Köln | Am 30. Oktober 1941 wurden vom Bahnhof Deutz aus 2.000 Kölner Juden ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Wer nicht schon dort starb, wurde später in Auschwitz ermordet. Nur 23 Kölner überlebten diesen Völkermord. Einer von ihnen ist Henry H. Oster, 1928 geboren. Jetzt ist seine Biografie „Rechts zum Leben, links zum Tod“ erschienen.

Fünf Jahre alt war Heinz Adolf Oster – so sein ursprünglicher Name – als bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 jeder Dritte in Köln die NSDAP und damit Adolf Hitler wählte. Es ist ausgerechnet das Datum, das Henry H. Oster mit der ersten Erinnerung an seine Kindheit verbindet.

Die Sicht des Kindes verbindet sich mit dem Wissen des Erwachsenen

Er erinnert sich , wie er mit seinem Vater, einem angesehenen Geschäftsmann, zur Wahl ging. Und damit begann auch sein Leidensweg. In seiner Autobiografie verbindet sich auf faszinierende Weise die Sicht eines kleinen Kindes und später des Jugendlichen mit dem späteren Wissen und der Erfahrung des Erwachsenen. Lakonisch und nüchtern ist seine Sprache, man kann sich ihr nicht entziehen.

Henry Oster erzählt, wie er und seine Familie langsam aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde. Wie ihm Hitlerjungen die Hose runterzogen, um mal einen Juden zu sehen, oder ihm das Fahrrad klauten, das er als Jude laut Gesetz nicht besitzen durfte. Wie eine Nachbarin sich weigerte, ihm einen entflogenen Kanarienvogel zurückzugeben, weil er Jude war. Wie es einige wenige Kölner gaben, die den Juden halfen. Wie viele es aus Angst nicht taten. Und wie die meisten voll hinter der Rassenpolitik standen.

Ein SS-Offizier entschied über Leben oder Tod

1941 dann die Deportation nach Litzmannstadt, wo sein Vater starb. Mit viel List konnten er und seine Mutter zunächst dem Abtransport nach Auschwitz entgehen, 1944 war es dann doch so weit. Nach der Ankunft in dem Vernichtungslager wurde seine Mutter sofort in die Gaskammer geschickt. Die Männer wurden aufgeteilt: Für die, die nach Einschätzung eines SS-Offizier noch arbeitsfähig waren, hier es „Nach rechts!“, für die ältere, schwächere Männer und kleine Jungen „Nach links!“ – in den Tod.

Mit brutaler Offenheit schildert Henry Oster seinen Überlebenskampf und den der Mitgefangenen, bei dem Solidarität eine seltene Ausnahme war. Dazwischen vereinzelte, absurde kleine humane Regungen des deutschen Lagerpersonals in einer Welt, die von Willkür und Brutalität der SS-Mannschaft bestimmt war.

Als die Sowjettruppen anrückten, begann der Todesmarsch nach Buchenwald

Im Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz angesichts der heranrückenden Sowjettruppen aufgelöst. Man versuchte, die Spuren des Verbrechens zu beseitigen, ein Großteil der Gefangen machte sich auf den Todesmarsch nach Westen – zuerst zu Fuß, dann mit dem Zug ins KZ Buchenwald bei Weimar. Henry Oster überlebte auch ihn, kam dort am 23. Januar 1945 an. Am 11. April wurde das Lager von US-Truppen befreit – unter den Überlebenden auch der halbverhungerte Henry Oster.

Auch die folgenden Jahre beschreibt er mit oft brutaler Offenheit. Sei es das „Aufpäppeln“ der Befreiten von Buchenwald durch US-Ärzte, seine nachgeholte Pubertät und der erste Sex mit einer Frau. Wie er von Verwandten in die USA geholt wurden und er auch dort auf Antisemitismus stieß. Wenn der Immigrant seine Hoffnung auf ein neues Leben beim Anblick der Freiheitsstatue vor New York beschreibt, sollte man diese Passage US-Präsident Trump zur Lektüre empfehlen.

Henry Oster schwor, nie wieder Deutsch zu sprechen

35 Mitglieder der Familie Oster wurden Opfer des NS-Rassenhasses. Nach seiner Ankunft in den USA hatte sich Henry Oster geschworen, nie wieder Deutsch zu sprechen, nie wieder Deutschland zu besuchen. Der Wandel kam, als er im Internet zufällig auf die Stolpersteine von Gunter Demnig stieß. Dieser hatte auch zwei für seine Eltern verlegt. Dass der Sohn die NS-Diktatur überlebt hatte, wusste bis dahin niemand in Köln.

Henry Oster meldete sich über das US-Konsulat bei der Stadt Köln. Das Büro des damaligen OB Jürgen Roters nahm Kontakt mit ihm auf und 2010 kam er auf dessen Einladung nach Köln. Besonders die Arbeit des NS-Dokumentationszentrums überzeugte ihn. Ein kleiner „Nebeneffekt“ dieser Zusammenarbeit: Es stellte sich heraus, dass die Stolpersteine für seine Eltern vor der falschen Adresse liegen, auch der Todesort für seine Mutter ist falsch. Grund dafür war das Chaos in den Akten aus der Kriegszeit. Doch soll beides nicht geändert werden – auch aus Respekt vor dem Ehepaar, dass diese Gedenksteine pflegt.

Die US-Ausgabe des Buches wurde für Deutschland überarbeitet

Der erste Besuch in Köln – ihm folgten zwei weitere – dürfte der Anstoß gewesen sein, sein Leben zu Papier zu bringen, schon seit 1970 trat der Augenarzt in den USA regelmäßig als Zeitzeuge auf. In Zusammenarbeit mit dem Journalisten Dexter Ford erschien 2014 seine Biografie „The kindness of the hangmen“ (Die Freundlichkeit der Henker).

In enger Absprache mit Henry Oster übersetzte Karola Fings vom NS-Dok dieses Buch ins Deutsche und überarbeitete dabei. So wurden Passagen gestrichen, die den US-Lesern ausführliche Hintergründe der NS-Herrschaft erklären. Stattdessen finden sich jetzt zahlreiche Fußnoten etwa zur Geschichte der Familie Oster, Erinnerungen werden in den historischen Zusammenhang eingeordnet. Manches wird auch „korrigiert“, schließlich konnte Henry Oster kein Tagebuch führen.

Onkel und Tante hatten rechtzeitig in die USA fliehen können

Außerdem finden sich Fotos von historischen Dokumenten und aus dem Familienalbum seines Onkels Herbert Haas und dessen Frau Bertie. Beide hatten rechtzeitig in die USA emigrieren können und nahmen später den Neffen auf.

Dem ersten Besuch Henry Osters in Köln folgten noch zwei weitere. Zur Vorstellung seiner Autobiografie konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht an den Rhein kommen. „Rechts zum Leben, links zum Tod“ ist das erste Buch in der „Kleinen Reihe des NS-Dokumentationszentzrums der Stadt Köln. Hier will das NS-Dok künftig Ergebnis seiner Arbeit veröffentlichen.

[infobox]„Rechts zum Leben, links zum Tod – Ein jüdischer Junge überlebt Litzmannstadt, Auschwitz und Buchenwald“ – Band 1 der „Kleinen Reihe des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Metropol-Verlag, Berlin 2019. 235 Seiten, 19 Euro

[/infobox]

Autor: Andi Goral
Foto: Henry Oster bei seinem Besuch 2011 in Köln anlässlich der Gedenkveranstaltung für die aus Köln in das Ghetto Litzmannstadt deportierten Kölner Jüdinnen und Juden. Foto: Erich Rademacher / NS-Dok