Köln | Roncalli-Chef Bernhard Paul spricht im Interview über die Folgen für den Zirkus und seinen Varieté. Er appelliert an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, sich für die freie Kulturszene einzusetzen.

Wie erleben Sie gerade die Corona-Krise?

Bernhard Paul: Alle bewegen jetzt die Fragen, wie lange es dauert, wann es wieder weitergeht und wann wir wieder arbeiten können. Wir haben im Appollo Varieté in Düsseldorf 100 und im Zirkus 150 Mitarbeiter. Das Programm ist fertig, alles ist vorbereitet und alle sind da. Dass wir jetzt nichts mehr machen können, ist eine unerträgliche Situation. Ein Restaurant kann nach Hause liefern, ein Zirkus braucht genauso wie ein Theater oder eine Konzerthalle sein Publikum.

Wie gehen Sie privat mit der Bedrohung um?

Paul: Ich selbst habe mich wegen meines Alters in eine freiwillige Quarantäne begeben. Ich bin zu Hause mit der Familie, aber ich habe meinen abgetrennten Bereich und der Rest der Familie einen eigenen. Die anderen führen so weit wie möglich ein normales Leben, ich bleibe zu Hause und arbeite von dort. Meine Tochter Lili probt gerade für „Let`s Dance“ und kommt so mit vielen Menschen zusammen und hält sich deshalb von mir fern. Das ist schon eine komische Situation. Was mir ausfällt, ist, dass ich schon seit Jahren nicht mehr so ausgeschlafen bin wie jetzt. Häufig war ich früh mit dem Flieger unterwegs oder hatte sonst frühe Termine. Man kommt jetzt zur Ruhe, denkt nach und sieht viele Probleme aus einer ganz andren Perspektive.

Sie haben einen offenen Brief an Ministerpräsident Laschet verfasst?

Paul: Die Kulturszene ist immer das Stiefkind gewesen, wenn irgendwo zuerst gekürzt wird, ist es der Kulturetat. Seit dem Dritten Reich hat der Zirkus den Status eines Gewerbes und muss Gewerbesteuern zahlen. Daran hat sich bis heute nicht geändert. In der Berufsgenossenschaft laufen wir unter Gastronomie. Es kann nicht angehen, dass ein Pantomime, der sein Fach studiert hat, so eingestuft wird. Aber die deutsche Bürokratie will das so. Ich hoffe sehr, dass sich da jetzt wieder einiges zurechtrückt. Bei Armin Laschet habe ich das Gefühl, dass er hier anders denkt und dass er sehr kulturaffin ist. Schon in Aachen war er oft bei uns im Zirkus. Wir haben Glück mit so einem Ministerpräsidenten.

Wie gehen Sie mit der Krise um?

Paul: Es ist ganz klar, dass jetzt die Gesundheit der Menschen ganz oben steht. Jetzt müssen erst einmal ein Impfstoff und ein Medikament gegen das Virus gefunden werden. Sonst kann man aktuell nicht viel machen, außer neue Ideen zu entwickeln, das Fotoarchiv zu sortieren oder, wenn man das möchte, seine Memoiren zu schreiben. Das Problem, das wir aktuell haben betrifft nicht nur uns, es ist weltumspannend.

Wie gehen Sie jetzt im Zirkus und im Varieté vor?

Paul: Wir haben für alle Mitarbeiter jetzt die Kurzarbeit eingeführt und versuchen, die Freunde und Kollegen in der Krise über die Runden zu bekommen. Die internationalen Artisten und Mitarbeiter sind inzwischen zu ihren Familien gereist. Die anderen sind da und wir sorgen für sie.

Wie ist die Stimmung?

Paul: Die ist gut. Es wird weiter trainiert, allerdings mit viel Abstand und entsprechenden Zeitplänen. Wir müssen daran denken, dass es irgendwann wieder losgeht und da müssen unsere Artisten entsprechend fit sein. Die können nicht nur zu Hause sitzen und Fernsehen schauen. Wenn ich allerdings daran denke, dass wir jetzt schon drei Wochen gespielt hätten, macht mich das sehr traurig.

Am 9. April wäre die Premiere auf dem Kölner Neumarkt gewesen?

Paul: Die haben wir zunächst um einige Wochen verschoben und müssen jetzt schauen, wie es weitergeht. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Wir werden wieder spielen, das ist jetzt nicht das Ende aller Tage.

Sie bieten jetzt online Zirkus an?

Paul: Ja, es gibt ein Streamingangebot mit der kompletten Vorgängershow, was weltweit gut genutzt wird. Und wir haben online ein Angebot für Kinder in Kooperation mit deutschen Tanzschulen. Dafür gibt es auch eine eigene Musik. Man muss jetzt etwas für Kinder bieten.

Wie kann Zirkus in der Krise helfen?

Paul: Wenn man von früh bis spät nur Infos zu Corona bekommt und sich da auch noch die Meinungen widersprechen, hält man das nicht sehr lange aus. Es gibt ein Menschenrecht auf Unterhaltung, um einmal abschalten zu können. Ich merke selbst, wenn ich jetzt einmal einen alten Film schaue, wie gut das tut.

Wie wird sich unsere Gesellschaft durch Corona verändern?

Paul: Nichts wird mehr so sein wie vorher. Ich hoffe, dass die Krise nicht nur genutzt wird, um Menschen mehr zu kontrollieren und um die Steuern zu erhöhen. Man sieht gerade, wie sich die Umwelt durch den Stillstand der Industrie verändert. Da sollte man doch vielleicht bisherige Positionen überdenken und das Positive aus der Krise mit in die Zeit danach mitnehmen. Ich hoffe sehr, dass wir Menschen aus der Krise lernen werden.

Welche Tipps haben Sie für unsere Leser, wenn es darum geht, die Zwangspause sinnvoll zu nutzen?

Paul: Man sollte die Zeit zum Nachdenken nutzen. Man sollte aufräumen – in der Seele, im Kopf und auch in der Wohnung. Man sollte seine Zukunft planen und sich eine Liste von positiven und negativen Dingen machen, die man nach der Krise angehen kann.

Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: Circus-Theater Roncalli