Köln | Köln hat das volkstümliche Hänneschen-Theater. Und seit fünf Jahren – seit Stefan Bachmann Intendant ist – auch ein Puppenensemble am Schauspiel. Dort führt Moritz Sostmann Regie. Der liefert jetzt mit „Bewohner“ seine bislang wohl beste Produktion. Und das zum heiklen Thema Demenz. Das Premierenpublikum lohnte es nach knapp 100 Minuten mit begeistertem Beifall.

Was geht im Kopf eines Menschen vor, der seine Erinnerungen verloren hat? Der nicht mehr mit den anderen kommunizieren kann? Wie müssen die leben, die sich kein teures Privatheim leisten können? Welchem Stress sind Angehörige und Pflegepersonal ausgesetzt? Es ist ein komplexes und sehr aktuelles Thema, für viele auch ein Tabu-Thema. Sostmann und die Puppenspieler Magdalena Schlott, Anna Menzel, Christoph Levermann, Gabriele Hänel und Sebastian Fortak greifen es mit äußerster Sensibilität und Feingefühl auf.

Überhaupt – sind es Kranke, sind es Patienten? „Bewohner“ sei ihm das liebste Wort, sagt der Schweizer Gerontopsychiaters Christoph Held, der seine Beobachtungen und Porträts im gleichnamigen Buch festgehalten hat – Grundlage für diese Inszenierung. Held tritt selber als Puppe auf, beschreibt und kommentiert den Auftritt der Bewohner.

Der Junkie rechnet mit dem kapitalistischen Gesundheitssystem ab

Es beginnt mit der Schauspielerin, die schon auf der Bühne ihren Text vergaß – und dabei so „überzeugend“ wirkte, dass diese Szene fest in die Inszenierung übernommen wurde. Da ist der ehemalige selbstherrliche Verwaltungschef, dem nun die Worte fehlen und der nur noch mit Aggressionen reagieren kann. Der ehemalige Protest-Junkie, der nicht auf seinen Alkohol verzichten kann und immer noch mit dem kapitalistischen Gesundheitssystem abrechnet und seine Tochter an die Front schickt, wenn es um „Missstände“ im Pflegeheim geht. Die Italienerin – einst Putzfrau, dann erfolgreiche Gastronomin – verweigert sich ihrer Muttersprache und spricht nur noch Deutsch. Schließlich ist da noch die Frau, die sich für Tor hält und ständig für Unruhe auf der Station sorgt.

Die Menschen führen – für alle sichtbar – die Puppen und treten selber als betroffene Pfleger auf. Und auch wenn die Puppen, geschaffen von Hagen Tilp, keine Miene verziehen können, zeigen sie Gefühle wie Angst, Wut aber auch Freude. Der Junkie sorgt für die komischen Momente, daneben stehen solche, die das Publikum verstören, es verschrecken, es mitleiden lassen. Auch Szenen der Zärtlichkeit. Etwa wenn ein Pfleger die depressive „tote“ Patientin hart an der Grenze zur Übergriffigkeit badet. Sie genießt es sichtlich – und stürzt sich kurz darauf aus dem Fenster.

Die Puppenspieler treten als Pfleger auch in „eigener“ Sache auf

Das Spiel der Puppen schützt davor, dass die Bewohner zu Karikaturen werden. Ihnen respektvoll zu begegnen, fällt leichter. Zugleich macht es erträglich, was den Menschen Angst und Ekel bereitet. Dafür steht als Puppe die Ehefrau des Verwaltungschefs. Ihr erklärt ein Pfleger, wie sie ihrem Mann mit dem Finger „rektale Entleerungshilfe“ leisten kann – bis sich der Kot in einem schwarzen Schwall auf den Boden ergießt.

Die Puppenspieler reden als Pfleger auch in „eigener“ Sache: klagen über Stress, Zeitmangel, schlechte Bezahlung, über Angehörige, die sofort mit dem Rechtsanwalt oder der „Öffentlichkeit“ drohen, wenn bei der Pflege etwas nicht so läuft, wie sie es wollen. Nicht nur an solchen Stellen zeigt „Bewohner“ seine Aktualität.

„Bewohner“ – die nächsten Vorstellungen: 21., 22., 28. und 29. September, jeweils 20 Uhr. Schauspiel Köln, Außenspielstätte am Offenbachplatz, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, E-Mail: tickets@buehnenkoeln.de, dazu alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße.

Autor: ehu
Foto: Eine Szene großer Zärtlichkeit: Magda Lena Schlott und Christoph Levermann mit der „Bewohner“-Puppe, die kurz darauf Selbstmord begeht. Foto: Thomas Aurin / Schauspiel