Köln | Fabrik und die Wohnung der Eltern: Zwischen diesen beiden Polen lebt Iris ihr monotones graues Leben. Glück findet sie in billigen Liebesromanen – bis sie ein rotes Kleid entdeckt und sich verliebt. Doch das Glück ist kurz und endet dramatisch. Das Freie Werkstatt-Theater zeigt jetzt die Bühnenfassung des Film-Klassikers „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ von Aki Kaurismäki.

Schon vor Vorstellungsbeginn hören die Zuschauer im Foyer lautes Rauschen: Es sind die Laufbänder, auf denen die beiden Darsteller auf der Stelle treten – Sinnbild für das Eingebundensein in die Fließbandarbeit. In exakten, genau bemessenen Schritten bewegen sie sich durch die Fabrik, stempeln sich ein und aus. Dabei scheint sogar ein bisschen Stolz auf die Produktion der Streichhölzer durch.

Eine strenge Inszenierung auf sparsam möblierter Bühne

Vorweg: Die Inszenierung von Simina German hält sich im Wesentlichen an die Vorlage. Da das Theater aber nicht die technischen und bildlichen Möglichkeiten des Films hat, greift sie zum Trick des Erzählens: Diese Rolle übernimmt Michael Knöfler (und zugleich die der „Zeitgenossen“ der Titelheldin: Vater und Mutter, Geliebter, Arbeitskollegin, Apotheker). Wie ein Moderator führt er durchs die Geschichte, ruhig und unaufgeregt, nur selten – wenn es die Rolle erfordert – laut und energisch. Hauptdarstellerin Pia Wagner als Iris gibt er ab und zu sogar „Regieanweisung“. Das Ergebnis ist eine strenge, düstere Inszenierung auf einer sparsam möblierten Bühne.

Pia Wagner beherrscht die Szene, dafür reichen ihr Körperhaltung und Mimik, sparsam eingesetzt, dadurch um so eindringlicher: Abstumpfung, Verzweiflung, Glückseligkeit, Verliebtheit, Wut – alles spiegelt sich in ihrem Gesicht und fängt die Sympathie der Zuschauer. Iris ist eine Marionette des Schicksals, gefangen in Konventionen und familiären Verpflichtungen.

Sie lässt Knöfler für sich sprechen. Erst als sie aus dem Alltagstrott ausbricht, sich ihre heimlichen Träume erfüllt, spricht sie selber. Sie bringt den Mut auf, sich das rote Kleid zu kaufen, besucht eine Disco, bleibt endlich nicht mehr das Mauerblümchen und erobert Aarne. Auf Wolke 7 läuft sie beschwingt quer durch die Fabrik statt im Maschinenschritt auf den vorgeschriebenen Wegen.

Das Glück ist nur ein One-Night-Stand – mit tödlichen Folgen

Doch das Glück ist nur ein One-Night-Stand, Aarne will nichts von ihr wissen. Als sie von ihm schwanger wird, wird sie von ihren Eltern, deren „Hausangestellte“ sie war, als „Hure“ aus dem Haus geschmissen. Aarne verlangt kategorisch die Abtreibung, will nichts von ihr wissen. Seine Forderung wird durch Echo-Effekte zu einer wilden, bedrohlichen Kakophonie. Ein weiteres Kunststück von Yotam Schlezinger, der – verantwortlich für die Musik – wie ein Barkeeper hinter dem Tresen das Geschehen „überwacht“ und musikalisch kommentiert.

Iris rennt in ihrer stillen Verzweiflung vor ein Auto. Sie verliert das Kind. Wieder aus dem Krankenhaus, besorgt sie sich Rattengift: Erst müssen ihre Eltern dran glauben, dann Aarne, schließlich sie selber. Und das ist anders als im Film, wo sie von der Polizei abgeführt wird. Aber – nach 70 spannenden, mitreißenden, sinnlichen, berührenden und eindringlichen Minuten – ein durchaus stimmiges Ende.

[infobox]„Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ – die nächsten Vorstellungen: 11. und 12. Februar, jeweils 20 Uhr, Freies Werkstatt-Theater, Zugweg 10, 50677 Köln, www.fwt-koeln.de. Da die Zuschauerzahl beschränkt ist, gibt es die Karten nur im Vorverkauf über die Theaterkasse: Tel. 0221 / 32 78 17, E-Mail: fwt-koeln@t-online.de

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Autor: ehu | Foto: MeyerOriginals / FWT
Foto: Ein beengtes Leben: Für Iris (Pia Wagner) muss in der elterlichen Wohnung der Tisch als Bett dienen.