Köln | Seit 28 Jahren ist es Tradition: Am ersten Dezember-Montag feiert Kölns freie Theater-Szene sich und ihre Besten. Denn dann lädt die SK-Stiftung Kultur ins Komed-Haus zur Verleihung der Kölner Theaterpreise. Und manchmal mischen sich auch ein paar kritische Töne in die Feierfreude – wie auch diesmal von Hausherr und Moderator Hans-Georg Bögner.

Es waren nur wenige Worte, als er auf die drastische Kürzung der Fördermittel für die Akademie der Künste der Welt anspielte. Zu politischen Entscheidungen wolle er sich nicht äußern, aber Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach versüßte die Stimmung später, als sie eine Erhöhung der Fördermittel für die gesamte freie Kulturszene ankündigte.

Insgesamt wurden 31.100 Euro Preisgelder verteilt. Weit über 100 Produktionen, die in diesem Jahr bis Mitte November Premiere hatten, haben sich die Jurys angeschaut. Für „unterhaltsame Auflockerung“ sorgten die Cellistin Lih Qun Wong und der akrobatische Tänzer Vinzenz Wagner. Bemerkenswert die Fairness freien Theaterszene, die lautstark und anhaltend auch der siegreichen „Konkurrenz“ applaudierte. Diesen „Enthusiasmus“ wünschte sich auch der GAG-Vorstand bei seinen Mitarbeitern. Ob er damit das Betriebsklima oder den Facharbeitermangel meinte, blieb offen.

Asim Odobasic ist der beste Nachwuchsschauspieler

Als erstes wurde diesmal der beste Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet. Nominiert waren Nina Alena Ruhz, Thekla Viloo Fliesberg und Asim Odobasic. Odobasic gewann Geld, Urkunde und die Skulptur, „Puck“ genannt. Er war der Jury vor allem als Aaron in Shakespeares „Titus“ aufgefallen (Koproduktion von Tim Mrosek, Orangerie und Theater-Akademie Köln). Die Laudatio listete auf, was ein guter Schauspieler haben muss – etwa körperliche Präsenz, Kontakt zum Publikum, Wahrnehmung der Mitspieler, eigene und ansprechende Bühnenpräsenz, natürliche Körperlichkeit facettenreiche Stimme und noch mehr. Fazit: „Asim Odobasic hat alle diese Eigenschaften“.

Und zufrieden wurde festgestellt, dass er statt – wie ursprünglich geplant – Maschinenbau dann doch Schauspiel studiert habe. Was er mit dem Preisgeld machen wird, weiß Odobasic noch nicht, aber: „Ein freier Schauspieler kann immer Geld gebrauchen.“.

„Caput VIII – Heine in Müllem“: bestes politisches Theater

Als bestes politisches Theaterstück wurde „Caput VIII – Heine in Müllem“ ausgezeichnet: Eine „theatrale Stadtteilerforschung rund um die Mülheimer Brücke mit Musik und Projektion“. In der Jury-begrümndung heißt es unter anderem: Die Koproduktion von distriktneun und wehrtheater schafft mit geringen, aber pointiert eingesetzten Mitteln ein lehrreiche-intensives Theatererlebnis im Stadtraum, das den Dichter Heinrich Heine in unerwarteter Aktualität nahebringt.“ Zugleich erfahre der in Mülheim an vielen Stellen bedürftige öffentliche Raum eine unmittelbare Belebung.

Von dieser Produktion gibt es neben der open-air-Version auch eine für geschlossene Räume, die noch in diesem Dezember und Januar angeboten werden soll.

Der „Kurt-Hackenberg-Preis“ für das beste politische Theaterstück wurde von der Freien Volksbühne gestiftet. Weil er in diesem Jahr zum 10. Mal verliehen wurde, wurde das Preisgeld von 2,500 Euro aus eigenen Mitteln aufgebracht. Für das nächste Jahre wird wieder ein Sponsor gesucht.

„Das doppelte Lottchen“ bestes Kinder- und Jugendtheaterstück

„Der fliegende Wechsel beim Rollentausch gibt dem Stück ein hohes Tempo“, lobt die Jury die Comedia-Produktion „Das doppelte Lottchen“. Frei von Kitsch und Sentimentalität mit viel Charme, Herz und Tiefe ist eine außergewöhnliche, sehr sehenswerte Inszenierung gelungen.“. Außerdem sei Kästners Scheidungsthematik heute aktueller denn je: „Es geht um die Kindersehnsucht nach einer heilen Familie.“.

Den mit 5.000 Euro dotierten Preis für das beste Kinder- und Jugendtheaterstück stiftet regelmäßig die GAG.

„Chombotrope – The Jitta Collective“: bestes Tanztheater

„Chombotrope – The Jitta Collective“ setzte sich unter sechs Nominierungen in der Kategorie „Tanztheater“ durch. Die deutsch-kenianische Koproduktion mit der Akademie der Künste der Welt überzeugte durch den Wechsel des Blickwinkels: „Die Perspektiven ändern sich. Die Brillen, mit denen wir, das Publikum, gern scharf aufs Geschehen blicken: Sie wechseln die Farben von rosarot bis schwarz, blinken, bröseln, verbiegen sich.“. Und weiter: „Was die Truppe aus eigentümlichen Tänzern und Schauspielern eint, ist ein solcher Kampf: ein großes Hauen, Treten und Stechen, aber ganz langsam. Ein Slapstick, ein Wrestling, eine lustige Nummer. Genauso könnte man lachen über manche Verrenkungen, die heutzutage beim Thema Cultural Appropriation – kulturelle Aneignung – veranstaltet werden; und weinen über die Kämpfe und Eroberungen, die ihr allzu oft zugrunde liegen.“.

