Köln | Interview mit Ehrengarde-Präsident Frank Remagen | Es ist 17:15 Uhr im Kölner Gürzenich. Im Foyer versammeln sich die ersten Gäste der Ehrengarde Galasitzung. Frank Remagen wird gleich seine 196. Sitzung leiten und vor ihm liegt ein kleiner Spruch des Ehrengarde Archivars Heinz Fleu. Der Saal ist perfekt vorbereitet, die Tische stehen wie mit der Wasserwaage ausgerichtet. Für Frank Remagen ist es die letzte Session an der Spitze des Elferrates, denn er beendet seine Zeit als Präsident und Sitzungspräsident der Ehrengarde der Stadt Köln mit dieser Session. Sein Motto: „Aufhören, wenn es am Schönsten ist“. Report-k.de sprach mit Frank Remagen.

Wir interviewen Frank Remagen im Elferratssgestühl. Auf seinem Platz liegt ein weißes Blatt Papier mit dem Spruch zum Tag von Ehrengarde Archivar Heinz Fleu und die Federn für seine Kappe. Heinz Fleu schreibt Präsident Remagen hundert Prozent zuverlässig zu jeder Sitzung einige persönliche Zeilen. Wir treffen einen Frank Remagen der locker und gut gelaunt, in edlem Zwirn mit Schärpe perfekt vorbereitet auf die Galasitzung, die gleich beginnen wird, ist.

Report-k.de: Herr Remagen, heute leiten sie ihre 196. Sitzung. Wie hat denn ihre erste Sitzung als Sitzungspräsident begonnen? Kann man sich nach einer so langen Zeit noch daran erinnern?
Frank Remagen: Die Erste wird man nie vergessen. Bei der ersten Sitzung stand ein 35 Jahre junger Ehrengardist, der zwar als Reiterkorpsführer, also stellvertretender Kommandant Erfahrung hatte und der Bühne und Sitzungssäle kannte, mutterseelenalleine im gleißenden Scheinwerferlicht des Sartory. Ich hatte mich zwar auf Rhetoriklehrgängen ein wenig fit gemacht, da lernt man ein paar Tricks, rhetorische Kniffe und den ein oder anderen lockeren Spruch. Da stand ich mit weichen Knien und durchgedrücktem Kreuz und hatte meine Zettelchen vor mir. (Frank Remagen legt Papiere die er gerade zur Hand hat, wie die Zettel von damals noch einmal hin) Also Alaaf musste ich nicht ablesen, aber das ein oder andere und die Zettel standen immer so, dass es keiner merken konnte.

Teleprompter in Altmodisch?
Genau der alte Teleprompter. (Remagen lacht)

Und wie hat es geklappt?
Es hat wunderbar funktioniert, denn es war auch sehr einfach. Unsere erste Sitzung ist immer die Familiensitzung. Der halbe Saal kennt sich – ist sozusagen miteinander verwandt – die lassen einen nicht fallen. Wenn die erste Sitzung eine Fremdensitzung, also hier im Gürzenich gewesen wäre, ich glaube das wäre bedeutend schwieriger gewesen. Aber so hat man mir den Einstieg recht einfach gemacht. Das war vor 16 Jahren und heute sind 196 Sitzungen daraus geworden.

Viel ehrenamtliches Engagement wird hier geleistet. Wie kommt man dazu sich so für die Ehrengarde und den Karneval zu engagieren?
Das Engagement auf das man im Karneval trifft, das betrifft ja nicht nur mich. Man darf eines nicht vergessen: Der Mann, der gerade im Saal die Tische kontrolliert, ist Alfred Tellenbach. (Remagen deutet auf einen Ehrengardisten im noch leeren Gürzenichsaal) Der ist nicht minder engagiert, als die Kommandanten oder der Präsident. Nur dessen Arbeit findet im Verborgenen statt. Er erntet selten Lob, sondern kriegt meistens noch Prügel weil die Gäste sich über ihre Platzierung beschweren. Ein Saal sollte eigentlich 200 Meter breit sein. Für alle, die sich hier im Verein engagieren höchstes Lob und Anerkennung. Mit denen müssten sie eigentlich ein Interview führen.

