Köln | Windstille hindert das griechische Heer, von Aulis nach Troja weiter zu segeln. Erst wenn Heerführer Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfert – so das Orakel –, gibt es wieder Wind. Im Theater im Bauturm wird das antike Drama „Iphigenie in Aulis“ zum Symbol für ein vereinigtes Europa, das an der Flüchtlingsfrage zu zerbrechen droht, umfunktioniert.

Das griechische Heer steht in der Interpretation von Regisseur Kostas Papakostopoulos, das er mit dem Ensemble des Deutsch-Griechischen Theaters umsetzt, für die Europäische Union. Die Eroberung Trojas ist die Erfüllung des Traums von Einheit, Frieden, Freiheit, geschützt von den Menschenrechten. Die anfängliche Einigkeit aber wird zerstört vom Unvermögen und Unwillen, die Flüchtlinge aufzunehmen, die millionenfach aus Asien und Afrika unter Todesgefahr nach Europa aufbrechen.

Drei Frauen spielen die drei prominentesten griechischen Heeresführer

Und so sehen wir die drei prominentesten Heerführer – pikanterweise von Frauen gespielt – im Streit über eine Lösung. Da ist zunächst Agamemnon (Lisa Sophie Kusz), der noch irgendwie an Moral und Menschlichkeit glaubt und Iphigenie retten will, dann dessen Bruder Menelaos (Stephanie Meisenzahl), ein Machtpolitiker, der auch nicht davor zurückschreckt, seinen Bruder zu bespitzeln. Schließlich der hetzende Populist Odysseus (Julia Roebke).

Es ist ein Trio unterschiedlicher, kühl kalkulierter Charaktertypen, stellvertretend für reale Politiker – für welche, mögen die Zuschauer jeder für sich entscheiden. Volkes Mund tut ein rabaukiger Thomas Franke kund, dem es vor allem darum geht, weiter Schweinefleisch essen zu dürfen.

Den klassischen griechischen Chor vertreten – als Video eingespielt – Ali, Amir und Khalid. „Echte“ Flüchtlinge, die hier von ihrem Leben und ihren Träumen erzählen. Ihre Vertreterin auf der Bühne ist Terja Diava als Iphigenie. Schon in ihrem weißen Prinzessinnenkleid ist sie der optische Gegensatz zur „Männer“-Riege in den langen schwarzen Ledermänteln. Sie kommt in der Erwartung nach Aulis, dort mit Freude empfangen zu werden.

Anders als in Euripides Drama wird Iphigenie nicht von den Göttern gerettet

Doch Agamemnon schließt sich der „Staatsräson“ an, Iphigenie wird der „Einheit“ geopfert – und mit ihr nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die alten europäischen Träume. Die griechischen Feldherren sind sich wieder einig: Keine Aufnahme von Flüchtlingen, auf nach Troja! Doch als Verfechter der Menschenrechte werden sie dort nicht ankommen. Und anders als in Euripides Drama wird Iphigenie nicht von den Göttern gerettet.

Hier und da knirscht die „Aktualisierung“ des antiken Stücks, doch unterm Strich ist sie eine intelligente und gelungene Interpretationsvariante; nicht zuletzt durch eine stringente Inszenierung, die über 75 Minuten auf billige Effekte verzichtet. Kräftigen Premierenbeifall gab’s – aber wo blieben die Blumen?

[infobox]„Iphigenie“ – weitere Vorstellungen: 26. und 27. Januar (21.15 Uhr), 28. Januar (20.15 Uhr), 29. Januar (19.15 Uhr), Theater im Bauturm, Aachener Str. 24-26, 50674 Köln, www.theater-im-bauturm.de, Karten: Tel. 0221 / 52 42 42, www.off-ticket.de, www.koelnticket.de und bei allen KölnTicket-Vorverkaufsstellen

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Autor: ehu
Foto: Die Lage ist zum Verzweifeln: Heerführer Agamemnon (Lisa Sophie Kusz) weiß nicht mehr weiter und soll seine Tochter Iphigenie opfern. Foto: MeyerOriginals / TiB