Das Preisgeld von 5.000 Euro stellt die TÜV Rheinland Stiftung zur Verfügung.

Nadja Duesterberg: die beste Darstellerin

Für die Auszeichnung als bester Darsteller/Darstellerin waren in diesem Jahr nur Schauspielerinnen nominiert. Aus dem Trio Photini Meletiadis und Sibel Polat setzte sich Nadja Duesterberg durch. „Das tolle an ihr, dass man die emotionale Wucht, der sie dort freien Lauf lassen darf, eigentlich in jeder Rolle spürt“, zeigte sich die Jury besonders von ihrem Auftritt im Jugendstück „Weiß ist keine Farbe“ begeistert. „Ob sie nun den Gott der Unterwelt, eine randständige Göre oder eine Frau mit unerfülltem Kinderwunsch spielt: Immer steht da jemand vor uns, der schon sehr viel Energie ausstrahlt.“.

Der Darsteller-Preis ist mit 3.500 Euro dotiert, zur Verfügung gestellt von der CG Lympha.

Zwei starke Frauen teilen sich den Theaterpreis

Höhepunkt der Theaterpreisverleihung ist – noch vor der anschließenden Party – die Kür des besten (Erwachsenen-)Stücks, das den eigentlichen Kölner (Ur-)Theaterpreis erhält. Schon zum vierten mal in seiner Geschichte wurde er zweigeteilt, das Preisgeld von 10.000 Euro teilen sich in diesem Jahr „Bilquiss“ und „Nur Utopien sind realistisch“.

„Rosis Sicht auf Gegenwart und Zukunft ist bestechend und wahr wie ein philosophischer Text. Im Wechsel erzählt von den großartig aufgelegten Akteuren des Analogtheaters, die sich nie anbiedern und immer wieder Distanz herstellen“, wertet die Jury die Koproduktion mit der Studiobühne, in der sich eine blinde und gehbehinderte Frau die Flucht an den Polarkreis in Finnland erlaubt.

Um eine starke Frau geht es auch in „Bilquiss“, eine Produktion des Theaters der Keller. Die Titelheldin ist eine junge Witwe, die sich ihre eigenen Blick auf Allah und eine patriarchalische Islam-Auslegung erlaubt und dafür mit dem Tode bestraft wird. „Die Inszenierung zeigt, wie es ist, wenn Frauen sich wehren. Ohne Hysterie und gezeter, ruhig und konzentriert gehet es gegen die Macht von Männern und um das Recht auf eine eigene Vorstellung von Religion“, so die Jury.

Das Preisgeld teilen sich die Sparkasse KölnBonn, das Kulturamt der Stadt und der Medizinprofessor Manuel Cornely.

Winfried Gellner erhält den Ehrentheaterpreis

Der Träger des Ehrenamtspreis steht schon seit einigen Wochen fest – im gegenstaz zu den anderen Preisträgern, die nach dem Oscar-Muster „And the winner is…“ verkünmdet werden. In diesem Jahr fiel die Wahl auf Winfried Gellner.

Von 1979 bis 2005 war er im Kulturamt der Stadt Köln Referent für Bildende Kunst, künstlerische Fotografie, Literatur, Film und Neue Medien im Kulturamt der Stadt Köln. Eigentlich schon Rentner, übernahm er noch für ein Jahr die Schwangerschaftsvertretung der Referentin für Theater und Tanz. Während all dieser Jahre war er auch noch abends immer unterwegs, um den Kontakt zur freien Kulturszene zu halten. Von 2006 bis 2014 war er Mitglied im Theaterbeirat der Stadt Köln. Für die SPD saß er als beratender Bürger im Kulturausschuss, schied aber bald aus. Er sei seiner Partei zu kritisch gewesen, heißt es. Eine Tatsache, die für Gellner spricht – aber an diesem Abend nicht erwähnt wurde.

Stattdessen wurde er in einem Film von Vertretern der Kulturszene gelobt als „unbürokratischster Vertreter einer Behörde“ gelobt, dessen Dingen weder „Knicken, Lochen oder Abheften“ gewesen sei. Er habe kaum eine Veranstaltung ausgelassen, so dass das Gerücht ging, er müsse einen Zwillingsbruder haben. Gerühmt wurde er als genauer Beobachter der Kulturpolitik und kritischer Freigeist, den grenzüberschreitendes Denken, Neugier, Großherzigkeit und Geduld auszeichne.

Ein sichtlich gerührter Gellner freute sich vor allem darüber, dass er von der „Szene“ nominiert wurde – und nicht nur aus Pflichtbewusstsein, sondern aus Spaß an der Sache nahm er die Wahl als neues Mitglied in der Jury für den Theaterpreis an.

Netcologne stellt dafür 2.600 Euro zur Verfügung.

Autor: ehu
Foto: Der Nachwuchspreis in Höhe von 2.500 Euro wird von der Theatergemeinde Köln gestiftet und juriert. Zusätzlich gibt es eine jährlich neu von Design-Studenten gestaltete Mini-Skulptur.