Wie bekommt man Beruf und Präsidentenamt unter einen Hut?
Für ein Engagement im Karneval ist unheimlich viel gefordert. Ich habe von Anfang an versucht das Ganze in Teamwork zu machen. Ich hole mal ein bisschen in die Vergangenheit aus. Der alte Typus des Karnevalspräsidenten nach dem Motto ich bin der Große und danach kommt erst mal gar nichts, der hat schon lange ausgedient und wäre heute auch so nicht mehr erfolgreich. Zu versuchen Beruf und Ehrenamt in Einklang zu bringen ist verdammt schwer. Ich hatte riesengroßes Glück. In meinem Betrieb und Büro eine phantastische Sekretärin zu haben, die, da ich jetzt schon fast 24 Jahre im Ehrengarde Vorstand bin, mir oder denen die auf uns zukommen, die Wünsche wirklich von den Augen abliest. Da reichen ein paar Stichworte, die ich ihr zuwerfen kann und die Dinge funktionieren. Sonst ging das überhaupt nicht. Ihre Arbeit besteht auch zu einem Drittel aus Karneval im Jahr.

Und ich habe im Betrieb eine tolle und zuverlässige Mannschaft, die mir in der Session den Rücken frei hält. Vor 16 Jahren fiel es mir auch leichter nach einer Donnerstagssitzung um zwei oder halb drei Morgens nach Hause zu kommen und um sechs Uhr wieder aufzustehen. Heute brauche ich schon ein Stündchen mehr Schlaf zur Regeneration.

Was würden Sie einem jungen Mann der heute in der Ehrengarde anfängt raten?
Für jeden jungen Menschen, und wir haben eine ganze Reihe junger Menschen in der Ehrengarde, ist heute und damals das Schönste sozusagen der Jugendclub der Kadetten. Von den Kadetten, die mit mir vor 32 Jahren in den Verein gekommen sind, haben sich alle engagiert. Beispielsweise Willi Stoffel. Er ist heute Geschäftsführer der Ehrengarde, oder Robert Greven, den auch alle kennen, und der das Kölsche Hätz initiiert hat und mittlerweile ein irrer Moderator ist. Das sieht man auch jetzt bei der jungen, also der zweiten und dritten Kadettengeneration nach uns. Zwei, drei kommen zu uns, sagen dann Freunden, das ist schön da, dann kommen die anderen auch. Wir erleben eine Art Kettenreaktion, die einfach unglaublich ist.

Wenn man in so jungen Jahren in den Verein kommt, da ist man noch nicht so richtig geprägt, da prägt einen eher der Verein. Wichtig ist vielleicht der Unterschied zu einem normalen Karnevalsverein. In einer Korpsgesellschaft herrschen strengere Regeln, die formen einen jungen Menschen stärker. Was ich in der Jugendzeit von den älteren Mitgliedern, viele leben heute leider nicht mehr, mitbekommen habe an Stil, an Haltung, an gesellschaftlichem Auftreten hat mich charakterlich sehr geprägt. Das gibt jedem jungen Menschen so viel, dass ich jedem empfehlen kann sich zu engagieren. Und Engagement heißt ja nicht nur Ehrenamt, sondern auch tanzen, reiten oder Kadettentanz auf die Bühne bringen. Da ist sehr viel Biss und Power nötig, das bekommt man aber später alles zurück. Also der alte Spruch – sehr oft benutzt – Frag nicht was Dein Verein für Dich tun kann sondern frag Dich was Du für den Verein tun kannst, gilt immer noch und am Ende kommt der Rest schon von selbst.

Die erste Fernsehsitzung ist das was Besonderes gewesen? (Anmerkung der Redaktion: Frank Remagen leitete 14 Jahre die ZDF Fernsehsitzung „Typisch Kölsch“)
Die ersten zwei Fernsehsitzungen in meiner damaligen Amtszeit durfte ich noch gar nicht leiten. Da fehlte mir verständlicherweise die Erfahrung, was ich damals nicht so verstand, jedoch rückblickend sehr wichtig war. „Lass den erst einmal Erfahrungen sammeln. Anschließend können wir den auch auf das Fernsehpublikum loslassen“ war die damalige Meinung des verstorbenen Festkomitee Präsidenten Hans Horst Engels. Heute sage ich, vollkommen richtig gemacht, man braucht Erfahrung und Sicherheit.

