Köln | Und jetzt? Die Frage stellen sich aktuelle viele, nicht nur in Thüringen. Im Freien Werkstatt-Theater hat man sich die Frage schon vor Wochen gestellt und sie dann zum Motto der neuen Spielzeit gemacht. Welche Antworten die neuen Produktionen geben, stellten Hausherr Gerhard Seidel und Dramaturg Guido Rademachers vor.

Und jetzt – das heißt erst einmal Neuanfang nach gut vier Monaten Bauzeit. Das Publikum sieht davon den kleinsten Teil: frisch gestrichene weiße Wände im Foyer und eine Trennwand vor Garderobe und Toiletten. Das meiste – unter anderem ein neuer Notausgang – geschah im hinteren Teil des Hinterhauses statt.

Einen höheren sechsstelligen Betrag kostete die Anpassung an neue Brandschutzvorschriften, gezahlt von der Stadt als Eigentümerin des Gebäudes. Immerhin wurde alles termingerecht fertigt, bilanziert Seidel. Die Spielzeit fängt allerdings – geplant – später an als bei der Konkurrenz. Nämlich erst am 22. November.

Das neue Programm sucht Antworten auf die Frage „Und jetzt?“

Und jetzt? „Wir leben in einer Zeit des Wandels. Parteien lösen sich auf, die ökonomische und ökologische Krise schreitet voran. Doch wir können nur erahnen, was passieren wird“, erklärt Rademachers. „Stattdessen leben wir schlafwandlerisch weiter.“ In den neuen Stücken soll das eigene Tun am Beispiel aktueller Themen hinterfragt werden. Theater biete sich dazu ganz besonders an, denn „es ist die einzige Kunstform, in der der Mensch nicht nur Gegenstand, sondern auch Material ist“. Nun müsse es vom Leben der Menschen in dieser Zeit verzählen.

Den Anfang macht „Null Komma irgendwas“ – eine deutsche Erstaufführung nach dem Roman der Rumänin Lavinia Braniste: die Geschichte einer jungen Frau zwischen der Ungewissheit ihres Jobs, dem Frust einer Wochenendliebe und einem hochkapitalistischen Alltagsleben.

Die Killer-Schwestern sehen das Land mit feministischen Blick

Ein feministisches Manifest ist „Revolt. She said. Revolt Again“, eine FWT-Eigenproduktion, inszeniert von Killer & Killer, den beiden Schwestern Sophie und Thalia Killer, die im Vorjahr den Kunstsalon-Theaterpreis gewannen. „Eine Reise durch den Alltag von Frauen, die daran erinnert, wie tief unsere Sprache, unsere Sitten, all unsere grundlegenden Vorstellungen von Arbeit und Privatleben vom Erbe der Gewalt durchdrungen sind“, so das Versprechen.

Auch wenn man nicht auf Theaterklassiker zurückgreifen will, an Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ kam man beid er Programmplanung nicht vorbei. Allerdings wird er hier mit dem – auch verfilmten – Roman „Cosmopolis“ verknüpft. Darin muss der Globalisierungsstratege Antonio erfahren, dass Geld nicht glücklich macht, sondern melancholisch. „Ein Gedanke, den auch Shakespeare aufgreift, dann aber nicht weiter verfolgt“, verspricht Seidel einen Mehrwert.

Zwei neue Kinder- und Jugendstücke wird es geben: Subbotnik beendet mit „Götter. Helden. Städte“ seine Antiken-Trilogie; in einer Koproduktion mit pulk fiktion, FWT & FFT Düsseldorf sowie dem Theater an der Ruhr wird das Kinderbuch „Hieronymus“ dramatisiert. Günter Schwanenberg wird die 10. Ausgabe seiner „Musikalischen Stadtgeschichten“ vorstellen. Wiederaufgenommen wird unter anderem der Dauerbrenner „Der Nazi und der Friseur“ und „Für immer schön“, deren Hauptdarstellerin Fiona Metscher 2018 zur besten Schauspielerin gekürt wurde.

FWT und Orangerie-Theater wollen enger zusammenarbeiten

Enger zusammenarbeiten wollen Freies Werkstatt Theater und Orangerie-Theater. Das Projekt ist zunächst auf vier Jahre angelegt. In dieser Spielzeit wird man sich vor allem finanziell gegenseitig bei zwei Produktionen unterstützen. Im FWT kommt im Dezemeber die Performance „These Magnificent Bodies“ zur Aufführung, eine Koproduktion der beiden neuen Partner und dem theater wrede+ aus Oldenburg. Im Orangerie-Theater inszenieren im Mai 2020 Killer & Killer „Frau lacht laut“.

Gerhard Seidel und Orangerie-Geschäftsführer Marko Berger erhoffen sich nicht nur Synergieeffekte, sondern auch bessere Möglichkeiten für Gastspiele Kölner Gruppen und damit bessere Werbung für die Freie Theaterszene außerhalb der Domstadt.

Autor: ehu
Foto: Vier Monate dauerten die Bauarbeiten im Freien Werkstatt-Theater: Den Zuschauern fällt vor allem die neue Trennwand zwischen Foyer und Garderobe und Toiletten ins Auge.