Köln | Der junge österreichische Regisseur Valentin Schwarz inszeniert derzeit an der Oper Köln „Mare Nostrum“, ein Musiktheaterstück von Mauricio Kagel, das in Köln entstand. Vor der Premiere befragte Christoph Mohr den Regisseur.


Valentin Schwarz | Foto: Oper Köln

Glückwunsch, Sie haben gerade einen ganz wichtigen Preis (RingAward) verliehen bekommen, teilt die Oper Köln mit. Wir kannten den nicht. Klären Sie uns auf, was der RingAward ist. Und was er für Sie bedeutet.

Valentin Schwarz: Der alle drei Jahre stattfindende internationale RingAward in Graz ist der bedeutendste Preis für Opernregie und Bühnengestaltung. Warum? Zum einen der Aufwand – aus knapp 100 Teams und ihren Konzepten zu einem vorgegebenen Werk (diesmal Donizettis „Don Pasquale“) werden in einem anonymisierten, mehrstufigen Auswahlverfahren drei Teams für das Finale ausgewählt, die den ersten Akt der Oper mit Sängern auf der Bühne des Schauspielhauses Graz im Originalbühnenbild inszenieren dürfen. Und zum anderen die illustre Jury von IntendantInnen, die mit der Vergabe mehrere Sonderpreise in Form von Inszenierungsangeboten ein direktes Karriere-Sprungbrett zur Verfügung stellt. So wurden Andrea Cozzi, meinem Ausstattungs-Partner, und mir insgesamt fünf Inszenierungen angeboten, ein schöner Start!

Wie kam es zu Ihrem Engagement an der Oper Köln?

Birgit Meyer (die Kölner Opern-Intendantin, A.d.R.) kenne ich bereits aus meiner Studienzeit in Wien und ich freute mich ganz besonders, als sie mir die Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit anbot und es auch terminlich gut klappte!

Ein Wort zu Köln

Ich war und bin verdutzt, wie professionell trotz des andauernden Opern-Provisoriums alle Abteilungen im Staatenhaus voller Improvisationslust sich den verschiedensten Anforderungen der einzelnen Produktionen stellen. Dazu der rheinländische Charme in meiner Wohnung in Deutz: Gerade für mich als Österreicher ist diese Mischung aus Geselligkeit und Witz ansteckend und trug viel zum guten Probenklima bei.

Die Oper Köln sagt etwas kryptisch, dass Sie von der Kölner Opern-Intendantin Birgit Meyer unterrichtet worden seien. Was heißt denn das?

Während meines Studiums der Musiktheater-Regie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien war Birgit Meyer meine Dozentin für Dramaturgie. In zahlreichen Unterrichtsstunden befragten wir im kleinen Kreis der Regiestudenten Stücke nach ihren Deutungsmöglichkeiten, was umso spannender war, als dass Birgit Meyer direkt aus der Theaterpraxis erzählen konnte.

Sie haben kürzlich in Wien Mozarts „Cosí fan tutte“ inszeniert, ab Dezember wird am Staatstheater Darmstadt Ihre Inszenierung von „Ein Maskenball“ (Verdi) zu sehen sein – also ungleich größere Projekte aus dem klassischen Opernrepertoire. Ist „Mare Nostrum“ an der Oper Köln ein bisschen eine Fingerübung für Sie?

Im Gegenteil: Die Fragilität dieser Musik mit nur zwei Sängern und sechs Musikern und die Nähe zum Zuschauer in diesem Kammerspiel zwingen zu einer Genauigkeit und Klarheit, die eine szenische Bereicherung und inszenatorische Herausforderung darstellen. Diese Intimität bietet eine Chance, die bei personell größeren Werken in einer klassischen Guckkastenbühne vor vielleicht tausend Zuschauern viel schwerer herzustellen ist.

Machen Sie ein bisschen Werbung. Warum ist „Mare Nostrum“ eine interessante Oper?