Im Jahre drei meiner Sitzungsleiterschaft kam dann die erste Fernsehsitzung. Das gleiche Jahr war meine Tochter Nina, Jungfrau im Kinderdreigestirn. Das war 1999. Nina hatte mir einen riesengroßen herzförmigen roten Luftballon mit auf die Bühne gebracht, da rollten bei mir die Tränen, denn darauf stand „Lieber Papa alles Jute zur ersten Fernsehsitzung, Deine Kinder“. Dann kamen die Fernsehkameras. Ich hatte mich zuvor vorbereitet, bin mit dem Hund spazieren gegangen, durch die Schrebergärten in meiner Umgebung und hab meine Rede immer wieder vor mir selbst aufgesagt. Die Menschen die mich sahen, schauten so, als dächten sie, schau mal den Spinner da, der führt Selbstgespräche. Und wie die Kameras angingen, war alles weg. (Frank Remagen stottert seinen ersten Satz: Meine Damen und Herren, sehr verehrte Fernsehzuschauer schönen Abend“… ) Alles fott, mehr bekam ich im ersten Moment nicht raus.

Kein Teleprompter?
Nein, Teleprompter gibt es bei den Fernsehsitzungen nicht.

Wie bereiten Sie sich auf eine Sitzung vor?
Ich bereite mich auch heute noch auf jede Sitzung vor. Natürlich lange nicht mehr so intensiv wie früher. Vieles ist heute im Kopf, Du gehst das Programm durch und überlegst was erzähle ich bei wem. Ich habe mir von Anfang an zur Aufgabe gestellt, wenn der Mann hier in der Mitte eine Funktion haben soll, dann auf alle Fälle mehr, als zu sagen: Wir empfangen jetzt die „Höhner“. Das heißt auch in jede Sitzung einen Faden einweben, das heißt auch dem Künstler vorab zu helfen, wenn der Saal zu laut, oder am Schlafen ist. Das muss man als Sitzungspräsident machen, dafür gibt es Sprüche und Schubladen die man irgendwann einfach automatisch öffnet. Früher musste ich mir da doch noch vieles anlesen. Ich habe immer einen Notizblock dabei, notiere Interessantes, Ideen oder schöne Zitate. Auch heute bereite ich mich immer noch vor. Ich brauche immer zwei Stunden Abstand vom normalen Leben. Also vom Job direkt in den Saal springen, das geht nicht. Zu Hause noch einmal hinlegen, ein Häppchen essen, frisch rasieren, ein Ründchen um den Block gehen. Ich muss auch immer mindestens eine Stunde früher im Saal sein. Manchmal, wenn man so viele Sitzungen leitet wie wir in der Session, da mache ich keinen Hehl daraus, denkt man auf der Fahrt zum Sitzungssaal jetzt wieder nach Hause fahren, sich auf´s Sofa legen und den Fernseher anzuschalten.

Aber dann, wenn ich hier bin und gleich der Scheinwerfer angeht und die dicke Trumm, dann macht es baff. Wenn et Trömmelche geht, dann geht es los, das ist einfach so.

Muss man ein emotionaler Mensch sein um Karnevalist zu werden?
Ja, wenn man nicht den Schuss Rampengeilheit hat, dann sollte man den Job gar nicht machen. Jeder der was anderes erzählt, der erzählt nicht alles. Das muss man haben, sonst geht es nicht. Und wenn ich kein Herzblut habe, dann wird es nichts. Dann kann ich mir einen Moderator von außen holen, gebe ihm das Programm und sage, dann machen Sie mal. Profis, die mit Telepromptern arbeiten, das funktioniert nicht. Nein man muss wild sein. Man muss auch mit dem Künstler leiden, der vor einem auf der Bühne steht. Wenn der nicht ankommt, dann denke ich Mist, was hast Du falsch gemacht. Ich sage nicht der hat keinen guten Vortrag, ich frage mich wie hätte ich dem jetzt noch mehr helfen können. Das ist vielleicht verrückt, aber ich empfinde das so.

