Köln | So wie Anton Tschechows Kirschgarten abgeholzt werden soll, so wird auch die Spielstätte in der Kleingedankstraße plattgemacht, um Platz für Luxuswohnungen zu machen. Regisseur und Intendant Heinz Simon Keller inszeniert mit „Kirschgarten oder der Letzte macht das Licht aus“ im Theater der Keller wenig subtil, doch das Publikum ist am Ende der Premiere so begeistert, als wäre es das Abschlusskonzert eines Popstars.

Gentrifizierung. Ein Schreckenswort, das überall herumspukt, und das sofort Emotionen weckt. So auch in der Südstadt, wo das Theater der Keller im kommenden Sommer ausziehen muss. Nach 45 Jahren in einer ehemaligen Entbindungsklinik in der Kleingedankstraße muss das Theater Luxuswohnungen weichen. Trauer über den Rauswurf des etablierten Privattheaters, Hass auf die Investoren, Mitleid mit den Schauspielern: Die Gentrifizierung kennt nur die Guten und die Schlechten.

Und dann die Eröffnung der letzten Spielzeit an diesem Ort, mit Anton Tschechows „Kirschgarten“. Sagt schon alles aus, könnte man meinen. Ein Stück, in dem der Kirschgarten einer verschuldeten Familie abgeholzt werden soll, um darauf Ferienhäuser zu errichten. Die Parallelen sind mehr als offenkundig.

Die Schauspieler und ihre Allüren – ganz neu ist das nicht

Doch das scheint Regisseur und Intendant Heinz Simon Keller nicht zu reichen. Er inszeniert das Werk als Stück im Stück. Es beginnt konventionell, die traurigen Töne auf dem Akkordeon der Pflegetochter Warja (Masha Shafit) sind Klagelieder auf Russisch. Sie weisen den Weg, genau wie die dunkle, spartanisch eingerichtete Bühne von Tobias Flemming. Der Kaufmann Jermolaj Alexejewitsch Lopachin (Jean-Luc Bubert) hat Großes vor mit dem alten Kirschgarten, er sieht den Rubel bereits rollen. Die Gutsbesitzerin Ljubow (Kerstin Thielemann) und ihre Tochter Anja (Erika Jell) können und wollen das nicht wahrhaben, ihr Herz hängt doch so sehr an dem Garten.

Und dann spielt Heinz Simon Keller sich selbst. Lange saß er fast unbemerkt in der ersten Reihe, er ist Regisseur der Inszenierung, und gibt Anweisungen. Redet vom Subtext, von gestrichenen Rollen, das Ganze wird zum Werkstatt-Stück, in dem sich die Schauspieler untereinander aufregen, der Regisseur wutentbrannt die Probebühne verlässt, alle ihre typischen Allüren präsentieren – ganz neu ist das Konzept nicht, und es überzeugt auch nur selten.

Der schwierige Grat zwischen Betroffenheit und Selbstmitleid

Man hört einen Presslufthammer, ein Rohr bricht, ausgerechnet über dem Kaufmann Jermolaj – das Publikum tobt und freut sich über die Bestrafung. Von Tschechows Kirschgarten ist kaum mehr etwas übrig, vielmehr ist Heinz Simon Keller jetzt er selbst: „Ich habe mich in ihr Theater verliebt und ich mache drei Wohnungen daraus“, habe der Investor ihm erzählt. „Es ist alt, eng, dreckig, aber ich hänge daran – und ich gehe hier nicht raus“, so seine Antwort zum Publikum. Der Grat zwischen Betroffenheit und Selbstmitleid ist schmal, und nicht immer wird hier die richtige Balance gefunden.

Denn die Parallelen des Kirschgartens und des Theaters sind so offenkundig, dass die Kritik auch subtiler hätte vermittelt werden können. Lustig ist die Tragikomödie hier sowieso nur durch den Werkstattcharakter (und auch dann nur stellenweise), Tschechows Komik wird völlig beiseite gekehrt.

Immerhin die Gutsbesitzerin Ljubow (oder Kerstin Thielemann als sie selbst) erkennt die Chancen der Veränderung: Das Theater werde doch sowieso seit zehn Jahren geschlossen, und eine Lösung gab es immer. Eine neue Spielstätte könnte geräumiger sein, eine Klimaanlage haben (die es auch an diesem Abend dringend nötig gehabt hätte), ganz neue Möglichkeiten bieten. Sie ist es auch, die sagt: „Das alles hier ist rudimentär.“ Wie Recht sie hat.

„Kirschgarten oder der Letzte macht das Licht aus“ – die nächsten Vorstellungen: 14., 15., 21., 22. September, 5., 6. (19 Uhr), 12., 14. Oktober, jeweils 20 Uhr . Theater der Keller, Kleingedankstr. 6, 50677 Köln.

Autor: Fabian Schäfer
Foto: Düstere Aussichten für den „Kirschgarten“ und das Theater mit Masha Shafit als Warja, Jean-Luc Bubert (Jermolaj) und Heinz Simon Keller (von links). Foto: MeyerOriginals