„Der Karneval wird sich durch die Pandemie nachhaltig verändern“

Köln | Jens Hermes war selbst bei seinen Blauen Funken als Tanzoffizier aktiv. Davor tanzte er bei den „Kammerkätzchen und Kammerdienern“. Heute ist er als Trainer und Choreograf für sechs Tanzpaare in den Kölner Traditionskorps im Einsatz, eine Aufgabe die er von der Tanzlegende Peter Schnitzler übernommen hatte. 2014 war er als Jungfrau im Kölner Dreigestirn unterwegs. Wir haben mit Jens Hermes über die Situation des Tanzes und der Tänzer in den Zeiten von Corona gesprochen.

Wie erleben Sie aktuell die Situation im zweiten Lockdown?

Jens Hermes: Die Situation im Moment ist etwas skurril. Ich bin beim Karneval aktiv, seitdem ich zehn Jahre alt bin. Jetzt ist eigentlich die Zeit, in der wir Vollgas geben und von Auftritt zu Auftritt fahren. Das bringt immer toller Erlebnisse mit sich, die jetzt fehlen. Sehr dankbar bin ich, dass wir im vergangenen Jahr noch unser großes Jubiläum feiern konnten. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Maßnahmen jetzt sein müssen, um die Situation wieder zu verbessern. Der Karneval wird sich durch die Pandemie nachhaltig verändern, was die Nähe zwischen den Menschen, was aber auch die Formate betrifft. Das bringt durchaus Chancen mit sich. Bislang musste alles schneller, höher, weiter gehen. Jetzt kann man sich durch die lange Pause wieder auf das besinnen, was im Karneval wirklich wichtig ist. Ruhigere Formate wie die Flüstersitzungen werden eine größere Nachfrage haben. Es wird mehr um die Gemeinschaft gehen und nicht nur darum bei den Partys möglichst lauf auf die dicke Trumm zu hausen. Karneval ist gerade jetzt in der tristen Jahreszeit Freude pur und das nicht nur als Event, sondern als gemeinschaftliches Erleben.

Der Tanz im Karneval ist von der Pandemie besonders betroffen.

Hermes: In einem normalen Trainingsjahr beginnt die Arbeit mit den Tanzpaaren spätestens vier bis fünf Wochen nach Sessionsende. Die neuen Tanzpaare fangen von vorne an und lernen die Tänze und Hebungen. Bei den anderen Paaren geht es um das Verfeinern und um viele Details. Im Herbst dreht sich dann alles um die Kondition und darum, in Uniform zu tanzen, was immer eine Herausforderung ist. Im November gibt es die ersten Auftritte, die es ermöglichen, noch einmal im Dezember nachzujustieren und die Kondition weiter zu verbessern. Das, was wir machen, ist ein echter Leistungssport und es ist die Kunst der Tänzer, es auf der Bühne ganz leicht aussehen zu lassen.

Im vergangenen Jahr kam dann alles plötzlich ganz anders.

Hermes: Durch den ersten Lockdown konnten wir mit dem Training erst zwei Monate später als gewohnt beginnen. So etwas kann kaum wieder aufgeholt werden. Gerade für die neuen Tanzpaare wird es dann ganz schwer. Dann kam im November der zweite Lockdown und die Sportstätten waren wieder zu. Im Sommer konnten wir teilweise noch auf den Wiesen der Stadt trainieren. Das ist im Herbst nicht mehr möglich. Teilweise war der Paarsport noch erlaubt, ich durfte dann als Trainer nicht mehr dabei sein. Wir haben viel online gearbeitet, was aber sehr schwierig ist, da mir als Trainer der direkte Kontakt zu den Tänzern fehlt.

Schließlich ist jetzt die Session zumindest als Präsenzveranstaltung komplett ausgefallen.

Hermes: Da hätte ich mir im Sinne der Tänzer früher Klarheit gewünscht, dass nichts stattfinden kann. Für einige Tanzpaare gab es die Möglichkeit, online aufzutreten. Aber man hat gemerkt, dass hier die Zeit im Training gefehlt hat, sodass es kaum möglich war, auf das gewohnte Leistungsniveau zu kommen. Da fehlt es an Kondition, aber auch an der Routine bei den Abläufen und Bewegungen. Außerdem fehlt eine weitere, ganz wesentliche Komponente, der Kontakt zum Publikum. Oft ist es so, dass die Tänzer in den Sälen von den Menschen dort getragen werden und so über sich hinauswachsen können. Das geht auch Musikern und Rednern so.