Bekommt man vom Saal auch was zurück, wenn man hier oben sitzt?
Irre viel. Peter Schnitzler, unser alter Ballettmeister hat es einmal so formuliert: Das Ungeheuer Publikum kann grausam sein, kann einem alles kaputt machen, aber auch eine Gänsehaut und einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagen. Wir hatten vor drei Wochen unsere Herrensitzung und das Publikum war genial. 1.400 Mann, bis zur letzten Stunde im Sartory mucksmäuschenstill und aufmerksam und alle sind bis zur letzten Minute im Saal geblieben. Die haben mir einen Abschied bereitet, das war meine letzte Herrensitzung, ich war zu Tränen gerührt, das war ein erhebendes Gefühl.

Aber genauso gegenteilig kann es Ihnen, wie auf einer Sitzung in dieser Session gehen. Das Programm war nicht so gut, dann kamen Künstler zu spät und man merkte den Ausfall von Marc Metzger und Willibert Pauels. Da gab es dann einen Tisch, den bekam ich einfach nicht leise. Das war nicht so toll. Ein paar Tage später, die nächste Sitzung für die Ebertz Gruppe ganz anders. Das Publikum ist manchmal himmelhochjauchzend und dann wieder zu Tode betrübt. Jede Sitzung ist eine Herausforderung aufs Neue und lässt sich einfach nicht planen. Natürlich ist eine Schwarz-Weiß Sitzung im Gürzenich in den Nuancen anders, als eine wilde Kostümsitzung im Sartory oder eine Damensitzung.

Wie schwierig fällt es Ihnen heute schon an den Abschied zu denken? Denken Sie überhaupt schon an den Abschied?
Die letzte Sitzung wird bestimmt sehr emotional. Das ist mir jetzt schon klar. Da sind alle meine Kinder, meine Familie, meine Eltern, meine alten Freunde und meine Kameraden aus dem Verein im Saal. Ich hatte in all den Jahren immer das Gefühl, wenn etwas schief geht, die Ehrengardemitglieder, die fangen dich schon wieder auf. Ich habe mein Ende frühzeitig, bei meiner letzten Wiederwahl vor drei Jahren definiert und gesagt 2013 ist Schluss. Ein schöner Anlass, 111 Jahre Ehrengarde, denn wenn es am Schönsten ist, dann sollte man aufhören. Und zurzeit ist es am Schönsten. Ich wollte nicht, dass meine Kameraden aus der Ehrengarde sagen, wann hört der endlich auf, sondern das Alle sagen, ja das war eine tolle Zeit.

Also es passt genau. Man muss auch in sich hineinhören. Das Präsidentenamt bedeutet eine ganze Menge Beanspruchung, ewig kann man das gar nicht machen. Die Ansprüche sind heute anders als vor 30 Jahren. Vor allem, wenn man den Anspruch hat, mit seinem Team jedes Jahr perfekt zu sein und noch ein i-Tüpfelchen mehr oben drauf aufzusetzen. Das kann man nicht ohne Engagement und hohen Zeitaufwand. Und jetzt ist genau der Zeitpunkt wo ich sage, es war wunderschön, ich möchte keine Minute missen und ich gehe wieder in die Reihen zurück. Es fällt mir relativ leicht, weil ich eben in dem Korps groß geworden bin. Mit 19 Jahren eingetreten, da hat man seine Kumpels, mit denen man durch die Säle zieht.

Karneval ohne Frank Remagen, schwer vorstellbar?
Nein, Quatsch, um Gottes Willen.

Es geht nicht zurück aufs Sofa?
Nein, mit Sicherheit werde ich nächstes Jahr mal weniger da sein. Das tut man auch für seinen Nachfolger. Aber ich werde mit den Jungs mitziehen, das ist ja auch meine karnevalistische Heimat. Ich freue mich auf den Rosenmontag, wenn ich wieder mitreiten darf und nicht mehr auf dem Wagen stehen muss. Ich komme aus der Basis und gehe zur Basis wieder zurück. Fällt deshalb nicht schwer.

Aber Karneval ohne Frank Remagen wird es nicht geben – nur nicht mehr in einer Funktion. Wer einmal Präsident der Ehrengarde war, hat eines der schönsten Ämter, das es im Karneval geben kann. Der braucht danach kein anderes.

Herr Remagen, wir danken ihnen für das Gespräch.

Autor: Andi Goral