Kagel arbeitete sich sein Leben lang an musiktheatralen Formen ab. Gerade bei „Mare Nostrum“ wollte er allerdings nach vielerlei formalen Experimenten ein konkretes skurril-humanistisches Epos einer Parahistorie erzählen, das vorgeblich von der fiktiven Kolonialisierung des Mittelmeerraums (lat. mare nostrum) durch einen Stamm aus Amazonien berichtet, die ähnliche Gräueltaten wie die Conquisatores in Südamerika verüben, sicher ein Kommentar als Gegenpol zur damals noch unkritischen Kolonialismus-Glorifizierung in seiner Heimat Argentinien. Man merkt aber schnell, dass Kagel hinter dieser Fassade ein bitterböses Gesellschaftsporträt zwischen Bekanntem und Exotischem, Fremdem und Einheimischem einfing, das insbesondere heute im Zeitalter der Wertediskussionen und Verunsicherungen über Heimat und Kultur aktueller ist denn je.

Mare Nostrum = Mittelmeer = Flüchtlingskrise

Ist das nicht ein ein wenig krampfhafter Versuch, einen Aktualitätsbezug an der Oper herzustellen?

Oper kann keine Lösungen für tagespolitische Ereignisse oder Verfehlungen anbieten, sehr wohl aber ein Bewusstsein schaffen für die Probleme unserer Mitmenschen und daraus emotionale Anteilnahme generieren. Und wenn etwas verlorenging bei den ganzen Diskussionen um Migration und die begleitenden realpolitischen Herausforderungen, wo individuelle Schicksale von Flüchtlingen auf abstrakte Zahlen reduziert werden, dann ist empathische Identifikation durch Mitleid auf der Bühne dringender denn je. Distanzierung ist Unmenschlichkeit.

Erklären Sie uns ein bisschen das Regie-Handwerk. Wie gehen Sie bei der Erarbeitung einer Oper vor?

Jedes Werk hat seine eigenen Mechanismen und Gesetze und speziell bei Werken der sogenannten Neuen Musik, wo jeder Komponist nach Boulez‘ ikonoklastischem Eklat individuelle Rechtfertigungsstrategien dafür entwickeln musste, überhaupt Musiktheater zu schreiben, darf man die jeweilige Entstehungsgeschichte nicht ausblenden. Neben der Partitur und dem gewissenhaften Quellenstudium sind also auch der Entstehungskontext und die Rezeption zu betrachten.

Und wie arbeiten Sie dann mit den Sängern, dem Dirigenten (in diesem Fall dem französischen Dirigenten Arnaud Arbet) und dem Orchester?

Kagel war ein unglaublich genauer Komponist, er wusste genau, was er wollte, notationstechnisch fast dogmatisch, zudem hat er in der Regel auch selbst als Regisseur seiner Werke gewirkt. Sich diesen Zwängen auszusetzen und davon aber auch zu emanzipieren, ist eine große Herausforderung für die Darsteller. Mit Arnaud Arbet habe ich dabei einen unglaublich dramatisch empfindenden Dirigenten als Partner. Dabei gab die Intimität der Form uns auch die Möglichkeit, die Musiker in den Bühnenraum und die Szene vollauf zu integrieren.

Ohne hier unbedingt Klischees bedienen zu wollen, verspüren Sie als Österreicher eine besondere Affinität zu diesem heiter-abgründigen Musiktheaterstück?

Ich verspüre eine Affinität zu einer Dringlichkeit des kompositorischen Ausdrucks, die sich jedoch nicht als vordergründige Agitation bemerkbar macht, sondern hinter Schleiern der Komik eine bestürzende Wahrheit artikuliert. Das Komische im Tragischen macht das Tragische erst menschlich.

Ihr Pressephoto zeigt Sie als spätromantischen Träumer. Ist das das Image, das Sie von sich geben wollen?

Als Theatermacher erschaffe ich Imaginationsräume, also ja, ich erträume mir Welten, in die dann die Darsteller das Publikum entführen. Theater ist aber als Gemeinschaftskunst eine Leistung vieler – das Erträumen von Konzepten in der Erarbeitung weicht im Probenprozess der Entdeckung und Aneignung durch alle Mitwirkenden und der Traum wird zum kollektiven Moment.

