Köln | „Lüge und Wahrheit“ – unter dieses Motto stellt das freie Werkstatt-Theater die Spielzeit 2017/18. Ein ewiges Streitthema, doch in Zeiten von Fakenews und „alternativen Wahrheiten“ aktuell wie selten. Mit „Last Night in Sweden – oder Donald Trump und die Kunst des Wrestlings“ eröffnete es jetzt die neue Saison – und setzt mit der glänzenden Eigenproduktion gleich ein Versprechen für den Rest der Spielzeit.

Es beginnt mit einer dunklen Bühne, zu erahnen sind vier Personen an einem Tisch. Zu hören ist Gemurmel. Es geht um Prometheus, der den Menschen das Feuer und damit das Licht zur Erkenntnis schenkte. Um Io, die Geliebte des Zeus, der sie in eine Kuh verwandelte. Es handelt sich, so erfährt das Publikum, um die „Rekonstruktion“ eines Gesprächs zur Vorbereitung eines neuen Stücks: Wie lassen sich die antiken Gestalten ins Heute übertragen?

Ist Theater nur Theater oder doch manchmal Realität?

Schnell landet man im Heute, das Licht geht an und es stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist Theater nur Theater oder doch Realität? Kann ein Schauspieler auf der Bühne echte Gefühle zeigen – oder ist das doch immer nur vom Textbuch vorgeschrieben? Der Schauspieler mag das erkennen können – oder an der Antwortsuche verzweifeln. Das Publikum muss raten.

Grandios torkelt Fiona Metscher – selbstkritisch, selbstironisch – zwischen den beiden Ebenen hin und her. Und während sie verzweifelt eine Antwort sucht, fesselt neben ihr Anton Schieffer das Publikum als Pantomime. Wenn er pausenlos und monoton am unsichtbaren Fließband etwas Unsichtbares zusammensetzt – dann setzt sich im Kopf des Publikums sein Tun zu einem „realen“ Bild zusammen, vielleicht durch die Erinnerung an Charlie Chaplin in „Moderne Zeiten“ hervorgerufen.

Live-TV-Bilder erlauben es, ganz nah am Geschehen zu sein

Und wenn das Bühnengeschehen per Kamera (Kai Gusseck) live auf Monitore übertragen wird, dann wird auch damit die Frage gestellt: Was ist näher dran an der Wahrheit, der Wirklichkeit – der kleine Mensch auf der Bühne oder sein vergrößertes Abbild, das auch dem Zuschauer in der letzten Reihe erlaubt, „ganz nah“ dabei zu sein?

Unter der Regie von Guido Rademachers (auch Autor des Stücks) erlebt Theaterchef Gerhard Seidel nach 20 Jahren sein Bühnen-Comeback: Im knallroten Anzug moderiert er die Lüge-Wahrheit-Show. Dazu gehört auch ein kurzer Wrestling-Kampf zwischen Metscher und Schieffer. Wrestling ist spannende Unterhaltung, aber jeder weiß: Alles ist abgesprochen. Also: „Wo ist die Lüge, wenn alle das wissen?“.

„What happened last night in Sweden?“ – Nichts, was Trump suggerierte

Und schließlich darf Trump nicht fehlen. Mit Lust und Laune wird sein dramatischer Hinweis auseinander genommen, mit dem er am 18. Februar dieses Jahres auf das verwies, „what happened last night in Sweden“. Nichts geschah damals in Schweden, jedenfalls kein Terroranschlag, den Trump suggerierte. Vielen dürfte das egal gewesen sein.

Am Schluss träumen Metscher und Schieffer davon, dass das Bühnenlicht verlöscht und keiner weiß, ob das Stück zu Ende ist. Ja – nach 100 dichten, unterhaltsamen und geistreichen Minuten ging das Licht aus. Das Publikum war vom Ende des Stücks überzeugt und spendete viel Premierenapplaus. Oder geht das Stück um Lüge und Wahrheit doch weiter, außerhalb des Theaters?

„Last Night in Sweden – oder Donald Trump und die Kunst des Wrestlings“ – die nächsten Termine: 22., 23. und 30. September, 1. und 22. Oktober, Freies Werkstatt-Theater, Freies Werkstatt-Theater, Zugweg 10, 50677 Köln, Tel. 02 21 / 32 78 17, www.fwt-koeln.de.

Autor: ehu | Foto: MeyerOriginals / FWT
Foto: Anton Schieffer und Fiona Metscher erkunden im Freien Werkstatt-Theater die Abgründe zwischen Lüge und Wahrheit. | Foto: MeyerOriginals / FWT