Köln | _ Hauptsache „sachbezogen“ – dann darf man eine Politikerin als „Drecksfotze“ oder „Stück Scheiße“ bezeichnen, ihr den Tod wünschen. Dieses jüngste Urteil des Berliner Landgerichts nach einer Klage der Grünen-Politikerin Renate Künast macht den Weg frei für Hasstiraden nicht nur im Internet. Und es gibt Thomas Jonigks Inszenierung „Gegen den Hass“ nach dem Buch von Carolin Emcke im Schauspiel eine ungeplante, gleichwohl willkommene Aktualität.

Carolin Emcke – sie erhielt unter anderem für dieses Buch 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – sucht nach einer Antwort, warum es in den letzten Jahren vermehrt vor allem zu rassistischen Gewalttaten kommt. Sie setzt sich unter anderem mit den rechtsextremen Ausschreitungen in Clausnitz auseinander: 2016 verhinderte eine aufgebrachte Menschenmenge die Zufahrt eines Busses, der Flüchtlinge zur Unterbringung in eine leerstehende Fabrik bringen sollte.

Als zweites Beispiel schildert sie die grundlose Festnahme eines Schwarzen durch offensichtlich rassistische weiße Polizisten in Staten Island/New York. Einer erwürgt den Unschuldigen durch einen Polizeigriff. Rechtliche Folgen hatte es keine.

Mitreißendes Spiel und wissenschaftliche Erklärungsversuche

Eine fassungslose Emcke sucht Antworten in psychologischen, soziologischen und politischen Erklärungen. Doch während man diese im Buch nach eigenem Lesetempo nachvollziehen kann, wird der Zuschauer im Theater mit der Geschwindigkeit der Vortragenden allein gelassen – „zurückhören“ ist hier nicht möglich. Ein Dilemma, dem auch Jonigk bei seiner wortgetreuen Inszenierung nicht immer gerecht werden kann.

Doch fängt er dies durch eindrückliche Bilder und dem mitreißenden Spiel der fünf Darsteller auf. Eine quer über die Bühne laufende weiße Wand wird mal nach vorn, mal nach hinten geschoben. So wie die Diskussionen mal offen, mal verengt verlaufen.

Vom Bestattungsinstitut nach Clausnitz und New York

Die gut zweistündige Inszenierung beginnt mit einer Szene in einem Bestattungsinstitut. Auf dem Tisch eine nackte Leiche (Justus Maier), offensichtlich Opfer einer Hassattacke. Und während Kristin Steffen, Jörg Ratjen und Stefko Hanushevsky als Ärzte und Bestatter über mögliche Hintergründe diskutieren, springt der Tote plötzlich auf bringt seine persönliche Opfersicht auf die Bühne.

Eindrucksvoll auch die „Rekonstruktion“ der Ausschreitungen in Clausnitz. Während vom Band die Parole „Wir sind das Volk“ immer lauter dröhnt, wird vor einer weißen Wand nicht nur das Geschehen beschrieben, es werden auch die richtigen Fragen gestellt: Warum ist die Polizei nicht eingeschritten, wo waren die Gegendemonstranten? Fragen, die schon damals nicht beantwortet wurden.

Dann der Fall des Eric Garner. Ein Passant hat die Festnahme mit seinem Handy aufgenommen. Mit verschwommenen gemalten Bildern im Großformat wird das Geschehen abgebildet und kommentiert. Auch hier wird wieder der Blick auf die gelenkt, die dabei waren und nicht eingeschritten sind: Polizeikollegen, die Justiz, die Passanten – auch die Zuschauer?

Schließlich schickt Junigk sein Team – dazu gehört auch Julius Ferdinand Brauer – noch als Astronauten ins luftleere All der Demokratie und als Schwein und Bär auf die Bühne. Zum Schluss legen sie einen wilden Tanz auf die Bretter – bis ihnen der Stecker gezogen wird. Mit einem Knall wird es dunkel – und das Premierenpublikum belohnt alle an dieser Uraufführung Beteiligten mit langem Applaus.

[infobox]„Gegen den Hass“ – die nächsten Vorstellungen: 24. September, 1., 10., 16., 23. und 26. Oktober, jeweils 20 Uhr. Schauspiel Köln, Depot 2 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49. Tickets online bestellen; Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße

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Autor: ehu | Foto: Thomas Aurin / Schauspiel
Foto: Im Meinungsstreit verfangen: Jörg Ratjen und Stefko Hanushevsky (vorne) und Justus Maier und Kristin Steffen (hinten). | Foto: Thomas Aurin / Schauspiel