Ein Wort zur Neuen Musik. Ein paar Jahrzehnte schien es so, als ob Klassische und Neue Musik zwei verschiedene Welten seien, mit Spezialisten auf beiden Seiten. Sie selbst scheinen ganz problemlos zwischen den Welten hin und her zu wechseln, mal ganz klassisch mit Mozart, Verdi, Bizet, aber auch viel 20. Jahrhundert (Debussy, Bartók, Richard Strauss). Ist der Gegensatz zwischen Klassischer und Neuer Musik für Sie überholt ?

Starke Opern waren zu allen Zeiten Werke mit großen Konflikten und Emotionen. Dass für die Zerrissenheit der Moderne ab dem zwanzigsten Jahrhundert auch grellere oder ungewohntere musikalische Farben verwendet wurden, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Oper bis zu unserem heutigen Repertoirebetrieb immer ein Zeitphänomen, ein Uraufführungs-Betrieb war, der unaufhörlich neue Werke produzierte und überprüfte. Dahin gilt es zurückzukommen.

„Mare Nostrum“ wurde 1975 uraufgeführt, da war der Komponist Mauricio Kagel 44. Sie sind heute 29. Würde es Sie reizen, mit Komponisten Ihrer Generation zu arbeiten?

Die Selbstverständlichkeit der Multimedialität von uns „digital natives“ geht mir auf den Opernbühnen noch sehr ab. Besonders die Integration elektronischer Klänge in das klassische Instrumentenspektrum passiert mir viel zu zögerlich. Gerade diejenigen KomponistInnen, die aufgeschlossen und scheuklappenlos das Fundament des Musiktheaters – die menschliche Stimme und ihre Konflikt- und Ausdrucksfähigkeit – akzeptieren, bereichern das Musiktheater. Mit großer Neugier würde ich mich in die Uraufführung einer solchen Oper stürzen.

Wagen Sie eine Prognose: Welche drei Opern der letzten 25 Jahre werden Bestand haben?

Wenn die Oper als Kunstform Bestand haben wird, dann nur, wenn der Output steigt, d. h. mehr Werke und damit mehr Diskussionspotential entstehen. Quantität statt Qualität. Oper als transistorische Kunst hat nie Bestand, lebt immer vom Augenblick. Ob sich dann irgendwann wieder Werke gegen das Vergessen wehren, hoffe ich sehr.

Noch einmal zurück zu Ihrer Arbeit hier in Köln. Mit der Premiere heißt es: Sie haben die Bühne. Gibt es etwas, was Sie Ihrem Publikum in Köln sagen möchten?

Ich habe kein Sendungsbewusstsein als Privatperson, ich will keine Botschaften in meinen Inszenierungen verpacken. Die Werke sind klüger als ihre Erschaffer und die Assoziationen und den emotionalen Gewinn für jeden einzelnen Zuschauer kann ich mir persönlich weder ausrechnen noch herbeizwingen. Wer sich aber für die Absurdität und Tragik menschlicher Schicksale in Notlagen interessiert und keine Stammtischantworten auf gesellschaftliche Probleme erwartet, darf sich auf „Mare Nostrum“ freuen!

Interview: Christoph Mohr

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Oper Köln
Mauricio Kagel: Mare Nostrum
Premiere: So 23.09.2018
Weitere Aufführungen: Mi 26.09.; Fr 28.09.; So 30.09.; Mi 03.10.

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Darmstadt
Staatstheater Darmstadt
Verdi: Ein Maskenball
Premiere: Sa 08.12.2018
Weitere Aufführungen, 15.12.; 25.12.; 29.12.; 11.01.; 19.01.; 07.02., 14.02.; 24.02.; 09.03.; 17.03.; 29.03.; 13.04.; 28.04.2019

Autor: Das Interview führte Christoph Mohr | Fotos: Hans-Jörg Michel, Oper Köln
Foto: Foto: Hans-Jörg Michel