Wie sieht es bei den großen Tanzgruppen in Köln aus?

Hermes: Da ist die Situation noch schwieriger. Es war schon früh klar, dass Tanzgruppen nicht mit 30 oder 40 Aktiven auf einer Bühne auftreten können. Da geht es denen nicht anders, als uns als großes Korps bei den Aufzügen. Aber ich denke auch hier, dass die Pause eine Chance für Tanzgruppen bietet, sich neu zu positionieren und intensiver an bestimmten Sachen zu arbeiten. Hier müssen jetzt alle Mitglieder sehr viel Disziplin aufbringen und brauchen viel Kraft, um diese harte Zeit zu überstehen.

Welche Folgen hat das für den tänzerischen Nachwuchs?

Hermes: Es wird eine Herausforderung sein, die jungen Leute auch weiter für den Karneval zu begeistern. Wir haben da bei den Blauen Funken in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Welche konkreten Auswirkungen die Situation jetzt auf den tänzerischen Nachwuchs hat, ist schwer vorauszusagen. Aber gerade jetzt ist es für die neuen Tanzpaare schwierig. Normalerweise erleben sie vor den ersten Auftritten die Gemeinschaft in den Traditionskorps und haben viele, sehr schöne Momente. Das ist jetzt im Lockdown natürlich alles nicht möglich. Ich kann als Trainer da den Tänzern nur vermitteln, wie wunderschön ihre Aufgabe als Tanzpaare in Köln sein wird, und ihnen sagen, dass sie noch etwas Geduld aufbringen müssen.

Sie waren selbst Jungfrau im Dreigestirn. Wie blicken Sie auf das aktuelle Trio der Altstädter?

Hermes: Dass die drei diese Aufgabe in der Krise übernommen haben, davor habe ich den größten Respekt. Ich hatte mich zunächst gefragt, ob es in dieser Session überhaupt ein Dreigestirn geben muss. Ich fand dann aber die Argumentation von Christoph Kuckelkorn als Präsident des Festkomitees schlüssig. Es ist für die Menschen in Köln gerade in dieser schwierigen Zeit wichtig, eine Konstante zu haben. Das Dreigestirn hat eine positive Strahlkraft, die den Menschen in der Krise helfen kann, alles etwas besser zu überstehen. Was ich aus meinen eigenen Erfahrungen im Dreigestirn schwierig finde, ist, dass normalerweise alles, was man in dieser Session macht, nur einmal stattfindet. Das macht aus allen Erlebnissen etwas Besonders. So etwas gibt einem bei so einem Terminmarathon die notwendige Kraft. Wenn jetzt ein Dreigestirn zwei Jahre im Amt ist, wird dies etwas verwässert. Prinz, Bauer und Jungfrau brauchen in der kommenden Session viel Energie, um noch einmal neu durchstarten zu können. Für mich persönlich wäre das nur sehr schwer vorstellbar gewesen.

Wie fällt Ihr Blick auf die kommende Session 2021/22 aus?

Hermes: Ich hoffe, dass es dann schon wieder mehr Normalität geben wird. Fraglich ist allerdings, ob man sich weiter bützt oder mit 1200 Leuten im Saal Arm in Arm schunkelt. Auch volle Kneipen an Straßenkarneval sind für mich, vom jetzigen Zeitpunkt aus gesehen, nur sehr schwer vorstellbar. Aber ich hoffe, dass wir wieder dahin kommen werden und dass der Karneval aus der Krise neue Kraft für die Zukunft tanken kann. Wichtig ist, dass wir Dinge, wie einen schönen gemeinsamen Abend, wieder mehr zu schätzen lernen und nicht wie bislang als selbstverständlich hinnehmen.

Was macht Ihnen derzeit Hoffnung und was macht Ihnen Sorgen?

Hermes. Hoffnung macht mir, dass die Menschen die Energie aufbringen, um weiter durchhalten zu können. Nur so kann sich die Situation wieder verbessern. Es muss ein Ruck durch die Gesellschaft gehen und am Ende können wir dann sagen, dass wir es gemeinsam geschafft haben, die Krise zu beenden. Sorgen macht mir, dass wir das nicht in den Griff bekommen, und dass es die Normalität, die wir kennen, so nicht mehr geben kann. Aber ich bin grundsätzlich optimistisch eingestellt und glaube, dass wir das als Gesellschaft schaffen können.

Autor: Von Stephan Eppinger