand, wie etwa die Besuche des Dreigestirns im Freien vor Altenheimen und den jecken Seniorinnen und Senioren auf ihren Balkonen oder an Fenstern. Der Festkomiteepräsident, der Leiter des Rosenmontagszuges und das Dreigestirn zeigen sich von ihrer Leistung mehr als überzeugt.

Statt rauschender Partys in der Kölschen Hofburg gab es ein TV-Studio extra für das Kölner Dreigestirn. Aus diesem sendete das Dreigestirn etwa Grüße an die Kölner Karnevalsgesellschaften. Die Proklamation gab es als Live-on-Tape-Fernsehmitschnitt und der Kölner Rosenmontagszug als Filmproduktion mit dem Hänneschen Theater. Es gab auch Analoges: Autokino mit Konzerten der großen Karnevalsbands und Autos, die von den Jeckinnen und Jecken inside geschunkelt wurden. Auch das Kölner Dreigestirn war dort vor Ort oder mit seinem eigenen LKW vor Alteneinrichtungen von Seniorinnen und Senioren. All das dokumentiert das Festkomitee in einem rund 6-minütigen Film. Für all das gab es viel Applaus aus der Community, also dem Kreis eingefleischter Karnevalistinnen und Karnevalisten.

Pripro im Saal und im TV trennen?

Festkomiteepräsident Christoph Kuckelkorn sagt, die Strategie sei aufgegangen. Zunächst sei das Ehrenamt gerettet worden, da die Verträge mit Künstlerinnen und Künstlern, den Saalbetreibern und anderen gelöst werden konnten. Die neue digitale Jeckness habe dazu geführt, dass der Karneval konzentrierter konsumiert und mehr Tiefe vermittelt werden konnte. Der Karneval habe sich mit den digitalen Formaten weiterentwickelt. Besonders überzeugt zeigte sich Kuckelkorn von der digitalen Proklamation und stellte fest, dass der Saalkarneval und die TV-Produktion zwei völlig unterschiedliche Formate seien. Stellt Kuckelkorn damit die Proklamation im Gürzenich in ihrer bisherigen Form in Frage? Also als Saalveranstaltung und paralleler Live-On-Tape-Produktion des Westdeutschen Rundfunks, die dann ein paar Tage später ausgestrahlt wird? Man wird sehen, zumindest will Kuckelkorn „darauf rumplanen“. Die/der kritische Jeck/in fragt sich da allerdings, wo denn dann all diese wunderherrlichen Eitelkeiten des Saalpublikums bei einer TV-Sitzung bleiben, ob die dann in der TV-Produktion als Seifenblasen eingebaut werden könnten? Und wollen wir, die nicht geladen sind, nicht gerade die alle sehen, die geladen sind und ein wenig über ihre Frisuren und ihre Outfits – nennen wir es philosophieren?

Die Spendenaktion „Mer looße üch nit allein“ mit einem Spendenvolumen von nahezu einer Million Euro bezeichnete Kuckelkorn als Selbstheilungskräfte mit der sich der Karneval selbst aus dem Schlammassel ziehen könne. Die Gelder sollen dem Ehrenamt oder etwa Technikern zu Gute kommen. Dazu mussten die von der Corona-Pandemie Betroffenen, die etwa wirtschaftliche Ausfälle durch Absagen von Karnevalsveranstaltungen hatten, Hilfen beantragen.

Der Leiter des Rosenmontagszuges Holger Kirsch erklärte, dass er nach Ausstrahlung des Hänneschen-Rosenmontagszuges viel positive Resonanz erhalten habe. Dabei blieb zumindest im Netz die Resonanz in den Newskanälen der großen Suchmaschinen im Gegensatz zu normalen Jahren überschaubar. Regionale Nachrichten berichteten zum Großteil und Köln teilte sich dort im Netz und den nationalen TV-Nachrichten, wie sonst auch, die Aufmerksamkeit mit den großen Düsseldorfer Tilly-Wagen und dem Wagen von Greenpeace vor dem Kölner Dom.

Prinz Sven stellte fest, dass Köln in jeder Session und jedem Jahr ein Dreigestirn brauche. Und er blickte auf 2022, denn dann komme die Zeit des Kölner Dreigestirns mit Prinz Sven, Bauer Gereon und Jungfrau Gerd. Denn die dürfen dann noch einmal ran. Ab Aschermittwoch sind die Drei nicht mehr proklamiert sondern wieder designiert und kehren als Mitglieder zu den Altstädtern zurück, bis es dann wieder losgeht am Elften im Elften mit der Session 2022.

Bei aller Freude und Zufriedenheit der Hardcore-Karnevalistinnen und -Karnevalisten gehört zu einer Sessionsbilanz 2021 dazu, dass diese vor allem in der Filterbubble des Kölschen Fasteleer stattfand. Die große Masse der Jeckinnen und Jecken aus Köln, der Region, Deutschland und der Welt dürfte von der digitalen Session wenig mitgenommen und mitbekommen haben. Und ein digitales Fest steht ja auch ein wenig im Widerspruch zur Definition des immateriellen Kulturerbes Rheinischer Karneval. Denn dort heißt es: „Gemeinsam ‚jeck‘ zu sein, sich verkleiden, in andere Rollen zu schlüpfen und ausgelassen zu feiern, gehört ebenso zum Karnevalsfest wie das ehrenamtliche und soziale Engagement.“

Für 2022 ist daher zu hoffen, dass der Karneval wieder, wie es auch das immaterielle Kulturerbe beschreibt, nach Notzeiten als Fest Impulse in die gesamte Geschellschaft setzt, integrativ wirkt und dieses besondere Lebensgefühl der Menschen im Rheinland spiegelt. Voller Gefühle von Freude und Zugehörigkeit, aber nicht vor dem Screen, sondern wieder mittendrin, als Lappenclown, Lappenclownin, Kamel oder Funkenmariechen, Steam Punk, Blauer Funk, Original Matrosin …

Autor: red
Foto: Der Screenshot der digitalen Pressekonferenz des Festkomitee Kölner Karneval zeigt den Präsidenten Christoph Kuckelkorn.