Köln | Das Künstlerkollektiv Familie Flöz aus Berlin eröffnete mit ihrem Stück Teatro Delusio heute das 30. Kölner Sommerfestival in der Philharmonie. Anderthalb Stunden witzige, poetische Pantomime, die in Köln zum letzten Mal vor 25 Jahren in der Comedia im Rahmen des damaligen Comedy Festivals, als dieses noch nicht so auf Fernsehcomedy fixiert war, zu Gast war. Am morgigen Sonntag gibt es um 14 Uhr noch die Möglichkeit die Familie Flöz – nicht Flönz! – zu sehen.

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Das Urteil der Redaktion von report-K: Exzellent, witzig, poetisch und ganz große Pantomime.
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Fotostrecke – Einige Impressionen aus den ersten Szenen >
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Theater umgedreht

Die Szenerie ist eigentlich von hinten. Bei Teatro Delusio erleben Sie Oper aus der Backstage-Perspektive und sehen nie die wirkliche Handlung. Die hören die wirklichen Zuschauer nur. Oper von hinten, der Ort wo die Eitelkeiten ungeniert aus sich herausplatzen und der Bühnenarbeiter lieber Bundesliga als Arien hört. Ein Ort der zweiten Handlung, normalerweise unsichtbar und für viele Zuschauer nie erlebbar. Wie kommt der Bühnenarbeiter, der lieber liest und eine Ratte in der Kiste versteckt hat, aus der Leitersprosse frei, wenn er darin feststeckt und mit der Leiter um den Bauch wie mit einem Hula-Hoop-Reifen herumrennt? Bei Teatro Delusio wird die Leiter samt Akteur umgedreht. Familie Flöz dreht alles um – die Bühne, die Seh- und Hörgewohnheiten und spielt auf der Klaviatur der menschlichen Gesten virtuos.

Wie bereitet sich das Orchester vor und wie bekommt der Trompeter den Finger aus dem Mundstück, oder wenn der Bühnenarbeiter dem ersten Geiger die Hand zu fest drückt? Aus der mentalen Vorbereitung der Orchestermusiker hinter der Bühne fabulieren die drei Schauspieler des Teatro Delusio ein Feuerwerk an kleinen und großen Gesten, ohne ein Wort. Manche Gesten oder Reaktionen – übersteigert durch die Maske – funktionieren so minimalistisch und entlarven – gerade durch die Larve – unser emotionales Handeln auf unglaublich pointierte Art. Teatro Delusio schärft den Blick auf diese menschlichen Interaktionen, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern charmant und teilweise extrem witzig.

Rote Rosen – dicke Bühnenarbeiter

Wenn der dickliche Bühnenvorarbeiter die pelzbesetzte weiße Stola und die rote Rose für die Diva hält, weil diese sich noch einmal ganz dem Applaus hingeben will, sie ihm über den Bauch streichelt und er anschließend die Stola beschmust, dann ist das herrlich beobachtet und gleichzeitig pointiert umgesetzt. Und so reiht sich Szene an Szene in der Rückseitenszenerie. Wie posiert der Bühnenarbeiter beim Tremolo und wedelt das Haarspray des exaltierten Bühnenkünstlers beiseite. Aus einem gordischen Elektrokabelknotensalat machen die drei Akteure eine Never Ending Story und warum kitzelt der Choreograph die Prima Ballerina? Und wenn der Kopfschmuck nicht hält, dann tackert ihn der Bühnenarbeiter einfach fest.

Jetzt aber nur den Klamauk um die Eitelkeiten, das Posing wäre falsch, denn in und zwischen den witzigen Passagen klingt sehr viel Poesie durch und kontrastiert die Komik. Und so verschmilzt Kunst, Theater, Arie, Theraband und tanzenden Putzfrau auf kleinster Fläche zu einem eigenen Kosmos mit großer darstellender Kunst, Neid, Missgunst und Eitelkeit. Völlig überdreht in manchen Szenen, wenn der dicke Bühnenarbeiter am Ende bei einer Arie Zwillinge gebiert.

Preisgekröntes Künstlerkollektiv

Nach 25 Jahren ist das Künstlerkollektiv Flöz aus Berlin zum ersten Mal wieder in Köln. Und die Pantomimin und die Pantomimen sind echt lässig. Am Ende des Stücks, als die Zuschauer die Philharmonie verließen, setzten sie sich auf die Bühne und tranken ihr Wasser. Schließlich waren sie ja eigentlich Backstage. Ihre Gastspiele haben sie um die ganze Welt geführt: Ins Sadler´s Wells Theatre in London, die Berliner Volksbühne oder auf dem Edinburgh Festival Fringe. Ihre Inszenierungen sind mehrfach ausgezeichnet, wie etwa mit dem Off Critic Prize des Festival d´Avignon. Die drei Darsteller Sebastian Kautz, Dana Schmidt und Daniel Matheus wurden vom Kölner Publikum gefeiert und die ersten Worte, die Sebastian Kautz nach anderthalb Stunden sprach war „Vielen Dank“. Da lagen hinter den drei Mimen 29 unterschiedliche Figuren, deren Kostüme und Masken sie sekundenschnell wechselten.

Die Familie Flöz – wie der Name schon vermuten lässt – hat ihre Ursprünge in NRW und entwickelte sich aus der Folkwang-Hochschule in Essen. „Über Tage“ gab der Vorgänger 1994 an der Folkwang seine Premiere und 1995 gab es eine Kurzfassung mit dem Titel „Flöz & Söhne“. 1996 ist die stillgelegte Zeche „Hannover“ in Bochum der Ort der Uraufführung Familie Flöz mit dem Stück „Kommt über Tage“. 2001 zieht die Kompagnie aus dem Ruhrgebiet nach Berlin. Das Stück „Teatro Delusio“ wurde 2004 zum ersten Mal uraufgeführt und mittlerweile mehr als 600 mal in 29 Ländern gespielt. BB Promotion war von Teatro Delusio so begeistert, dass sie dieses wunderbare Stück unbedingt im Rahmen des 30. Kölner Sommerfestivals zeigen wollten. Und das mit großem Erfolg. Minutenlanger Applaus eines begeisterten Publikums.

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30. Kölner Sommerfestival – Familie Flöz, Teatro Delusio

Wer Teatro Delusio in Köln sehen möchte, der hat am morgigen Sonntag, 23. Juli um 14 Uhr in der Kölner Philharmonie die Chance. Es gibt noch Karten an der Tageskasse.

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Die nächste Premiere im Rahmen des 30. Kölner Sommerfestivals in der Kölner Philharmonie ist Shadowland am kommenden Dienstag, 26. Juli 2017. Karten und alle Aufführungstermine gibt es hier >

Autor: Andi Goral
Foto: Familie Flöz eröffnete mit Teatro Delusio das 30. Kölner Sommerfestival in der Kölner Philharmonie