Von Männekes und Männeken – Sprache zum Angucken

Köln | Wie sich Sprache verändert hat Autor Georg Cornelissen in seinem Leben ganz anschaulich erfahren, als er seine Heimat am Niederrhein verlassen hat, um in die Bundesstadt Bonn zu ziehen. Damit ging es für den Sprachforscher vom „Männekes- ins Männeken“-Gebiet. „Männeke“ ist im niederrheinischen Dialekt die gebräuchliche Verkleinerungsform. Im Plural wird daraus im Norden des Rheinlandes „Männekes“. Südlich der Benrather Linie wird bevorzugt „Männeken“ oder auch „Männekens“ verwendet.

Wer direkt an das berühmte Manneken Pis aus Brüssel denkt, liegt nicht so falsch, die Figur stellt einen Jungen dar und im Norden des Rheinlands werden Jungs gerne mal als Männeken angesprochen. Eingesetzt wird der Begriff im Süden in der Umgangssprache dagegen, um kleine Spielfiguren zu bezeichnen. Hier ist der Singular identisch mit dem Plural.
Diesen und anderen Phänomenen und Entwicklungen von Dialekt, Regiolekt und Hochdeutsch ist der Sprachforscher auf den Grund gegangen. Basis für seinen neuen Sprachatlas waren Umfragen im Rheinland vom Niederrhein bis zur Eifel. Viel Lob dafür gibt es von einem weiteren Wahlbonner – Konrad Beikircher, der einst von Südtirol in den Süden des Rheinlands gezogen ist und der die Sprache der Menschen dort liebgewonnen hat.

„Der Sprachatlas ist wissenschaftlich fundiert und trotzdem verständlich und gut lesbar geschrieben. Der Autor führt den Leser mit Lachfältchen im Gesicht in die Abgründe der Sprache. So macht Wissenschaft Spaß und ist unterhaltsam. Das ist ein Buch, das jeder, der rheinisch denkt und fühlt, haben muss“, sagt der Kabarettist. Der Sprachatlas sei ein Stück Heimatbeschreibung, die Sprache zum Angucken bietet.

Sprache ist für ihn Heimat, denn einer, der die gleiche Sprache spricht, ist jemand, der die gleichen Wurzeln hat, wie man selbst. Das gilt für den Bonner genauso wie für den Kölner oder den Düsseldorfer. Dabei trennen Sprachgrenzen nicht nur Altbier- und Kölschregionen, sondern verlaufen manchmal mitten durch ein Dorf. „Sprache zeigt Menschen, wohin und wozu sie gehören. Der Sprachatlas hilft aber auch Immis als Sprachnavi durch das Gewirr rheinischer Regionalismen.“

„Sprache ist aber auch ein musikalisches Ereignis und der Klang wird für unsere Ohren zum Abenteuer. Es gibt auch zwischen den rheinischen Dialekten Sprach- und Artikulationsgrenzen. Die Kölner und Bonner artikulieren ihre Worte weit vorne im Mundraum, der Aachener macht das noch hinter der Gurgel“, berichtet Beikircher, der es schade findet, dass bei vielen Menschen die Dialekte und Regiolekte immer mehr in Vergessenheit geraten. „Das ist bei uns in Südtirol anders.“

Autor Cornelissen kennt dafür auch die Gründe: „Die Südtiroler sind stolz auf den eigenen Dialekt, im Rheinland schämt man sich schon mal dafür. Das bedeutet den Tod der Sprache.“ Wer allerdings durch seinen Sprachatlas blättert, erkennt ganz im Gegenteil, wie lebendig die Sprache im Rheinland ist und wie dynamisch sie sich entwickelt. „Der Atlas ist eine gute Orientierung für Immis am Wohnort und stellt ein ideales Pflichtgeschenk für Neubürger dar.“

Der Sprachatlas zeigt die Dynamik zwischen Dialekt, Normalsprache und Hochdeutsch. „Das gibt es immer wieder einen Austausch. Sprache ist kein starres Gebilde. Deshalb gibt es oft auch keine messerscharfen Sprachgrenzen, was die Karten in meinem Buch bunter macht. Es finden sich darin immer wieder Abweichungen und Varianten.“ So verwundert es auch nicht, dass sich in Krefeld sowohl das Männekes wie auch das Männeken findet. Befragt hat der Autor alle Generationen vom 16-Jährigen bis zu den 64plus-Rheinländern, von der Schulklasse bis zum Seniorenverein. „Auf den Karten habe ich einen dynamischen Sprachwandel festgehalten – das sind Momentaufnahmen, die sich durch die farbige Darstellung gut einprägen.“

Der neue Sprachatlas von Georg Cornelissen zeigt, wie Menschen im Rheinland heute tatsächlich sprechen. Wer sich durch die Texte und Karten blättert, erlebt die Vielfalt der Sprache am Rhein hautnah und unterhaltsam – vom alten Dialekt wie Platt oder Kölsch über den rheinischen Regiolekt bzw. der Umgangssprache bis zum Hochdeutschen. So bekommen Menschen ganz neue Zugänge zur rheinischen Mundart.

Verfasst wurde der Sprachatlas von einem Rheinländer, der die Sprache genauso liebt, wie die Menschen, die diese sprechen. Das Werk ist für den „Sprach-Navigator des Rheinlands“ ein anschauliches Resümee seiner mehr als 30-jährigen sprachgeografischen, sprachkartografischen und „areallinguistischen“ Arbeit als Wissenschaftler vor der eigenen Haustür.

Der Sprachatlas

Zum Autor Georg Cornelissen wurde 1954 in Kevelaer geboren und lebt seit vielen Jahren in Bonn. Nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Niederlandistik in Köln und Bonn übernahm er die Leitung des Sprachteams im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte. Der Sprachforscher hat zahlreiche Bücher und Standardwerke zur regionalen Sprachgeschichte veröffentlicht und arbeitet als Experte unter anderem für den WDR.

Zur Sprache Karten gibt es im Atlas unter anderen zu Begriffen wie dat oder wat, zu Bükske oder Böjelche (Büchlein), zu Botteram oder Bütterchen, zu Dachrinne oder Kalle, zu Schluffen oder Schluppen, zu Kitsche oder Kroos (Apfelrest bzw. Apfelkerngehäuse), zu Hubbel oder Huckel (Unebenheit auf dem Weg) sowie Taisch oder Täsch (Tasche).

Zum Buch Georg Cornelissen: dat & wat. Der Sprachatlas für das Land am Rhein zwischen Emmerich und Eifel, Greven-Verlag, 216 Seiten, 50 Karten, 28 Euro

Autor: Von Stephan Eppinger