Köln | Wenn er sich mit gegnerischen Hoologans prügeln kann, fühlt sich Heiko stark und von der Gruppe anerkannt. Doch eigentlich ist er eine einsame arme Sau. Wie aus ihm wurde, was er ist, schildert Philipp Winkler in seinem Erfolgsroman „Hool“. Der wirkt auch auf der Bühne – jetzt hatte das Theaterstück im Kölner Schauspiel Premiere.

Es ist eine Gegenwelt der Gewalt, die Regisseur Nuran David Calis im Depot 2 mit unausweichlicher und packender Folgerichtigkeit vorstellt. Eine Welt, gesteuert von Testosteron und Adrenalin, von der Sehnsucht nach Anerkennung, nach Dazugehören, nach Geborgensein.

Wie ein Puzzle wird die Biografie von Heiko zusammengesetzt

Wie ein Puzzle wird die Biografie von Heiko erzählt, vor und zurück und vor und zurück geht es auf der Zeitschiene. Unterm Strich mehr Tiefen als Höhen. Die Mutter hat die Familie verlassen, den alkoholsüchtigen Vater, Sohn und Tochter. Zweimal ist Heiko durchs Abitur gefallen. Die Ausbildung als Krankenpfleger hat er nicht gepackt. Die Liebe zu einer drogensüchtigen Krankenschwester ging schief. Nun arbeitet er als Mädchen für alles in der Mucki-Bude seines Onkels Axel, soll sie sogar einmal übernehmen.

Schon als Kind hat ihm sein Vater die Liebe zum Fußball eingepflanzt, speziell zum Heimatverein Hannover 96. Doch volle Stadien und die Currywurst in der Pause sind nicht sein Ding: Der junge Mann verabredet sich lieber mit seiner Hooligan-Truppe abseits des Spielgeschehens zur Schlägerei mit den Hooligans der gegnerischen Mannschaft.

Drei Schauspieler teilen sich abwechselnd die Hauptrolle

Daron Yates, Justus Maier und Simon Kirsch teilen sich abwechselnd die Rolle des Heiko (und übernehmen noch andere Personen – wobei die Frauen eher nur als Perückenträgerinnen oder Schaufensterpuppen vortkommen). Dabei übernimmt Justus Maier – auch real der Jüngste des Trios – eher den jüngeren Titelhelden. Alle tragen die gleichen Tätowierungen, alle zeigen – durchaus ein ästhetischer Anblick – wohlproportionierte Muskeln und Waschbrettbauch. Alle mit fast monströser Bühnenpräsenz, glaubhaft in jeder Szene und kraftgeladen. Jedem möchte man auch eine gekonnte reale Schlägerei zutrauen.

Doch auf der Bühne gibt es nur einen eher müden Ringkampf und Heikos Freund Kai wird eine Flasche Theaterblut übers Gesicht gekippt. Und der aufgebaute Boxring dient eher als Erholungszone. Trotzdem flirrt die Luft vor Gewalt – und das allein durch Worte. Wenn eine Prügelei kommentiert wird, schreit sich Heiko die Seele aus dem Leib, kommentiert jeden einzelnen Schlag. Dagegen ist Herbert Zimmermanns Radioreportage vom Fußball-WM-Endspiel 1954 ein lahmer Märchenvortrag.

Röhrende Bässe lassen auch das Publikum vibrieren

Dem kann sich der Zuschauer nicht entziehen. Hautnah ist er dabei, wenn die Gesichter der Darsteller überlebensgroß auf zwei Leinwände übertragen werden. Angetrieben und untermalt wird das Stück von Musik, die stellenweise mit röhrenden Bässen die Vibrationen des Bühnengeschehens auch das Publikum vibrieren lässt

Mit der Verabredung gegen die Hooligans aus Braunschweig wollen die Hannoveraner „Geschichte schreiben“. Das geht fürchterlich schief: Heikos Freund Kai wird ins Koma geprügelt. Als er endlich daraus aufwacht, steigt er aus der Hooligan-Szene aus. Ein Weg, den auch Heiko gehen könnte. Doch der lehnt ab.

Nach gut 100 Minuten endet der beklemmende Blick in eine Szene, die den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern wohl nur aus den Medien bekannt ist. Eine Szene, für die Heiko nicht unbedingt der typische Vertreter ist – oder doch? Am Schluss spendete das überraschend junge Premierenpublikum begeisterten Beifall.

[infobox]„Hool“ – die nächsten Vorstellungen: 21. und 29. Dezember, 3., 9., 16., 19., 26. und 30. Januar, jeweils 20 Uhr, Schauspiel Köln, Depot 2 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, dazu alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße. 

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Autor: ehu | Foto: David Baltzer / Schauspiel
Foto: Justus Maier (l.) und Daron Yates in „Hool“: Nur einmal fließt das Theaterblut – das aber gewaltig.